- | Großbritannien/USA 1994 | 128 Minuten

Regie: Peter Chelsom

Ein krisengeschüttelter Nachwuchskomiker flieht vor den Erwartungen seiner Umgebung, die ihn an der legendären Popularität seines Vaters und Vorgängers mißt, aus dem heimischen Las Vegas ins britische Blackpool, wo er die ersten Lebensjahre verbrachte. Dort findet er nicht nur den ersehnten Abstand, sondern auch unerwartete Wahrheiten über das Leben, seinen Beruf und seinen Vater. Mit feinem Gespür und sicherer Hand inszenierte intelligente Tragikomödie, die trotz ihrer ebenso komplexen wie originellen Geschichte mit kriminalistischen und märchenhaften Zügen nie unübersichtlich wird. Kino-Unterhaltung, bei der sich - trotz einiger übertrieben drastischer Szenen - Witz und Weisheit die Waage halten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FUNNY BONES
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Suntrust Films/Hollywood Pictures
Regie
Peter Chelsom
Buch
Peter Flannery · Peter Chelsom
Kamera
Eduardo Serra
Musik
John Altman
Schnitt
Martin Walsh
Darsteller
Oliver Platt (Tommy Fawkes) · Jerry Lewis (George Fawkes) · Lee Evans (Jackie Parker) · Leslie Caron (Katie Parker) · Richard Griffiths (Jim Minty)
Länge
128 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Mit seinem großartigen Debüt "Hear MySong" (1992, fd 29 772) hat der damals 36jährige Brite Peter Chelsom als Riesentalent in Sachen Drehbuch und Regie überrascht. Doch nach einem solchen Ausnahmeerfolg liegt die Meßlatte hoch, und viele der mit Lorbeeren bekränzten Newcomer im harten Spielfilmgeschäft scheitern beim zweiten Mal unter dem Erwartungsdruck. Peter Chelsom meistert diese Klippe nicht nur mit Bravour, sondern er nutzt die Erfahrung sogar in produktiver Weise, indem er sie in abgewandelter Form zum Ausgangpunkt seines neuen Spielfilms macht.

Während vor der Küste des englischen Seebades Blackpool in letzter Minute die Übergabe eines Koffers mit mysteriösen Holzeiern gegen ein Vermögen scheitert, bereitet sich im fernen Las Vegas der Nachwuchskomiker Tommy Fawkes in der Umkleide des Hilton-Oasis-Casinos auf seinen Einsatz vor. Über einen Lautsprecher wird der von Identitätskrise und Lampenfieber geschüttelte Jung-Entertainer Ohrenzeuge des triumphalen Einzuges seines Vaters, der Comedy-Legende George Fawkes (personifiziert in Jerry Lewis). Das Publikum huldigt dem seit drei Jahrzehnten populären Komiker mit stehenden Ovationen. und der Moderator kündigt Tommy nicht einmal namentlich an, sondern nur als den "Mann, der das Talent von George Fawkes geerbt hat". Natürlich wird sein Auftritt ein Fiasko, und so flieht Tommy vor den Erwartungen seiner familären und beruflichen Umgebung, die ihn allein am Erfolg seines Vorgängers mißt. nach Blackpool, jenen Ort. wo er mit seinen Eltern die ersten sechs unbeschwerten Jahre seines Lebens verbrachte. In der Hoffnung, Distanz zu seinen Problemen zu finden und - mangels eigener Ideen -gelungene Gags einheimischer Komiker aufkaufen zu können, läßt der amerikanische Millionärssohn durch einen örtlichen Agenten die gesamte Künstler-Gemeinde des ehemals mondänen Seebades zu "auditions" antreten. Bei den hinreißenden Kostproben der Witzeerzähler. Jongleure. Tanzer. Musikanten. Dompteure und Imitatoren lernt Fawkes den sechs Jahre jüngeren Jackie Parker kennen. einen glänzenden Komiker, der als geistig minderbemittelt gilt. seit er im Jugendalter bei einer an sich harmlosen Clownsnummer seinen Partner (und Peiniger) erschlug. Durch den sympathischen jungen Mann bekommt

Tommy auch Kontakt zu dessen Onkel und Vater, den Parker-Brothers, früher einmal gefeierte Manegen- und Bühnenstars, nun aber abgehalfterte Hungerleider, die nach diversen Schicksalsschlägen vor 30 Jahren in der Versenkung verschwanden. Als sie mit ihrer vielgepriesenen "Parker-Routine" beginnen, erkennt Tommy sofort jede Geste, jedes Wort. Aufgebracht beschuldigt er die beiden Alten des Diebstahls am geistigen Eigentum seines Vaters, doch nach einem Hinweis von Katie Parker (glänzend: Leslie Caron), der Mutter des unehelich geborenen Jackie, muß er erkennen, daß dies keineswegs die einzige Möglichkeit ist.

Was den mit überbordender Fantasie ersonnenen, mit Gespür für Nuancen und leichter, jederzeit sicherer Hand inszenierten Film vor allem auszeichnet, ist die ständige unmittelbare Nähe des Komischen und des Tragischen. Das zeigt sich beispielsweise in der Sequenz, in der die völlig verarmten Kleinkünstler von BIackpool ihre jedermann erheiternden Spaße treiben, nachdem sie selbst sich noch kurz zuvor im Warteraum um billige Sandwiches haben streiten müssen. "Funny Bones" plaziert - und das ist das Erfolgsgeheimnis Chelsoms und der beiden (fiktiven) Parker-Brüder ebenso wie aller wirklich(en) großen Clowns und Komödianten - Fröhlichkeit und Traurigkeit nicht als unverträgliche Gegensätze, um kurze Effekte aus dem offensichtlichen Kontrast zu erzielen: hier sind sie als untrennbar zusammengehörige Lebensstimmungen empfunden. zwei verschiedene Seiten derselben Medaille, wie es die den Bildern folgerichtig unterlegte Blues-Musik ausdrückt. Freude und Spaß sind im Leben ohne Schmerz und Leid nicht zu haben, und von alledem bietet der Film reichlich, ohne je rührselig zu werden.

Erstaunlich ist die Bandbreite von Chelsoms zweiter Regie-Arbeit: zugleich große Familiengeschichte und kleiner Krimi, nostalgischer Rückblick auf den vergangenen Glanz seiner Heimatstadt BIackpool, Ehrerbietung an Artisten und Komödianten aller Couleur, charmanter Dank an die Altstars Jerry Lewis und Leslie Caron, und nicht zuletzt aktuelle, populäre Kino-Komödie für Herz und Verstand. Sie sprengt mühelos den ohnehin schon weit gesteckten Rahmen des Erzählten und gewinnt in ihrer aufrichtigen Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit umfassende Bedeutung. Dabei verliert der "Anhänger" Chelsom in seiner komplexen und detailfreudigen Erzählung niemals die Übersicht und hält die Balance zwischen Tradition und Moderne, Stilen und Stimmungen, Witz und Weisheit -eine reife Leistung, wie sie selbst viel erfahreneren Kollegen nur sehr selten gelingt.
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