Rotwang muß weg!

Komödie | Deutschland 1994 | 82 Minuten

Regie: Hans-Christoph Blumenberg

Der Industrieführer Rotwang ist ermordet worden. Im Rückblick erzählt der Film die Vorgeschichte und beschreibt die wahnwitzigen Motive, die der Bluttat zugrunde liegen. Eine von Fabulierlust geprägte schwarze Komödie, die deutsch-deutsche Geschichte ebenso Revue passieren läßt wie deutsche Filmwirklichkeit. Ein kleiner, intelligenter Film mit vielen Brüchen, der Vergnügen bereitet und gut unterhält. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
ROTWANG
Regie
Hans-Christoph Blumenberg
Buch
Hans-Christoph Blumenberg
Kamera
Klaus Peter Weber
Musik
Gast Waltzing
Schnitt
Florentine Bruck
Darsteller
Udo Kier (Arthur Eigenrauch) · Sybill Norvak (Clarissa Rotwang) · Heikko Deutschmann (Basil Schatter) · Beate Finckh (Roswitha Meier-Krull) · Klaus Bueb (Mirko Budnikowski)
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Rotwang muß weg (!), darüber sind sich alle einig. Warum weiß eigentlich nur die dauerbetrogene Ehefrau des Industriemagnaten und Kanzler-Duzfreundes, die mit viel Geld und ein wenig Liebe einen Privat(-Killer-)Detektiv auf ihren Mann ansetzen kann. Alle anderen, die ihm nach den Leben trachten, schlittern irgendwie in diese dumme Geschichte hinein. Top-Terrorist Carlos (während der Dreharbeiten des Films noch auf freiem Fuß) aktiviert Eigenrauch, einen ehemaligen Auftragskiller, nun Modedesigner und mit besten Kontakten nach Japan abgestattet; der wiederum spürt die ehemalige RAF-Aktionistin Roswitha auf, die sich in der DDR eine überaus bürgerliche Existenz aufgebaut hatte. Mit von der Jagdpartie sind noch Mirko Budnikowski, ein ehemaliger Stasi-Regisseur, der nun im Westen (Werbe-)Auftragsarbeiten erledigt, und Bruno Ringeltraub, einst Spitzenmann des Bundeskriminalamtes, der nun in "Brunos Bruzzel Bude" die besten Curry-Würste der Stadt vertreibt und den vergangenen Zeiten nachtrauert. Genügend Killer für einen, aus welchen Gründen auch immer unliebsamen Wirtschaftsführer, und einer wird's schon richten, auch wenn am Ende des Los über den Schützen des finalen Blattschusses entscheiden darf.

Eine böse deutsche Geschichte, die sich Blumenberg ausgedacht hat; eine Geschichte, die allen Beteiligten - insbesondere dem frischgebackenen Hollywood-Star Udo Kier, der seinen schmierigen Modezar mit Hingabe zelebriert - sichtlich Spaß gemacht hat. Blumenberg nutzt das geringe Budget seines Films, um mehr zu erzählen, als er zeigen kann. Ein präziser Kommentar verbindet die weitgehend retrospektive Handlung, bündelt, schafft Freiräume. Freiräume, die die Darsteller immer wieder zu füllen wissen. Sie sprengen das enge Genre-Korsett, stellen die eigene Rolle in Frage und den Regisseur zur Rede, weil sie z. B. mit ihrem vorzeitigen Ableben im Film überhaupt nicht einverstanden sind. Die Rolle von Rotwangs Geliebter wird von zwei Darstellerinnen gespielt, die im Laufe der Handlung ausgetauscht werden, und ihrem Regisseur die Stirn bieten, der doch eigentlich nur an ihren Brüsten interessiert ist. Mit ihnen geht das natürlich nicht; oder vielleicht doch - ein wenig. Das ist natürlich nur Koketterie, denn Brüste kommen dann aus dramaturgischen Gründen doch häufiger ins Bild, und auch nachdem die letzte Klappe schon gefallen ist, will die Darstellerin ihre Rolle mit dem blanken Busen verteidigen. Das zieht allerdings nicht bei einem Regisseur, der seine Traumbesetzung während der Dreharbeiten auf voyeuristschem Wege geortet hat, dessen Kamera immer wieder zum Fenster einer ebenso unbeteiligten wie wenig bekleideten Blondine abschwenkt. Und überhaupt, dem "Rotwang"-Regisseur schweben größere Stoffe vor, "Das Schweigen der Dinos" etwa, ein gigantischer Film mit gigantischem Etat. Erste Probeaufnahmen existieren bereits: Kleine Plastiksaurier stampfen durch einen kleinen Plastikdschungel und wirken überzeugend unecht.

Nach vier Filmen und etlichen Fernseharbeiten ist es Blumenberg endlich gelungen, seinen Debütfilm zu inszenieren. Unbelastet vom großen Etat trumpft er frech auf, erzählt, was er schon immer sagen wollte, über die Verhältnisse in Deutschland im allgemeinen und über das Filmemachen im besonderen. Das Ergebnis ist eine chaotische Komödie, die nichts so recht ernst nimmt und selbst nicht so recht ernst genommen werden will, die ihre Genre-Geschichte immer wieder bricht, da sie sich als "Film im Film" zu erkennen gibt. Ein kleiner Film, der dennoch uferlos wirkt. In dieses Konzept der Uferlosigkeit paßt natürlich alles. Da kann der Schauspieler Ulrich Tukur als "berühmter Schauspieler" auf Brunos Pommes-Bude ein Lied zum Besten geben; der japanische Mode-Designer Issey Miyake kommt zu Wort (zumindest Wim Wenders wird diesen Wink verstehen); der Saarbrückener Kommissar Palü - eine Fernsehgestalt Blumenbergs - darf den Fall klären, ohne sich einzumischen; und der Hollywood-Regisseur Brian de Palma wird erbarmungslos in die Handlung eingespannt.

Sicher gibt es keine Erfolgsrezepte, und das blind nach Hollywood ausgerichtete deutsche Kinopublikum wird Blumenbergs Film wahrscheinlich kaum wahrnehmen, doch er zeigt, wo es mit dem deutschen Film langgehen könnte: Vertrauen auf die eigene Fabulierlust, auf Spontaneität, auf die Überzeugungskraft der Geschichte. Blumenberg selbst wird wissen, daß er mit diesem Konzept kein Massenpublikum erreicht, Ironie und Brüche gelten hierzulande als Kassengift, doch er weiß wahrscheinlich auch, daß er der festgefahrenen deutschen Kinomaschinerie mit seinem wundervollen Film einen gangbaren Weg gezeigt hat. Bis das Publikum diesem folgt, ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten - doch auch das wird Blumenberg wissen und bedacht haben.
Kommentar verfassen

Kommentieren