Drei Tage im April

Drama | Deutschland 1995 | 105 Minuten

Regie: Oliver Storz

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs werden die Bewohner eines schwäbischen Dorfs mit drei Eisenbahnwaggons konfrontiert, in denen Häftlinge eines Konzentrationslagers zusammengepfercht sind. Unausweichlich werden sie so zu Zeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und zur Reaktion gezwungen. Eine sorgfältig inszenierte Parabel mit teils hervorragenden schauspielerischen Leistungen, aber auch strukturellen Schwächen. Überzeugend und eindrucksvoll ist sie immer dann, wenn sie aufmerksam den Empfindungen der Menschen nachspürt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Süddeutscher Rundfunk/arte/ORF
Regie
Oliver Storz
Buch
Oliver Storz
Kamera
Hans Grimmelmann
Musik
Werner Fischötter
Schnitt
Jürgen Lenz
Darsteller
Karoline Eichhorn (Anna) · April Hailer (Irene) · Ewa Bukovska (Helena) · Walter Schultheiß (Klenk) · Dieter Eppler (Stegmaier)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Der Film berichtet von einer "wahren Begebenheit" aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Das erläutert der Erzähler, der sich nur kurz in einer in der Gegenwart spielenden Rahmenerzählung zu Wort meldet. Mitte der 90er Jahre werden an einem Bahngleis menschliche Skelette gefunden. Keiner weiß, wie sie dorthin gekommen sind. Nur eine alte Frau erinnert sich, was vor 50 Jahren geschah. Ihre Erinnerung bringt die Geschichte des Films in Gang. In einem schwäbischen Dorf halten sich im April 1945 neben der Bevölkerung aus alten Menschen, Frauen, Kriegsverletzten, Zwangsarbeiten] und Kindern auch Gestrandete des Krieges wie die Sängerin eines Truppentheaters, ein Feldwebel, ein Deserteur und versprengte Truppenteile auf. Die amerikanischen Truppen sind nicht mehr weit entfernt. Dann und wann klingt Geschützalarm in das Dorf. Die terroristische Ordnung des nationalsozialistischen Gewaltstaates halten nur noch umherschweifende SS-Verbände aufrecht. Sie erschießen einen Deserteur, der sich in die Wirtschaft des Dorfs geflüchtet hat. Die anderen Soldaten treiben sie wieder an die zusammenbrechende Front. Die Dorfbewohner, die über den "Endsieg" nur noch höhnen können, werden durch den Zusammenbruch des Reiches verwirrt. Ihre angestammten Autoritäten haben in den letzten zwölf Jahren an Bedeutung verloren und müssen - wie der Pfarrer - als Institution erst wiederentdeckt werden, während sich die NS-Größen verängstigt zurückziehen. Ungewöhnliche Paare finden auf Zeit zusammen und suchen die Lust, als wäre es das letzte Mal. Und mancher träumt schon vom Schwarzmarkt, der kommt, wenn endlich der Krieg zu Ende ist.

In der Nacht zum zweiten Tag werden drei Waggons eines Zugs mit den Häftlingen eines Konzentrationslagers im Bahnhof abgekoppelt. Der Bahnhofsvorstand versucht das zu verhindern. Doch der Kommandant des Transports läßt ihn mit dem Hinweis, er würde gleich bei denen im Wagen enden, verstummen. Bewacht von drei Soldaten stehen die Waggons am Rande des Dorfs auf einem Abstellgleis. Leichen werden aus den Wagen gezogen und zwischen den Gleisen verscharrt. Die Dorfbewohner hören tags wie nachts das Schreien und Flehen der eingepferchten Häftlinge. Sie sehen, wie die ausgemergelten Menschen ihre Hände mit der Bitte um Wasser und Brot aus den vergitterten Fenstern strecken. Erst versuchen sie, die Wagen und ihre Insassen zu verdrängen, so wie sie in den letzten zwölf Jahren immer weggehört und weggeschaut haben. Doch dann reagieren sie. Langsam und furchtsam beginnen sie zu handeln. Zaghaft bildet sich ein kleiner Trupp, der den Eingesperrten Lebensmittel reichen will. Aber nicht der Pfarrer, sondern erst die Sängerin setzt mittels Alkohol durch, daß die Tore der Waggons für zehn Minuten geöffnet werden dürfen. Stumm und bewegungslos stehen die Dorrbewohner vor dem sich ihnen darbietenden Elend der verhungernden, verdurstenden, an Körper und Seele geschundenen Häftlinge. Die einzige, die nicht vor Entsetzen erstarrt, ist die polnische Zwangsarbeiterin Helena. Sie reicht Brot und Wasser in die Waggons, während die anderen den Blick abwenden und das Bahngelände verlassen.

