Der Boxer und der Tod

Drama | CSSR 1962 | Kino: 96 DVD: 102 (=BD: 107) Minuten

Regie: Peter Solan

Ein tschechischer Insasse eines Konzentrationslagers und früherer Amateur-Boxer wird von dessen deutschem Kommandanten gezwungen, in Boxkämpfen gegen ihn anzutreten. Je länger die peinigenden Kämpfe durchgezogen werden, umso mehr wird der Gefangene unter seinen Leidensgenossen isoliert, der Lagerkommandant sieht sich hingegen immer mehr im Zweifel, wie angreifbar er sich mit seiner Entscheidung gemacht hat. Intensives Drama, das eine außergewöhnliche Perspektive auf die Nazi-Verbrechen wagt und die Sport-Metapher und den Raum zu ambivalenten Bilderfolgen nutzt. Gerade in ihrer unmelodramatischen, fast nüchternen Zurückhaltung erscheinen diese besonders drastisch. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOXER A SMRT
Produktionsland
CSSR
Produktionsjahr
1962
Produktionsfirma
Filmstudio Bratislava
Regie
Peter Solan
Buch
Józef Hen · Peter Solan · Tibor Vichta
Kamera
Tibor Biath
Musik
Wiliam Bukovy
Schnitt
Bedrich Voderka
Darsteller
Stefan Kvietik (Jan Komínek) · Manfred Krug (Kraft) · Edwin Marian (Willi) · Gerhard Rachold (Holder) · Valentina Thielová (Helga)
Länge
Kino: 96 DVD: 102 (=BD: 107) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die einmal mehr mustergültig aufbereitete Edition von Bildstörung (DVD & BD) enthält u.a. ein 20-seitiges Booklet mit einem Text zum Film des Sportjournalisten Martin Krauss. Die Extras umfassen weiterhin den Dokumentarfilm „Goldene Sechziger - Der Regisseur Peter Solan“ (57 Min.), den Solan Kurzfilm „Deutschdorf“ [1974] (8 Min.) sowie fundierte Interviews mit Filmwissenschaftler Martin Kanuch (10 Min.) und Filmwissenschaftler Olaf Möller (24 Min.). Die Edition ist mit dem Silberling 2018 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Bildstörung (FF, Mono dt. & slowak. & pol.)
Verleih Blu-ray
Bildstörung (FF, PCM Mono dt. & slowak. & pol.)
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Slowakisches Drama über den Kommandanten eines Konzentrationslagers, der einen Gefangenen zu Boxkämpfen zwingt, ein gerade in seiner Zurückhaltung besonders drastischer Film von 1962.

