The Kingdom - Hospital der Geister

Komödie | Dänemark/Schweden/Deutschland 1994 | 278 Minuten

Regie: Lars von Trier

Im Reichskrankenhaus von Kopenhagen findet der Geist eines 1919 ermordeten Mädchens erst seine Ruhe, als sich eine simulierende Patientin seiner annimmt. Doch damit ist das Böse noch längst nicht aus der Welt verbannt. Eine kuriose und manchmal erschreckende Horrorgroteske, die eine spirituelle Welt gegen die der wissenschaftlichen Erklärungen abgrenzt. In einer Vielzahl von ironisch-parodistischen Episoden beleuchtet der intelligente Gruselspaß ebenso beiläufig wie treffend das Arbeits-, Gesellschafts- und Gefühlsleben der verschiedenen Patienten und Mitarbeiter der Großklinik. Inszenatorisch werden die Stilmittel des Reality-TV genutzt, um diese Form der Fernsehunterhaltung als einen Weg in eine Unterhaltungssackgasse ab absurdum zu führen. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Geister"; Titel der fünf Fernsehteile: 1. "Die höllischen Heerscharen", 2. "Dein Reich komme", 3. "Horcht und Ihr werdet hören", 4. "Ein fremder Leib", 5. "Der lebende Tote") - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
RIGET | KINGDOM
Produktionsland
Dänemark/Schweden/Deutschland
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Zentropa/Denmark Radio/Swedish Television/WDR/arte/The CoProduction Office
Regie
Lars von Trier
Buch
Lars von Trier · Niels Vørsel · Tomas Gislason
Kamera
Eric Kress
Musik
Joakim Holbek
Schnitt
Jacob Thuesen · Molly Marlene Stensgård
Darsteller
Ernst-Hugo Järegard (Stig Helmer) · Kirsten Rolffes (Sigrid Drusse) · Ghita Nörby (Rigmor) · Søren Pilmark (Dr. Krogen) · Annevig Schelde Ebbe (Mary)
Länge
278 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Komödie | Horror
Externe Links
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Heimkino

Die aufwendig edierte DVD-Box enthält die un- respektive umgeschnittene Version beider TV-Staffeln von 1994 und 1997 (eingefügte Sequenzen sind im Original, dt. untertitelt). Das Bonusmaterial überzeugt durch einen Szenen-Audiokommentar des Regisseurs, des Produzenten Niels Vorsel und des Cutterin Molly Stensgard sowie durch ein 40-minütiges Portrait/Interview über Leben und Werk des Regisseurs. Die Edition ist mit dem Silberling 2005 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Koch (FF, DD2.0 dän./dt.)
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Diskussion
"Wenn die Welt traurig ist, dann weinen die Kinder. Wenn die Welt schrecklich ist, dann weinen die Erwachsenen. Aber was ist mit der Welt, wenn sogar die Häuser anfangen zu weinen?" Sogar die Häuser weinen, das wissen zumindest die debilen Tellerwäscher im Königlichen Reichskrankenhaus zu Kopenhagen, die als antiker Chor Lars von Triers ausufernde Geschichte begleiten. Allen Grund zum Weinen hat das Reichskrankenhaus zur Genüge, doch seine Tränen sind nicht salzigwässern, sondern blutig-rot - das auf dem Sumpfland der Färber errichtete Gebäude birgt ein grauenhaftes Geheimnis und ist ein Hort des Bösen, das zwar vorübergehend vertrieben, aber nicht ausgerottet werden kann, wie die Geschichte zeigen wird. Wäre nicht die Dauersimulantin Sigrid Drusse, die sich einen Aufenthalt in der renommierten Anstalt erschleicht, so würde wahrscheinlich alles beim alten bleiben: Marys Schreie blieben ungehört. Doch Frau Drusse mischt die altehrwürdige Krankenanstalt auf und kommt den Geistern auf die Spur, die das Gemäuer beherbergt. Während nach außen alles seinen gewohnt chaotischen Gang geht, dringt die Hobby-Spiritualistin in das Wesen, die Seele, des Gebäudes ein und kann am Ende in der Tat die Errettung einer Seele verbuchen.

Doch vor diesen spirituellen Abgründen, die sich den Wissenden auftun, herrscht Klinikalltag. Dr. Stig Helmer, ein schwedischer Mediziner, der seiner Verachtung für alles Dänische zu jeder Zeit Ausdruck verleiht, versucht Ordnung in seine Karriere zu bringen und driftet letztlich doch in den Voodoo-Kult ab; Professor Moesgaard, der Klinikleiter, will mit der "Operation Morgenluft" neuen Wind in sein Krankenhaus bringen und scheitert kläglich; Assistenzarzt Dr. Krogen hat sich im Keller des Gebäudes eingerichtet, bewirtet seine Gäste mit medizinischem Alkohol und extrahiert Kokain aus Augentropfen, das er den Kollegen in den oberen Etagen äußerst gewinnbringend verkauft; Dr. Bondo, der Leberspezialist der Klinik, wird eine Lebertransplantation erleiden, die ihm das monströs angeschwollene karzinome Organ eines verstorbenen Patienten einbringen wird. Über allem wacht die Loge der "Söhne des Königreiches", deren seltsame Rituale den Anspruch der hehren Wissenschaftlichkeit ad absurdum führen.

