Bullets over Broadway

Komödie | USA 1994 | 98 Minuten

Regie: Woody Allen

Eine in den "wilden 20ern" angesiedelte Komödie, die zwei scheinbar unvereinbare Welten - die Bohème des Broadway und den schießwütigen Mob - auf logische Weise zusammenführt: Ein junger Bühnenautor sucht einen Financier für sein neues Stück, ein Gangsterboß sucht eine Bühne, auf der sich seine nörgelnde Geliebte als Schauspielerin profilieren kann. Die ungewöhnliche Zweckgemeinschaft erhält zusätzlichen Zündstoff durch den Leibwächter der Gangsterbraut. Ein rundum gelungenes Filmvergnügen: die Geschichte wird konsequent zum tragikomischen Ende getrieben, das Schauspieler-Ensemble agiert ebenso ausgelassen wie diszipliniert, die Dialoge glänzen von zahllosen, punktgenau gesetzten Pointen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BULLETS OVER BROADWAY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Sweetland Films
Regie
Woody Allen
Buch
Woody Allen · Douglas McGrath
Kamera
Carlo Di Palma
Musik
Jerome Kern · Cole Porter · Richard Rodgers · George Gershwin
Schnitt
Susan E. Morse
Darsteller
John Cusack (David Shayne) · Chazz Palminteri (Cheech) · Dianne Wiest (Helen Sinclair) · Jim Broadbent (Warner Purcell) · Jennifer Tilly (Olive Neal)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
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IMDb | TMDB

Diskussion
"Ich habe mich verkauft. Ich bin eine Hure. Ich habe das Angebot, mein Stück von einem Gangster finanzieren zu lassen, angenommen. Es ist ein Pakt mit dem Teufel, und zur Strafe spielt seine Freundin eine Rolle." Kunst und Kompromiß, Kunst und Kommerz, Sex als Kunstform, Kunst als Sex-Ersatz - die Themen scheinen vertraut. Woody Allen hat sie wieder und wieder durchgekaut, manchmal ernsthaft, manchmal bemüht, oft - zum Glück - weniger ernsthaft. Aber so unernsthaft und unverkrampft wie in "Bullets over Broadway" ist er lange nicht mehr mit ihnen umgesprungen.

Die "Wilden 20er". Zwei Könige regieren New York: Broadway und der Mob. Der Teufelspakt führt sie zusammen. Der Autor, der sich verkauft, heißt David Shayne - jung, ambitioniert, aber nach zwei Flops bei seinem Produzenten nicht mehr sonderlich gelitten. Valenti, der Gangster, der die Situation rettet, indem er sich in Davids neues Stück einkauft, will nur eins, nämlich seine geliebte Olive aus der Tanztruppe, die ständig herumquengelt, daß sie eigentlich für größere Rollen bestimmt sei, zum Schweigen bringen. Und so platzt die Göre aus der Halbwelt lautstark, aber frei von jedem Talent, in ein Ensemble ohnehin schon leicht überspannter Mimen: die Hauptdarstellerin greift gern zur Hasche, ihr Partner neigt zur Freßsucht, die Engländerin in der Nebenrolle hätschelt unablässig ihren Chihuahua. Aber das eigentliche Problem erwächst dem über die Entwicklung ohnehin nicht sehr glücklichen Jungdramatiker in gänzlich unerwarteter Gestalt, nämlich der des Bodyguard, den Valenti als Aufpasser mit zu den Proben schickt. Olive sagt "Hü!", David sagt "Hott", Cheech, ansonsten eher wortkarg, sagt: "Sollen wir die Sache draußen klären oder gleich hier?!". Woraufhin David eifrig ins "Hü!" einstimmt.

