Die Detektivin

Krimi | Frankreich 1993 | 101 Minuten

Regie: Tonie Marshall

Eine selbstbewußte, unangepaßte Detektivin in Paris wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, als sie in einem Mordfall ermittelt und plötzlich ihrem 17jährigen Sohn gegenübersteht, den sie vor 14 Jahren verließ. Eine von einer überzeugenden Hauptdarstellerin getragene melancholische Kriminalkomödie ohne kriminalistische Höhepunkte, aber originell und charmant erzählt. Der Film stellt Fragen nach der Verantwortlichkeit des Menschen, läßt die Antworten aber offen. - Ab 16 möglich.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
PAS TRES CATHOLIQUE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Les Productions du 3ème Etage/AB/M6/Canal +/Bymages 2/Planètes et Compagnie
Regie
Tonie Marshall
Buch
Tonie Marshall
Kamera
Dominique Chapuis
Schnitt
Jacques Comets
Darsteller
Anémone (Maxime) · Roland Bertin (Monsieur Paul) · Grégoire Colin (Baptiste) · Michel Didym (Jacques Devinais) · Denis Podalydès (Martin)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Krimi | Komödie | Detektivfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Maxime ist über 40, raucht Kette; das Leben hat sich in ihr Gesicht hineingeschrieben, sie lebt allein und in Bescheidenheit. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich als Privatdetektivin, ihre bevorzugte Arbeitszeit ist die Nacht. Ein außergewöhnliches, aber geregeltes Leben, bis eines Tages ein Mitarbeiter der Detektei in Brüssel unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt und Maxime sich in dessen Fall verbeißt. Es geht um Grundstücksspekulationen und Brandstiftung, und Maxime, die vor 14 Jahren ihrem behüteten, aber unerfüllten Leben an der Seite eines geldgierigen Mannes abgeschworen hat, wird plötzlich nicht nur mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, sondern muß sich auch längst überwunden geglaubten Gefühlen stellen, sich die Defizite ihres Lebens eingestehen.

Plötzlich gibt es einen Liebhaber, und Maximes Wünsche und Bedürfnisse sehen mit einem Mal ganz anders aus. Das Ideal von grenzenloser Freiheit und Ungebundenheit, weicht dem Bedürfnis nach Geborgenheit, die Detektivin lernt nach Jahren der Einmischung auch, sich wieder einzulassen, wirft alle Bedenken über Bord und stellt sich letztlich vorbehaltlos ihren Gefühlen. Daß es zu diesem Schritt kommen kann, hat zweifellos auch mit der Begegnung mit ihrem Sohn zu tun, den sie als kleines Kind in Stich ließ. Nun ist der Junge fast erwachsen und läuft der Mutter bei einem Routineauftrag über den Weg. Sie gibt sich zu erkennen, bleibt aber neugierig-reserviert, während der junge Mann hartnäckig die Nähe seiner Mutter sucht, um ihr Wesen und den ihm so ungewohnten Lebenswandel zu ergründen. Erst als sie ihren Sohn vollends akzeptiert und er sie anerkennt, läßt sie die Bombe ihrer Ermittlungsarbeit platzen: an den Morden und Grundstücksschiebereien ist ihr Ex-Mann beteiligt. Sie überträgt ihr Wissen und damit die Verantwortung auf den Sohn, läßt ihn die moralische Entscheidung treffen, sie selbst setzt sich mit ihren Liebhaber ab - ist endlich frei.

Es ist sicherlich nicht leicht, eine ausgemachte Schlampe als Sympathieträgerin eines Spielfilms zu etablieren. Wenn dies funktionieren soll, dann muß ihre Umgebung ebenfalls ein wenig schäbig sein. Die Menschen, mit denen Maxime zu tun hat, sind alles andere als schön, ihr verkorkstes Leben spiegelt sich in ihren Gesichter und Körperhaltungen, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes gezeichnet, so daß Maximes Krähenfüße und Falten durch ihr jeweiliges Gegenüber immer wieder aufgefangen werden. Nur dem zunächst unbeschwerten Sohn gegenüber wirkt die Detektivin verbraucht, doch auch dies ändert sich zunehmend, und wenn den jungen Mann der Zorn übermannt, weil seine Mutter ihn in die moralische Verantwortung zwingen will, dann wirkt auch er gezeichnet, läßt den Menschen erahnen, der er nach vielen Erfahrungen und Enttäuschungen sein wird.

Die Regisseurin Tonie Marshall hat mit ihrem zweiten Film eine melancholische Kriminalkomödie geschaffen, die um die Fragen persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung kreist, ohne eigentlich Stellung zu beziehen. Die vielbeschworene Eigenverantwortung der Hauptperson, die auf ihren zwar schlampigen, aber integren Lebensweg durchaus stolz ist, erscheint spätestens nach der Begegnung mit ihrem Sohn in einem etwas anderen Licht. Die vorgegebene Stärke bekommt Risse; Selbstbestimmung, derart ichbezogen praktiziert, gerät in die Nähe der Flucht. Verantwortlichkeit muß sich auch auf das Umfeld des Menschen und nicht nur auf die eigene Person beziehen. Der Zuschauer fühlt geradezu, welche Zentnerlast Maxime vom Herzen fällt, als sie es ihrem Sohn anheimstellt, den Vater den Behörden auszuliefern, und sich selbst in einen unbeschwerten Urlaub absetzt. "Nicht sehr katholisch" (so der Originaltitel), d.h. moralisch ambivalent, versucht die Detektivin ihr Leben zu meistern, große Lebensentwürfe passen nicht in diesen Plan, sondern eine Politik der kleinen Schritte, die eine einmal getroffene Entscheidung erträglich macht. Die Schauspielerin Anemone geht ganz in dieser Rolle auf, unterstreicht den zwiespältigen Charakter Maximes, die sich nach Freiheit und Geborgenheit sehnt, die Verantwortung ganz groß schreibt und doch froh ist, sie delegieren zu können. "Die Detektivin" ist kein überwältigender Film, aber einer, der einen speziellen Zauber verströmt, vielleicht gerade deswegen, weil er sich nicht festlegen will, sondern das Leben als Spiel beschreibt, dessen Regeln im Bedarfsfall modifiziert werden können.
Kommentar verfassen

Kommentieren