Diskussion
Am Anfang sind nur die Schläge, ihr Klang aus dem Nichts. Dann kommen Fäuste hinzu, Arme, ein Torso, schließlich ein ganzer Körper. Langsam wird der Mann mit dem sprechenden Namen Walter Kraft (Manfred Krug) zusammengesetzt. Zuerst tritt er als Boxer auf, später gibt eine Uniform ihn als SS-Soldaten zu erkennen, zuletzt wird seine Funktion deutlich: Kommandeur eines Konzentrationslagers. Das 1962 erschienene Drama „Der Boxer und der Tod“ des slowakischen Filmemachers Peter Solan ist voll von solchen Bewegungen: Vom Teil zum Ganzen, vom Menschen zur Masse, von der Idee zur Tatsache. Vor dem Krieg war Kraft Preisboxer, und in dem Gefängnis, in dem er alles beherrscht, will er es auch weiter sein. Als Gegner wählt er den Ex-Amateurboxer Komínek (Štefan Kvietik), der nach einem Fluchtversuch eigentlich exekutiert werden soll. Doch als Kraft von dessen Vergangenheit im Ring erfährt, etabliert er ein morbides Ritual: Alle drei Tage sollen Gefangener und Aufseher gegeneinander antreten – mit offenem Ende. Solan inszeniert einen Film in einem Film, doch die Hierarchie wird nicht sofort klar: Handelt es sich um ein Kriegsdrama, in dessen Inneren ein Sportfilm heranreift, oder um einen Boxfilm, der die Welt von Opfern und Tätern im Ring konzentriert? Für Letzteres spricht, dass viele Fragen des Films über Körper verhandelt werden. Den Verbrechen der Nationalsozialisten nähert sich der Regisseur zunächst körpergeschichtlich. Die Lagerinsassen werden mit Leibesübungen bestraft, der Geist soll durch den Körper diszipliniert werden. Wärter beschimpfen ihre Opfer als „dreckig“ und zwingen sie, in Schlammpfützen zu baden. In den ärmlichen Waschräumen prangt in spöttischer Fraktur „Reinlichkeit ist Gesundheit“, um den letzten Rest der Illusion zu bewahren, die Gefangenen wären nicht ganz unabhängig von ihrer Konstitution verurteilt worden. „Arbeit macht frei“ suggeriert auch, dass die Gefangenschaft selbstverschuldet ist. Die Kamera betont Triumph und Scheitern von Muskeln und Sehnen: Wo ein Sträfling zusammenbricht, sinkt auch die Kamera zu Boden. Wo Boxer ausgeknockt werden, wird ihr subjektiver Blick eingenommen. Die Schwarzblende wird zur Besinnungslosigkeit. In den Kämpfen werden die starren Bilder von der Last der Gefangenschaft befreit und verfolgen aufgeregt jeden Schlag. Der Sport steht in der Regel für die zwanglose Verwirklichung zumindest vergleichbarer Ideale, für Selbstdisziplinierung und das Überwinden der eigenen Grenzen. Er bringt die Illusion von Fairness mit sich und bietet eine Welt der Regeln, in der nur die Leistung der Kontrahenten zählt. Ein vermeintlich unpolitischer Raum, in dem durch die Herstellung gleicher materieller Verhältnisse nur noch der Konflikt der Individuen zählen soll. Für Kraft ist Komínek jedoch ein Werkzeug, mit dem er seine eigene Stärke beweisen kann, vielleicht auch die Überlegenheit der deutschen „Übermenschen“. Komínek beginnt sein Training als Objekt, als halbmenschlicher Boxsack. Die ersten Kämpfe verliert er, weil er schwach und ausgehungert ist. Kraft lässt ihn mästen und von der Arbeit freistellen: „Du siehst schon wie ein Mensch aus.“ Doch die Privilegien isolieren ihn auch. Seine Mitgefangenen halten ihn für einen Spitzel und beschimpfen ihn. Einmal joggt er beim Training durch die Rauchwolke eines KZ-Ofens. Kann der Sport unter diesen Umständen noch eine Metapher sein? Krafts Handlanger Willi sorgt sich nach einigen Kämpfen, ob mit dessen Körper auch seine Herrschaft angreifbar wird. Seine Theorie wird weder bestätigt noch verneint: Die Masse der Gefangenen wird nie zum Publikum. Lediglich der alte Venzlak (Józef Kondrat) interessiert sich wirklich für den Kampf. Er übernimmt die archetypische Rolle des in die Jahre gekommenen Trainers; bestimmte Dramaturgien gedeihen eben auf jedem Boden. Die Idee des Sports wird, parallel zu Komíneks Genesung, mit jedem Kampf manifester und wirklicher. Wo man sich anfangs noch über staubige Bodenbretter durch den offenen Raum prügelt und der Glockenklang mündlich beigesteuert wird, beschränkt erst ein Kreiderechteck und später ein tatsächlicher Ring die Konfrontation. Nur eines ist anders: Wo man in anderen Boxfilmen auf den finalen, kathartischen Triumph hofft, zittert man hier nicht nur vor der Niederlage, sondern eben auch vor dem Sieg. Der Regisseur wählt Bilder, die gerade in ihrer Zurückhaltung drastisch wirken. Gedreht wurde an Originalschauplätzen, vor allem in einem ehemaligen jüdischen Gefangenenlager, nahe der slowakischen Stadt Nováky. Dabei gibt Solan sich selten dem Melodrama hin, ergötzt sich nicht am Leid, sondern blickt fast nüchtern auf die grausamen Verbrechen. Auf eine Aufnahme von Gefangenen hinter Stacheldraht folgt eine gespenstische Einstellung, die nur noch ihre Hinterlassenschaften zeigt. Gleich mehrfach werden die Erfahrungen durch die Schornsteine im Hintergrund kommentiert: Komínek bindet seine Handschuhe, es wird klar, was auf dem Spiel steht. Kraft sorgt sich um seine Zukunft, seine Freundin Helga beruhigt ihn: „Du hast dir kein Unrecht zu Schulden kommen lassen.“ Man versteht, dass die Gewalt für Kraft Sport ist, ein simples Spiel. Und weil er sich an die Regeln gehalten hat, versteht er sich als guten Menschen. Was bedeutet „Fairness“ unter solchen Bedingungen anderes als „Wir haben nur Befehle befolgt“? „Der Boxer und der Tod“ ist ein bewegender Film von immenser Dringlichkeit und auch deshalb so erfolgreich, weil er seine Figuren nie psychologisch überfrachtet oder sie mit einer elaborierten Biografie ausstattet. Sie stehen für sich selbst und widersetzen sich damit, genau wie tatsächliche Boxer, dem Versuch, sie in Metaphern zu verwandeln. Es sind Körper und Menschen, die nicht zwischen den Bildern verloren gehen, die trotzig weiterbestehen. Sie stehen da, nicht mehr Einzelteil, sondern Ganzes, wie unwiderlegbare Tatsachen.
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