Irgendwann langweilt sich der Killer in der letzten Reihe, der seine Zeit viel lieber beim Würfelspiel verbringen würde, dermaßen, daß er seinem Unmut über die blutleere O'Neill-Kopie auf der Bühne mit einem Verbesserungsvorschlag Luft macht. Natürlich findet er Gehör - wer probt schon gerne, wenn ein entsicherter Revolver auf ihn gerichtet ist? Aber der Vorschlag hat wirklich Hand und Fuß, das sieht selbst David ein, und Cheech sieht sich ermutigt, das Stück nach und nach umzukrempeln. Er wird zum Ghostwriter. Am tragikomischen Ende steht ein unerwarteter Erfolg, ein Autor, der sich über diesen Erfolg weniger freut, als man meinen sollte, ein Bodyguard, der mehr künstlerisches Ego entwickelt, als gut für ihn ist. Und im Hudson River treibt eine Leiche mehr.

Das Wesen aus einer anderen, viel handfesteren Welt, das dem Schmierentheater der Eitelkeiten unerbittlich einen Spiegel vorhält, bis es ihm selbst auf den Leim geht - ein wunderbarer Komödienstoff. Nur allzugerne ist man bereit, diese abseitige Zweckgemeinschaft zweier Welten ohne jeden Berührungspunkt, diesen überraschenden Rollentausch als völlig logischen Lauf der Dinge zu akzeptieren. Und Woody Allen wußte, was er da in der Hand hielt. Er räumt dem Unterhaltungswert der Geschichte absolute Priorität ein und inszeniert ohne alle Aufdringlichkeiten und unnötigen Schlenker. Wem das geschwätzige Improvisieren, die wackelige Handkamera seiner letzten Manhattan-Exkursionen als künstlerisches Recycling, wenn nicht sogar als (gewollte?) Selbstparodie erschien, der erlebt nun eine überaus angenehme Überraschung. "Bullets over Broadway" läßt sich ganz auf die Ausgelassenheit des Ensembles ein, ist zugleich aber mit aller gebotenen Disziplin in Szene gesetzt. Die Pointen sind genau auf den Punkt gebracht - und es gibt ihrer viele, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Der Mann, der zu Zeiten den Verdacht erweckt, er lege sich in dieser Hinsicht Fesseln an, um sein seriöses Renommee nicht etwa mit ein paar Albernheiten zu ramponieren. Dieser Mann läßt endlich einmal wieder alle Zügel schießen. Die Dialoge strotzen von witzigen Einfällen, manche davon könnten glatt auf Allens frühe Jahre als Gagschreiber zurückdatieren. Fast überflüssig zu bemerken, daß Woody Allen, der ja nicht zum erstenmal ein "period play" auszustatten hatte, auch die wildbewegte Prohibitionszeit mit aller Liebe wiedererweckt - mit viel Art Deco, in kräftige Farben getaucht. Und natürlich beschallt er die Sets, wo er nur kann, mit seinen Lieblingssongs der Herren Porter, Gershwin, Rodgers und Kern.

Liegt es daran, daß Allen mit "Bullets over Broadway" erstmals für seine eigene Produktionsgesellschaft wirtschaftet: Er hat jedenfalls selten so ökonomisch inszeniert, so effektiv, durchaus auch auf Effekte bedacht, ein Auge immer aufs imaginäre Publikum gerichtet. Darin ist er seiner - zumindest zu Beginn - künstlerisch so pragmatisch denkenden Hauptfigur Cheech nicht unähnlich: "Du schreibst nicht, wie die Leute reden. Das Publikum glaubt erst, was es sieht, wenn die Schauspieler echt klingen. Gib her, ich zeig's dir." Das ganze Ensemble prickelt vor Spielfreude - von Dianne Wiest als launischem Altstar bis hinunter zu Rob Reiner, der als selbsternanntes verkanntes Künstlergenie in wenigen Kurzauftritten eine überaus liebeslebensfrohe Kunsttheorie formulieren (und erproben) darf -, aber dieser erlesenen Schar setzt Chazz Palminteri das tragikomische Glanzlicht auf mit seinem Porträt eines Mannes, der durch seine eigenen Ansprüche verrückt wird. Wie so oft mag in diesem Zerrbild ein wenig gesunde Selbsteinschätzung des Künstlers selbst stecken. Kunst ist eben nicht alles. Sobald sie das ist, wird sie für manchen zu viel.
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