Die Wismut

Dokumentarfilm | Deutschland 1993 | 114 Minuten

Regie: Volker Koepp

1946 entstand im sächsisch-thüringischen Erzgebirge die "Wismut", eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft, die bis zum Ende der DDR unter menschenverachtenden Bedingungen rund 220.000 Tonnen Uran zutage förderte. Volker Koepps vielfach ausgezeichneter Dokumentarfilm läßt die Betroffenen zu Wort kommen, die mit Würde und Stolz auf 40 Jahre Leben zurückblicken. In ruhigen Schwarzweißbildern zeichnet er das nachdenklich machende Porträt einer zerstörten Landschaft - Sinnbild und verdrängter Inbegriff des Kalten Krieges. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Ö-Film
Regie
Volker Koepp
Buch
Volker Koepp
Kamera
Thomas Plenert
Schnitt
Angelika Arnold
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
"Gleichgewicht des Schreckens" hieß die militärisch-politische Illusion, mit der die Großmächte bis zum Ende des Kalten Krieges 45 Jahre lang ihr Auskommen suchten. Ein unerbittlicher Wettkampf um immer bessere, immer tödlichere Waffen. Nach Hiroshima und Nagasaki brauchte dieser Logik zufolge auch Stalin die "Bombe" und dazu jede Menge spaltbaren Materials, das er sich aus dem besiegten Hitlerreich heranschaffen ließ. Im sächsisch-thüringischen Erzgebirge entstand dafür 1946 die "Wismut", eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft, die bis zum Untergang der DDR rund 220 000 Tonnen angereichertes Uran produzierte - unter menschenverachtenden Bedingungen, die Tausenden das Leben kostete. Übriggeblieben ist vom Mythos des bewaffneten Friedens heute eine ökologisch zerstörte Landschaft, radioaktiv verstrahlte Städte und Dörfer und Menschen, die mit dieser lebensgefährdenden Hinterlassenschaft leben müssen.

Volker Koepp, der ambitionierte Dokumentarfilmer (vgl. Artikel in fd 23/1994), hat seinen jüngsten Film jenen Menschen in Johanngeorgenstadt, Schneeberg, Schlema und den anderen Orten gewidmet, die ihre Gesundheit und ihr Leben eingesetzt haben, um das strahlende Erz aus der Erde zu holen. In ruhigen, wortkargen Schwarzweiß-Bildern und langsamen Fahrten porträtiert er das Gebiet, in dem Uran zutage gefördert wurde: riesige Abraumhalden, heruntergekommene Plattenbausiedlungen, aufgelassene Hallen und Lagerstätten, die langsam verrotten - eine gespenstische Industrieruinenlandschaft, in der das wilde Knattern des Geigerzählers die unsichtbare Bedrohung manifestiert.

Im Zentrum seiner Recherche aber stehen Bergleute, Schankwirte, Angestellte und Bewohner der Region, die Koepp in langen Interviewsequenzen zu Wort kommen läßt. In einer Art "oral history" zeichnet er die Geschichte der "Wismut" nach, eines Staats im Staate, der über eigenen Handel, Versorgungseinrichtungen, Polizei und sogar gesonderte Ausweise verfügte. Rund eine halbe Million Menschen waren an der Gewinnung des Urans beteiligt, die über die gesundheitsschädigende Wirkung von Strahlung und Staubentwicklung durchaus Bescheid wußten. Anfangs wurden Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in die Gruben gezwungen, dann aber trieben Hunger und Not die Menschen in Scharen dem Uranunternehmen in die Hände. "Das größte Glück für mich ist, daß ich noch lebe", erzählt ein alter Bergmann, der zusammen mit einigen anderen "Kumpels" die skandalöse Geschichte der Grube zu dokumentieren versucht: "Viele jüngere Kollegen sind schon lange auf die Zwei-Meter-Sohle eingefahren." Eine der für die Erzgebirgsregion typischen Erkrankungen trägt inzwischen den Namen einer ihrer Ortschaften: der sogenannte "Schneeberger Lungenkrebs", die zweithäufigste Todesursache unter den älteren Bergleuten.

Koepp verzichtet bis auf einen einleitenden Text weitgehend auf die Kommentierung seiner Bilder und vermeidet jedes Betroffenheitspathos. Auf diese Weise wahrt er die hohe Authentizität der Interviews, in denen mit Würde und unverhohlenem Stolz auf die Arbeit in den Bergstollen zurückgeblickt wird. Vom Tod des Vaters, der an einer Staublunge starb, kann darin im gleichen Atemzug gesprochen werden wie über die eigene Hochzeit. Trauer oder Wut über ein mörderisches Schicksal, über das sinnlose Tun oder die verantwortungslosen Behörden scheinen nur gelegentlich am Rande auf. "Das Erz muß gebrochen werden", kommentiert einer achselzuckend, "und das ist Aufgabe des Bergmanns." Krankheit und Tod, so könnte man meinen, haben in dieser Region, die seit fast einem Jahrtausend vom Bergbau lebt, einen anderen Stellenwert im Bewußtsein der Menschen als anderswo. Wenn allerdings der leitende Arzt der "Wismut"-Gesundheitsbehörde die tödlichen Erkrankungen "auf die besonders ungünstigen Arbeitsbedingungnen der Anfangszeit" zurückführt, wird der Zynismus offenbar, mit dem hier Menschen für das "strategische Gleichgewicht" in den Tod getrieben wurden. Vom Opfer, das der "Bombe" gebracht wurde, spricht niemand; nur wenige sinnieren über den Sinn ihres Einsatzes und darüber, was eigentlich mit den riesigen Uranmengen geschehen ist, die zutage gefördert wurden und, so wird vermutet, in der Sowjetunion auf Halde lagern. "Die Wismut" ist ein erschütterndes Dokument über die verdrängten Folgen und Kosten des Kalten Krieges. Koepps sorgfältiger Film erinnert an die noch lange strahlende Altlast der DDR. Das Rohr des Geigerzählers, dem er am Ende seiner Rekonstruktion durch ein Dorf folgt, wird auch noch im nächsten Jahrtausend heftig Töne von sich geben. Die 13 Milliarden, die von der Bundesregierung zur Sanierung bisher veranschlagt wurden, sind wohl erst der Anfang.
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