So viel zum Klinikbetrieb, den auch wie von Geisterhand gelenkte Krankenwagen aufrechterhalten. Auf der menschlichen Ebene spielen sich ganz andere Dramen ab. Dr. Helmer hat einen ärztlichen Kunstfehler zu vertuschen; seine verlassene Geliebte stillt ihren Schmerz, indem sie im Keller freigelassene Laborratten erschießt; Frau Drusse hat sich nicht nur mit dem Geist der 1919 ermordeten Mary auseinanderzusetzen, sondern auch mit ihrem ebenso tumben wie störrischen Sohn, Pfleger des Reichskrankenhauses, der im Laufe der Ereignisse zum Exorzisten wird; im Schlaflabor, der Vorzeigeabteilung der Neurochirurgie, ist an gesunden Schlaf nicht zu denken - Kannibalen und lebensfrohe Schwestern stören den Schlaf. Dr. Judith kommt mit einem Monstrum nieder, das sich nicht abtreiben läßt und als Reinkarnation des Bösen die Befreiung Marys in Frage stellt.

Ein überaus morbides Szenario, das dem dänischen Regisseur Lars von Trier wie auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Hier vereinigt sich "ghost novel" mit der Kritik am Wohlfahrtsstaat, und über fünf Stunden lang kann der Regisseur seiner Lust am Fabulieren freien Lauf lassen. Er tut dies mit den Mitteln des Fernsehens, hinterfragt arglistig die Stilmittel der "daily soap", setzt die für ihn ungewohnte Handkamera im Sinne des Reality-TV ein. Im Gegensatz zu von Triers früheren Arbeiten ("The Element of Crime", fd 25 122; "Europa", fd 28 983) ist Spontaneität gefragt, nicht die sorgsam durchdachte Sequenz bestimmt das Geschehen, sondern der spontane Einfall, der die abstruse Geschichte vorantreibt. Monochromatisch eingefärbte Szenen geben die ausgesprochen düstere Grundstimmung vor, hektische Schnitte sorgen für einen schnellen Szenenwechsel, durch den zwar vieles gezeigt werden kann, der jedoch wenig erklärt. Hier bleibt von Trier dem klassischen Schauerroman verpflichtet, der weniger auf Logik als auf überzeugende Stimmung aufgebaut ist.

Die Abkehr von den Gesetzen der Logik, die Suche nach übersinnlichen und spirituellen Werten im ach so wissenschaftlich geordneten und erklärbaren Alltag ist denn auch das Hauptanliegen dieser sperrigen Horror-Komödie, die voller aberwitziger Einfälle steckt und immer dann, wenn man auf befreiendes Lachen hofft, eine neue garstige Idee zu bieten hat. Der Trick bei der ganzen Geschichte ist, das von Trier nicht den Horror pur im Splasher-Manier inszeniert, obwohl er mit diesen Stilmitteln durchaus spielt, sondern ganz alltägliche Ängste verstärkt. Von Trier spielt mit der Angst vor Krankheiten, Operationen und Krankenhäusern, er stellt die Autorität der Ärzteschaft zur Disposition, weist auf die Lücken hin, die unser vorgeblich so durch und durch wissenschaftlich erklärbare Alltag hat. Wissenschaft - nicht nur die medizinische - wird so als moderner Aberglaube angeprangert, ein Glaube, gegen den sich der Film bereits zu Beginn ironisch verwahrt. Doch in "The Kingdom" ist weniges so, wie es am Anfang erscheint, hinter jeder noch so alltäglichen Handlung klafft plötzlich eine Lücke, durch die Verunsicherung ins Leben eindringen kann. Von Trier versucht hinter das Unerklärbare zu schauen, wendet sich gegen ein Leugnen der spirituellen Welt. Fantasie und Fabulierlust sind seine Waffen, die er auch gegen den Zuschauer einsetzt, gerade um ihn bei der Stange zu halten. Dabei wird die traditionelle Fernsehserie gegen den Strich erzählt, werden vertraute Stereotypen in anderen Kontexten gezeigt. Von Trier baut auf die Medienerfahrung seiner Zuschauer, um sie im geeigneten Moment unterlaufen oder übersteigern zu können. Da wird die Gehirnoperation zur blutigen Farce und die (illegale) Organspende zur mehr als grausigen Angelegenheit. Eine absurde Gespenstergeschichte voller Komik und Chaos, die mit dem Schrecken ihre makabren Späße treibt und dadurch einen sehr eigenwilligen Reiz erlangt.

Die Kinofassung des Films weicht stark von der Fernsehfassung ab, wobei beide Versionen ihre Verdienste haben. Im Kino wird die Geschichte wesentlich komplexer erzählt, die Vorgeschichte der eigentlichen Handlung wird eindringlicher erklärt; die gekürzte Fernsehfassung ist schwieriger zu durchschauen, gefällt sich im Mut zur Lücke und Auslassung, doch am Ende jeder Folge tritt der Meister selbst auf, gibt Ratschläge - nicht nur für seine Serie. Er fordert den Zuschauer auf, bereit zu sein für das Gute und das Böse und nicht die Augen zu verschließen, weil erst dann das Grauen übermächtig wird.
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