Am dritten Tag ist die Wachmannschaft spurlos verschwunden. Der Gemeinderat kann sich nicht entschließen, die Gefangenen zu befreien - aus Furcht vor den SS-Verbänden, aber auch aus Angst vor den Häftlingen. Man wisse ja nicht, wie man ihnen medizinisch helfen könne. Und dann wäre niemand da, der sie vor den Häftlingen schützen könnte, wenn diese gewalltätig würden. Stattdessen beschließt er, die drei Waggons in die Nachbargemeinde Engelstal abzuschieben. Zum Glück geht es nach Engelstal bergab. So treten die alten Männer des Dorfs an, um die Wagen aus ihrer Gemeinde hinauszuschieben. Über das weitere Schicksal dieser KZ-Häftlinge, so der Kommentar, sei nichts bekannt.

Der Film besticht durch seine sorgfältig Ausstattung, seine souveräne, die Räume in komplizierten Fahrten und Schwenks durchmessende Kamera und durch eine ausgeklügelte Tonmontage, in der sich Geräusche und Musik wechselseitig überlagern. Das Schauspieler-Ensemble überzeugt besonders dann, wenn es zu leisen Tönen findet, und wenn die Gesichter in Großaufnahmen die Emotionen der Personen widerspiegeln. Grandios das Spiel der jungen Karoline Eichhorn, die als Anna die komplexeste Person darzustellen hat. Die blonde, blauäugige Schönheit, Tochter des Gastwirts, ist die BDM-Führerin des Dorfs, überzeugte Nationalsozialistin, deren Illusionen über Führer, Volk und Vaterland angesichts des Schreckens und des Mordens zerbrechen. Wie sie erstaunend das Ansinnen des Deserteurs, ihn zu verstecken, noch abwehrt, um später den Karren mit Lebensmitteln für die Häftlinge zu beladen, das spielt Karoline Eichhorn mit genauem Gespür für kleine Gesten und mimische Zurückhaltung ebenso präzise wie anschaulich.

Die Schwächen des Films bestehen in seiner Parabelstruktur. Damit das Dorf auch für das Ganze (sprich: Deutschland) stehen kann, müssen die Versprengten des Krieges auch ja in allen nur möglichen Dialekten des Reiches sprechen. Ihre Erfahrungen hat Storz oft zu sinnträchtigen Sentenzen kondensiert, die nur schwerfällig aus den Mündern der Schauspieler herauspurzeln wollen. Die Konflikte der Dorfbewohner leiden unter dem Zwang, mehr repräsentieren als erzählen zu müssen. So wird die Nähe von Sex und Tod zu sehr betont, als daß sie noch von erzählerischer Bedeutung im Einzelfall sein könnte. Ebenso demonstrieren Ausstattung und Kamera gelegentlich, wie stolz sie auf die detailgenaue Rekonstruktion sind. Immer dann verliert der Film, wenn er das Allgemeine zu Lasten des Besonderen in den Vordergrund rückt. Umgekehrt gewinnt er, wenn er sich auf seine Geschichte und ihre Personen konzentriert. So schlägt er den Zuschauer spätestens nach dem ersten Drittel in Bann, wenn er zeigt, wie die Dorfbewohner auf die Häftlinge schauen und sie erst allmählich tatsächlich auch sehen. Und wie sie sich alle Mühe geben, diesen Blick zu verdrängen. Die Häftlinge bleiben anonym. Sie stehen für die Millionen Menschen, die von der Gesellschaft, die das Dorf repräsentiert, umgebracht wurden. Wie ihnen wann und wie wirklich zu helfen gewesen wäre, deutet der Film nicht einmal an. Er beschreibt in Form einer Parabel, wie die Mitläufer und Zeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf den Anblick der Opfer reagieren.
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