Mario und der Zauberer

Drama | Deutschland 1993 | 125 Minuten

Regie: Klaus Maria Brandauer

Ende der 20er Jahre besucht ein deutscher Schriftsteller mit seiner Familie den alljährlichen Urlaubsort in Italien und muß feststellen, daß die "öffentliche Stimmung" von Selbstgefälligkeit und Fremdenhaß geprägt ist. Durch einen merkwürdigen Zauberkünstler kommt es zu einer Katastrophe. Eine aufwendige Verfilmung der Erzählung von Thomas Mann. Auch wenn der hervorragend gespielte Film der Tragfähigkeit der Vorlage als einer Art Psychologie des Faschismus nicht immer traut und manches allzu plakativ und holzschnittartig ausfällt, überzeugt er als Stimmungsbild einer Zeit im Umbruch, das ungebrochen aktuelle Fragen nach Verführung und Verführbarkeit, Fremdenhaß und Intoleranz stellt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Provobis/ZDF/ORF
Regie
Klaus Maria Brandauer
Buch
Burt Weinshanker · Klaus Maria Brandauer
Kamera
Lajos Koltai
Musik
Christian Brandauer
Schnitt
Tanja Schmidbauer
Darsteller
Julian Sands (Bernhard Fuhrmann) · Anna Galiena (Rachel Fuhrmann) · Klaus Maria Brandauer (Cipolla) · Rolf Hoppe (Angiolieri) · Elisabeth Trissenaar (Sofronia Angiolieri)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
"Ein tragisches Reiserlebnis" nannte Thomas Mann im Untertitel seine erstmals 1930 veröffentlichte Erzählung, die er als "eine stark ins Politische hineinspielende Geschichte" beschrieb. Von den äußeren Ereignissen her eher unspektakulär, horcht Thomas Mann sensibel in Stimmungen jener Zeit der späten 20er Jahre hinein, indem er die Eindrücke einer deutschen Familie aus gutbürgerlichen Kreisen schildert, die in ihrem jährlichen Urlaubsdomizil, einem italienischen Seebad, erstmals eine neue "öffentliche Stimmung" zu spüren bekommt. Der in den Jahren zuvor so entspannten Atmosphäre des Ortes fehlt es nun an Unschuld und Zwanglosigkeit, das italienische Publikum stellt "voreinander und vor den Fremden Ernst und Haltung, wach aufgerichtete Ehrliebe zur Schau", und die Gäste aus Deutschland verstehen allmählich, daß die "Idee der Nation" im Spiele ist, daß selbst Kinder eine ungesunde Art von Patriotismus nachspielen, "nicht sehr angenehm, aber notwendig". Thomas Mann entwickelt daraus feinsinnig eine Art Psychologie des Faschismus jener Jahre und versinnbildlicht seine Beobachtungen schließlich in der "verhängnishaften" Begegnung mit dem merkwürdigen Zauberkünstler Cipolla, bei der letztlich wohl nicht nur die Kinder nicht verstehen, "wo das Spektakel aufhörte und die Katastrophe begann".

Klaus Maria Brandauer entdeckte in Manns Erzählung eine "Geschichte für heute", in der es um Verführung und Haß, Macht und Tod, Schuld und Unschuld geht. In seiner zweiten eigenen Inszenierung (nach "Georg Elser - Einer aus Deutschland", fd 27 938) forscht auch er folgerichtig und bemerkenswert beherrscht nach jenem schmalen Grat, an dem das Spektakel aufhört und die Katastrophe anfängt. Konsequent stattet er die deutsche Urlauberfamilie aus großbürgerlichen Kreisen mit weit mehr Konturen aus als sie bei Thomas Mann angelegt sind. Jetzt ist der deutsche Schriftsteller Bernhard Fuhrmann, der mit seiner attraktiven Frau Rachel und den beiden Kindern Stephan und Sophie die aufkommende Fremdenfeindlichkeit zu spüren bekommt, mehr denn je das alter ego Thomas Manns, der wie dieser seine Rolle als Schriftsteller als die eines empfindlichen Seismografen definiert: das, was ihm passiert, sei nur ein Mikrokosmos von dem, was auf der Welt passiere, erklärt Fuhrmann einmal. Julian Sands spielt diesen Schriftsteller mit angemessener Zurückgenommenheit: als eher bläßlichen, sehr leisen, introvertierten Großbürger, der sich stets innerlich stark in die Pflicht nehmen muß, um aufzubegehren und zu protestieren, der sich hinter seiner Fassade aber als liebender Ehemann und Familienvater, vor allem auch als aufmerksamer Beobachter zu erkennen gibt. Fuhrmann ist alles andere als ein exponierter Held, der sofort auf die Ereignisse zu reagieren vermag, vielmehr verdichtet er seine Haltung auf leise, aber deutlich pointierte Weise. Einer der Gründe dafür, daß er und seine Familie nicht vorzeitig den ungastlich gewordenen Urlaubsort verlassen, liegt darin, daß der italienische Kultusminister Fuhrmann zu einem Vortrag über die "Verantwortung des Schriftstellers in unserer Zeit" eingeladen hat. Der Schriftsteller sieht darin die Möglichkeit, mit den ihm gegebenen Mitteln zu antworten, um abzurechnen, um zu warnen: beunruhigt sei er (und benutzt deutlich Sätze Thomas Manns) durch eine Entwicklung sich steigernder Intoleranz und Bigotterie, die sich langsam über ganz Europa ergieße. Im Interesse des Überlebens der menschlichen Rasse müsse er dafür Sorge tragen, daß der Tod niemals einen dominanten Platz in den menschlichen Absichten und Taten einnehmen könne. Als er mit solchen Äußerungen auf heftigsten Widerstand der staatlichen Repräsentanten stößt, reagiert Fuhrmann erschreckt, sprach- und dementsprechend machtlos.

