Quer durch den Olivenhain

Drama | Iran 1994 | 104 Minuten

Regie: Abbas Kiarostami

Ein junger Iraner wird bei seiner Werbung um die einer höheren sozialen Klasse angehörende Geliebte von deren Eltern abgewiesen. Auch nach einer Erdbebenkatastrophe, die die sozialen Unterschiede "einebnet", bleibt seine Liebe chancenlos. Dritter Teil einer Trilogie (nach "Wo ist das Haus meines Freundes?" und "Und das Leben geht weiter"), die Personen und Handlungsmomente der vorhergehenden Teile aufgreift und kunstvoll verknüpft. Trotz der Komplexität der Geschichte und des wirkungsvollen Kunstgriffes "Film im Film" ein schlichter Film, der das Hohe Lied der Liebe anstimmt. Geprägt von tief empfundener Humanität, mit hervorragender Kameraarbeit, nicht ganz frei von Schwachstellen in der Personenzeichnung. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ZIR E DARAKHTAN E ZEYTON
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Abbas Kiarostami Prod.
Regie
Abbas Kiarostami
Buch
Abbas Kiarostami
Kamera
Hossein Djafarian · Farhad Saba
Schnitt
Abbas Kiarostami
Darsteller
Hossein Rezai (Hossein) · Mohamed Ali Keshavarz (Regisseur) · Tahereh Ladania (Tahereh) · Farhad Kheradmand (Farhad) · Zarifeh Shiva
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Ein komplexer und gleichzeitig schlichter Film voll innerer Schönheit als Abschluss einer Trilogie, der das Hohe Lied der Liebe anstimmt.

Diskussion

Eine Geschichte, scheinbar so alt wie die Menschheit: Ein junger Mann hängt sein Herz an ein junges Mädchen, das seine Liebe zu erwidern scheint, doch da die beiden verschiedenen sozialen Schichten entstammen, ist an eine dauerhafte Verbindung kaum zu denken. In Kiarostamis Film sind es Hossein und Tahereh, deren erste Liebe auf die harte Belastungsprobe gesellschaftlicher Konventionen gestellt wird.

Hossein, Analphabet und seit frühester Jugend auf sich gestellt, war Zeit seines Lebens auf dem Bau beschäftigt. Eines Tages bemerkt er im Haus gegenüber der Baustelle Tahereh, deren Anblick sein weiteres Schicksal bestimmt. Auf der Stelle hält er um ihre Hand an, wird jedoch von deren vermögender Familie mangels Bildung und Besitz unmißverständlich abgewiesen und verliert auf Betreiben von Taherehs Eltern obendrein seine Beschäftigung.

Wegen dieser Ungerechtigkeit, so schlußfolgert zumindest Hossein, bricht darauf ein Erdbeben los, dem auch die Besitztümer von Taherehs Familie zum Opfer fallen. Nun, da sie sämtlich ohne Hab und Gut und vor allem ohne eigenen Hausstand dastünden und damit alle in gewisser Weise "gleich" geworden seien, schöpft Hossein neue Hoffnung. Sein Werben bei der Großmutter, unter deren Obhut Tahereh jetzt steht, wird jedoch wiederum entschieden und unwiderruflich abgewiesen.

Abschluss einer Trilogie

Was sich in dieser linearen Darstellung wie eine morgenländische Variation auf den Shakespeareschen Konflikt der Montecchi und Capuletti liest, wird von Abbas Kiarostami höchst kunstvoll verfeinert und verschachtelt, auf mehreren Erzählebenen perspektivisch gespiegelt und gebrochen, um bei aller Komplexität der Struktur dennoch den Gestus von Schlichtheit und Schönheit, Einfachheit und Direktheit zu bewahren.

Wie der Faden seines Erfolgsfilms Wo ist das Haus meines Freundes? (1988) mit der fiktiv dokumentierten Suche nach den im verheerenden Erdbeben verschollenen Helden in "Und das Leben geht weiter" (1992) wieder aufgenommen wird, so kehrt "Zir e Darakhtan e zeyton" (wörtlich: "Unter den Olivenbäumen"), der Abschluss der Trilogie, neuerlich in den Nordiran zurück, um eine Szene des vorangegangenen Films aufzugreifen. Das junge Paar, das in der damaligen Naturkatastrophe die gesamte Verwandtschaft verlor und dennoch sofort die aufgeschobene Ehe vollziehen wollte, sind Hossein und Tahereh bzw. werden von den beiden Laiendarstellern gleichen Namens "verkörpert". Dabei gibt das nicht selten verwirrende Geflecht von Fiktion und Dokument, Vorgefundenem, Erfundenem sowie einem Gemisch aus beidem unablässig Anlaß, der darin gleichermaßen verwobenen wie verborgenen "inneren" Wahrheit nachzuspüren.

Wie auf einer Brecht-Bühne

Der entscheidende Kunstgriff aber gelang Kiarostami mit der Einführung eines weiteren Regisseurs, der nunmehr die (fiktiven) Dreharbeiten seines Kollegen zu "Und das Leben geht weiter" leitet. Der "Film im Film" mit gleich zwei Alter ego bietet solchermaßen Gelegenheit zu Selbstreflexion und manigfachen Betrachtungen über das Metier des Filmemachens. Das schafft jenes gehörige Maß an nüchterner Distanz und verfremdender Mehrdeutigkeit, das dem Zuschauer einen individuellen Einstieg in das Geschehen ermöglicht.

