Der Prinz und der Prügelknabe

Kinderfilm | Deutschland/Großbritannien 1994 | 96 Minuten

Regie: Syd Macartney

Ein mit seiner kleinen Schwester zusammenlebender Waisenjunge wird im 18. Jahrhundert an den Königshof verschleppt, um dem eingebildeten Thronfolger als Prügelknaben für dessen Streiche zu dienen. Während einer eher unfreiwilligen gemeinsamen Flucht entwickelt sich zwischen dem ungleichen Paar nach vielen Abenteuern eine Freundschaft. Ein zwischen Märchen und Sozialkritik angelegter, von unaufdringlicher Spannung und zurückhaltendem Humor getragener Kinderfilm, der seine "Botschaften" unterhaltsam vermittelt. Hervorragend inszeniert und fotografiert, erfrischend gespielt. - Sehenswert ab 8.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WHIPPING BOY
Produktionsland
Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Gemini Films
Regie
Syd Macartney
Buch
Max Brindle
Kamera
Clive Tickner
Musik
Lee Holdridge
Schnitt
Sean Barton
Darsteller
Truan Munro (Tommi) · Nic Knight (Prinz Boris) · Karen Salt (Annerose) · Andrew Bicknell (König) · Kevin Conway (der stinkende Billy)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 8.
Genre
Kinderfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Tivola (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Der Film entführt in die (Märchen-)Welt eines europäischen Königreiches im 18. Jahrhundert, in dem es Sitte war, sich einen Prügelknaben zu halten, der für die Streiche des jungen Thronfolgers geschlagen wurde, weil es sich nicht schickte, zukünftige Herrscher zu bestrafen. Boris von Brattenberg heißt der unaustehliche Flegel-Prinz, dem es Vergnügen macht zuzusehen, wie seine Prügelknaben ausgepeitscht werden, und der sich an ihren Schmerzensschreien ergötzt. Als er wieder mal einen neuen Prügelknaben sucht, fällt sein Auge auf den Waisen Tommi, der seinen Lebensunterhalt mit Rattenfangen verdient. Gerade als Tommi für sich und seine kleine Schwester Annerose eine menschenwürdige Unterkunft zusammengespart hat, wird er von Boris' Lakaien in den Palast verschleppt. Don wird er zwar in feine Kleider gesteckt, gut ernährt, von Boris' Lehrer im Schreiben und Lesen unterrichtet und sogar für seine "Dienste" entlohnt. Trotzdem widersetzt er sich Boris Befehl, bei den Züchtigungen kräftig zu schreien und denkt nur an Flucht. Annerose ist mittlerweile wegen angeblichen Diebstahls zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, und als Tommi ihren Abtransport beobachtet, drängt es ihn noch mehr zur Flucht. Da kommt ihm die Situation am Königshof zu Hilfe. Boris hat mit seinen Streichen einen Diplomaten aus einem Nachbarstaat düpiert. Nun sind die Friedensverhandlungen gefährdet, und der König droht seinem Sohn erstmals mit persönlich zu ertragender Prügel. Boris, der das alles nur inszeniert hat, um die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zu lenken, bekommt es mit der Angst zu tun. Er bildet mit Tommi eine "Zweckgemeinschaft" - und gemeinsam fliehen sie und machen sich auf den Weg, Annerose zu befreien. Unterwegs werden sie von den Wegelageren "Karl-Hals-ab" und "stinkender Billy" gekidnappt. Die des Lesens und Schreibens unkundigen Räuber zwingen Tommi, den sie für den Prinzen halten, eine Lösegeldforderung an seinen "Vater" zu schicken. Aber da sie den Brief mit dem Ring-Siegel des kurz zuvor beraubten Gesandten verschließen, glaubt der König an ein Komplott des verfeindeten Nachbarstaates und rüstet zum Krieg. Die beiden unfreiwilligen Freunde können schließlich in letzter Sekunde das Mißverständnis aulklären. Und auch für Annerose gibt es ein Happy-End: sie wird entlassen und darf künftig mit ihrem Bruder am Hofe leben. Natürlich wird es einen Prügelknaben dort nicht mehr geben.

"Der Prinz und der Prügelknabe" ist einer jener selten gewordenen Kinderfilme, in denen alles zusammenpaßt. Die spannende, aber nicht effekthascherisch inszenierte Geschichte ist durchzogen von einem unaufdringlichen Humor, gibt den kleinen Zuschauem durch ihren trotz aller Turbulenzen ruhigen Rhythmus Zeit. sich in die Handlung und die Charaktere der Personen hineinzudenken.Der Film entlarvt die Reichen zwar als arrogante "Pinkel", läßt sie aber nicht ganz das Gesicht verlieren. So kann Boris schließlich durch die aufkeimende Freundschaft zu Tommi lernen, seinen Standesdünke] zu überwinden. Die "Bösen" entpuppen sich eher als trottelige Ganoven denn als brutale Räuber. Aber auch die Armen bekommen ihr Fett weg, zeigen sich nicht gegen die "Korruption des Geldes" gefeit. Das Besondere an Macartneys Inszenierung ist ihre Kunst, die Kinder einerseits in eine Märchenwelt zu entführen, sie aber andererseits auch mit ihren eigenen, alltäglichen Problemen zu konfrontieren. Wem ist es noch nicht passiert, daß er sein Urteil über einen auf den ersten Blick unsympathischen Zeitgenossen korrigieren muß, wenn er ihn näher kennenlernt? Und welches Kind kennt nicht das Gefühl, von seinen Eltern vernachlässigt zu sein? Auch der bei Kindern meist noch intakte Gerechtigkeitssinn wird angesprochen: Annerose wehrt sich gegen die Begnadigung durch den König. Sie besteht auf der Feststellung ihrer Unschuld. In dieser eindringlichen Szene unterlaufen Autor und Regisseur ihr einziger Fehler: der Film, der ansonsten all seine pädagogischen Chancen nutzt, läßt hier den kriegstreibenden und Unrechtsurteile verkündenden Lordkanzler ungestraft davonkommen.

Daß der Film soviel Spaß macht, liegt auch an der bis in die Nebenrollen hinein prägnant besetzten Schauspielerschar. Besonders George C. Scott als "Blinder Karl", der Ratten aufkauft, um sie gegen Hunde kämpfen zu lassen, und die Französin Mathilda May als geheimnisvoll schöne Zigeunerin liefern Kabinettstückchen ihres Könnens ab. Aber auch Kevin Conway als "stinkender Billy" und Vincent Schiavelli als "Hals-ab-Karl" sind ein wunderbar tolpatschiges Gauner-Duo. Getragen wird die Geschichte allerdings vom erfrischenden Spiel der Kinder, deren "Natürlichkeit" Syd Macartney mit einem ungewöhnlichen Regietrick "herausgekitzelt" hat: er motivierte sie lautstark selbst während der Takes, so daß es hinterher bei der Montage Schwierigkeiten mit dem Herausschneiden seiner Anweisungen gab. Aber die Mühe hat sich gelohnt. Die Kamera liefert zu dieser überzeugenden Ensembleleistung schön komponierte Bilder, die die märchenhafte Stimmung der Geschichte betonen und auch ein wenig die sozialkritische Atmosphäre der Romane eines Charles Dickens atmen. Abgerundet wird der Film durch den zwar konventionellen, sich den Intentionen von Regie und Buch aber adäquat anpassenden Soundtrack.
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