Brandauer beschreibt einerseits mit großer optischer Opulenz, andererseits mit manch feinem Strich eine Zeit im Umbruch. Liberale Kräfte, die sensibel genug sind, den zunächst eher noch unterschwelligen Stimmungsumschwung hin zu einem neuen Chauvinismus zu registrieren, erstarren, verharren in der Hoffnung, daß der gesunde Menschenverstand solche Auswüchse von Fremdenhaß, Intoleranz und Selbstgefälligkeit nicht hinnehmen wird. Dabei berühren sich auf vielsagende Weise der Schriftsteller und der Zauberer, die sich nie direkt begegnen und im übrigen alles andere als Sympathie für die Lebenswelt des jeweils anderen empfinden. Beide aber verdichten auf ihre eigene Weise das Beobachtete und spüren die Aufmerksamkeit, die ihnen die Menschen entgegenbringen. Beide gehen dabei nach ihren spezifischen Gegebenheiten mit dieser Aufmerksamkeit um und bewegen etwas, und beide müssen sich Fragen nach ihrer Verantwortung stellen. Dabei geht es auch um die Grenzen (und das Abgrenzen) von Vereinnahmung. Cipolla, der häßliche Außenseiter, kann das, was ihm als Individuum versagt ist, durchaus auf eine Masse anwenden: er verführt, wird respektiert und gefürchtet, lebt aber eigentlich nur aus dem unterschwelligen kollektiven Geist seiner Zuschauer heraus. Jenseits der Bühne wird er von seinen Gehilfen behandelt wie tote Masse: sie waschen den körperlich Hilflosen, stecken ihn in ein Korsett, damit er überhaupt wortwörtlich "zusammenhält". Brandauer spielt diesen Zauberer in eindrucksvoller Ambivalenz zwischen Verführer und Verführtem: mal dämonisch, mal traurig und resignativ, mal (all-)wissend, dann wieder rat-und ahnungslos.

Manchmal traut der Regisseur Brandauer der Tragfähigkeit der Erzählung Manns nicht so ganz. Dann meint er, sie durch hinzugedachte "spektakuläre" Ereignisse aussagekräftiger machen zu müssen, etwa durch die rätselhafte Ermordung des integren Hoteldirektors, der dem faschistischen Zeitgeist im Weg stand, oder auch durch die arg plakativ geratene Rolle des "menschelnden" Polizeipräfekten. Auch die Begegnung von Cipolla mit Rachel Fuhrmann, in der durch Cipollas (wohl auch unterschwellig erotisch) bedrohliche Ausführungen das bildungsbürgerliche Ideal einige Kratzer abbekommen soll, wirkt eher aufgesetzt. Andere hinzugedachte Handlungselemente sind indes durchaus geschickt und dramaturgisch stringent eingepaßt, so auch die Szene, in der sich die kleine Sophie Fuhrmann nach bösartigen Hänseleien durch die italienischen Kinder am Strand ihres verschmutzten Badeanzugs entledigen muß und in ihrer Nacktheit für einen Skandal sorgt. Optisch sinnfällig korrespondiert die Szene mit der Zurschaustellung der körperlichen Reize Silvestras, einer zur jungen Frau herangereiften Schönheit, auf die sich die Blicke voyeuristisch und schamlos, hier aber eben gesellschaftlich "sanktioniert" richten. Eindrucksvoll gelingt Brandauer schließlich das sinnfällige, bedeutungsstiftende Spiel mit Licht: Licht, das vom natürlichen, "unschuldigen" Sonnenschein über der idyllischen Landschaft bis zum demonstrativ aufwendigen Kunstlicht des Nobelhotels reicht, in dem die Fuhrmanns nicht mehr gern gesehene Gäste sind, und das schließlich zu den Kerzen und Flammen führt, die den eher schon höhlenartigen Auftrittsorts Cipollas illuminieren, wo es unheilverkündend ins Unterbewußte der menschlichen Psyche zu strahlen scheint. Auch das Feuerwerk, das als Höhepunkt einer besinnungslos-taumeligen Festveranstaltung für den neuen Polizeipräfekten die selbstverliebte Ordnungsmacht ins rechte Licht rückt, erreicht fatal-martialische Züge: weniger ein Spektakel für naive Schaulustige als eine Demonstration mit fast kriegerischen Auswüchsen.

Am Ende, nach der Katastrophe auf Cipollas Bühne, wo es zu einem schrecklichen Todesfall kommen wird, steht der endgültige Verlust von Unschuld, der sich bereits schrittweise angedeutet hatte: Eine Epoche hat ihre Unschuld verloren und mit ihr die Menschen, die entweder an der "neuen Zeit" tatkräftig mitwirken oder sich ihr nicht tatkräftig genug entgegenstellen. Der Schriftsteller Fuhrmann sitzt bestürzt im Zugabteil neben seiner Frau (der das Drehbuch wohl nicht von ungefähr einen jüdischen Namen gegeben hat, um mit diesem Indiz weitere schreckliche Entwicklungen anklingen zu lassen), um den Ort der Erlebnisse fluchtartig zu verlassen. Nur die Kinder können noch eine Art Unschuld des Nichtverstehens aufrechterhalten: die Tochter spielt das Erlebte mit einem Taschentrick nach und bittet arglos um Applaus.
Kommentar verfassen

Kommentieren