Ausgangssperre

- | Israel/Deutschland/Frankreich/Niederlande 1993 | 75 Minuten

Regie: Rashid Masharawi

Das aus der Sicht eines Zehnjährigen gezeichnete Porträt einer palästinensischen Großfamilie im von Israel besetzten Gaza-Streifen. Durch eine unvermittelt ausgerufene Ausgangssperre sind die Familienmitglieder gezwungen, tagelang im geschlossenen Raum ihres Hauses zu verweilen. Sonst unterdrückte Probleme stauen sich an, aber auch die Außenwelt treibt das Geschehen voran. Erster palästinensischer Spielfilm, der auf eine holzschnittartige Darstellung der Opfer-Täter-Konstellation verzichtet. Durch seine private Perspektive gelingt ihm eine nachvollziehbare Universalität von Handlung und Atmosphäre. Ein verheißungsvoller Auftakt palästinensischen Erzählkinos. (Titel auch: "Curfew - Ausgangssperre") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CURFEW | COUVRE FEU | HATTA ISHAAR AKHAR
Produktionsland
Israel/Deutschland/Frankreich/Niederlande
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Ayloul/Argus/WDR/arte
Regie
Rashid Masharawi
Buch
Rashid Masharawi
Kamera
Klaus Julius Burger
Musik
Said Mouraad · Sabreen
Schnitt
Hadara Oren
Darsteller
Salim Daw (Vater) · Naïla Zayaad (Mutter) · Mhahmoud Qadah (Akram) · Younis Younis (Radar) · Assem Zoabi (Raji)
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
"Ausgangssperre" gilt als erster palästinensischer Spielfilm überhaupt; er entstand aber bereits 1993, also noch vor dem Inkrafttreten der Selbstverwaltung durch die PLO. Um so bemerkenswerter, daß auch mehrere Israelis beteiligt waren. Porträtiert wird eine Großfamilie im Gaza-Streifen, die durch die unvermittelt angeordnete Ausgangssperre der israelischen Militärverwaltung tage- und nächtelang auf engstem Raum ausharren muß. Radar. ungefähr zehnjähriger Lieblingssohn des von Rückenschmerzen geplagten Patriarchen, soll einen Brief seines Bruders aus dem fernen Deutschland verlesen. Aus diesem feierlichen Anlaß werden alle Familienmitglieder zusammengerufen. Doch als endllich alle beisammensitzen, wird der Junge in seinem Vortrag von den Lautsprecherwagen der Militärs unterbrochen. In den wenigen Minuten der Anfangssphase gelingt auf diese Weise eine schlussige Exposition: Schauplatz und Protagonisten sind vorgestellt, das Geschehen erfährt seinen wesentlichen Anstoß. Wie im klassischen Drama wird der Film fortan diese Einheit aus Ort, Zeit und Handlung beibehalten. Unterschwellig vorhandene Probleme stauen sich in diesem geschlossenen System an und entladen sich schließlich: die internen Beziehungen werden jedoch auch immer wieder von Eingriffen der Außenwelt unterbrochen bzw. vorangetrieben. Da sind die beiden erwachsenen Brüder Radars: verheiratet und auf Ausgleich bedacht der eine, verbittert der andere, mit der Intifada sympathisierend. Da sind vor allem aber die Frauen - auf denen nämlich liegt die eigentliche Last des durch die politischen Ereignisse erschwerten Alltags. Sie müssen sowohl den Haushalt bewältigen als auch immer wieder die erhitzten Gemüter ihrer Verwandten beruhigen. Nachbarn nehmen durch Klopfzeichen Kontakt auf und erbitten Hilfe für ihre kleinen und großen Probleme. Man leiht sich gegenseitig Lebensmittel, schlichtet Zerwürfnisse oder ruft die Hebamme. Erzählt werden diese unspektakulären Ereignisse aus der Sicht Radars: der Blick des Jungen bündelt die Vielzahl der Handlungsmomente und macht sie für den Zuschauer nachvollziehbar. Die einzige Szene, von der Radar ausgeschlossen bleibt, ist die von der willkürlichen Verhaftung eines seiner Brüder: Sinnbild für die Hoffnung, die jüngere Generation möge von der ausweglos erscheinenden Spirale von Gewalt und Gegengewalt doch noch verschont werden. So steht Radar für nichts Geringeres als für das Prinzip Hoffnung.

Das maßgebliche Verdienst des Films besteht in seinem unheroischen Gestus: nicht holzschnittartige Opfer werden vorgeführt, sondern Menschen aus Fleisch und Blut mit Stärken und Schwächen sowie höchst banalen Alltagssorgen. Bewährte Methoden des "geschlossenen Dramas" erzeugen glaubhaft klaustrophobische Stimmungen und Situationen, die in ihrer Universalität auch auf andere Regionen und Gesellschaften übertragbar sind. "Ausgangssperre" mangelt es dabei nicht einmal an leiser Ironie - diese hat. vor allem bei der Darstellung der tiefgreifenden patriarchalischen Strukturen, einen bitteren Beigeschmack. Das weite Spektrum der Widersprüche der traditionellen Großfamilie zwischen Geborgenheit und Zwang, zwischen funktionierendem System und Herd für Streit und Neurosen deutet sich eindringlich an und ähnelt dabei erstaunlicherweise in vieler Hinsicht dem diesjährigen "Berlinale"-Wettbewerbsbeitrag "Sh'chur" von Shmuel Hasfari aus Israel. Nur daß es sich hier um eine jüdische Familie handelte.
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