Wie auf einer Brecht-Bühne zeigt die erste Einstellung einen älteren Mann frontal zur Kamera, der sich als der Darsteller des Regisseurs vorstellt und den Ort des Geschehens – Koker, 350 Kilometer nördlich von Teheran – bekanntgibt. Dicht zusammengedrängt steht im Hintergrund eine Gruppe von Mädchen in traditioneller Schulkleidung, bodenlangen Gewändern, die aus der Ferne wie ein dunkler Bühnenvorhang wirken. Die Schulmädchen verwickeln den Regisseur in einen hitzigen Disput über Sinn und Unsinn des gerade ablaufenden filmischen Geschehens, was das Urteilsvermögen des "unparteiischen" Zuschauers unvermittelt auf die Probe stellt und ihn in den von nun an fortdauernden Spannungszustand von Authentizität und Erfindung verwickelt.

Womöglich aber beginnt der "richtige" Film erst jetzt, nach dem auf diesen Prolog folgenden Titelvorspann mit den Klängen von Pink Floyd, die allmorgendlich das aus dem iranischen Rundfunk vertraute Kalenderblatt musikalisch untermalen. Es ist der 30. Mai 1993, plärrt die Nachricht aus dem Radio eines Minibusses, der sich durch eine Ruinenlandschaft seinen Weg zum Drehort bahnt. Vom Straßenrand wird der Lehrer aus "Wo ist das Haus meines Freundes?" aufgelesen. Tahereh, eines der Mädchen aus der Eingangsszene, wird vom Haus ihrer Großmutter abgeholt.

Schließlich begegnen einem unterwegs auch noch die beiden Freunde aus Kiarostamis früherem Film. In Großaufnahme wird die Filmklappe geschlagen – ein möglicher weiterer Film-"Beginn" – und wie durch das Objektiv der Kamera verfolgt der Zuschauer nun die (nachgestellten) Arbeiten an einer Szene zu "Und das Leben geht weiter". Auf dem Set versagt der (Film-)Partner von Tahereh, dem der bloße Anblick des Mädchens die Sprache verschlägt. An seiner Stelle agiert schließlich Hossein, was laufend neue Schwierigkeiten heraufbeschwört, da dieser auch "in Wirklichkeit" hinter Tahereh her ist. Ein und dieselbe Szene muß zigmal wiederholt werden, während Hossein in den Drehpausen nichts unversucht läßt, um mit seiner Werbung doch noch zum Ziel zu kommen. Tahereh aber verweigert selbst das kleinste Zeichen der Zuneigung. Ganz zum Schluß, als die Dreharbeiten bereits beendet sind, nimmt er gleichsam einen letzten Anlauf und eilt der Angebeteten nach, die auf ebenjenen Serpentinen einen Hügel erklimmt, auf denen einst der kleine Ahmad die Spur seines bedrängten Freundes aufnahm.

Ein optimistischer Schluss – und dennoch regt sich Skepsis

Was seinerzeit in einer Parabel auf die Kraft der Freundschaft gipfelte, wird hier zum Hohelied der Liebe, das wunderbarerweise jenseits des Hügels beider Lebenswege doch noch zu vereinen scheint, wie sich das extrem verzögerte Finale zu den heiteren Klängen europäischer Klassik sehen läßt. In einer überwältigenden Totalen, die die Liebenden in der endlosen Weite des frühlingshaften Olivenhains aufgehen und untertauchen läßt, kehrt Hossein nach einem kurzen Zusammentreffen mit Tahereh munter auf den Zuschauer zueilend zurück.

Dieser offene und dennoch optimistische Schluß gibt sich unschwer als utopischer Vorgriff zu erkennen. Allzu stark sind im Iran die sozialen Zwänge, als daß der einzelne sein Glück in eigenen Händen hielte. Selbst wenn Tahereh Hosseins anrührendes Werben am Ende erwidert hätte, was ihr allein schon aus Gehorsam der Familie gegenüber kaum möglich sein dürfte, so bliebe ihre Entscheidung vermutlich folgenlos.

Kiarostamis künstlerische Meisterschaft und sein humanistisches Credo sind über jeden Zweifel erhaben – und dennoch regt sich einige Skepsis. Zum einen scheint das filmische Verwirrspiel stellenweise zu weit getrieben, was den klärenden, offenbar nachträglichen Prolog notwendig machte. Einiges bleibt dennoch unklar (dazu zählt der Part des Regisseurs aus "Und das Leben geht weiter"), manches wird verschenkt bzw. falsche Erwartungen werden geweckt (das wiederholte Auftauchen des Freundespaares), hinzu kommen Typisierungen und poetische Projektionen in die Welt der kleinen Leute.

Der entscheidende Fehlgriff aber unterlief Kiarostami in der Besetzung des Regisseurs mit einem der bekanntesten Berufsschauspieler des Landes. In ihrer archaisch-patriarchalen Erscheinung mit allen dazugehörigen Attributen wie Güte und Geduld, Einfühlung und Gelehrsamkeit gerät die mit Vorliebe aus Untersicht gezeigte Gestalt an den Rand des sozialen Kitsches.

Lebhafter als manch wohlkalkulierte Einstellung bleiben dagegen eher beiläufige Episoden mit Eigendynamik in Erinnerung, beispielsweise eine Gruppe von Frauen, die unter keinen Umständen an der nahen Femverkehrsstraße siedeln wollen, oder ein Maurer, der schlagfertig zu argumentieren weiß. Glaubwürdig aber macht den Film letztlich Hossein selbst, der auf anrührende Weise in mehrfacher Hinsicht aus seiner vorgezeichneten Rolle fällt. Ob dabei Tahereh, die bis zuletzt kein einziges Wort mit ihm wechselt, letztlich den Gesetzen der Liebe oder lediglich der Konvention gehorcht, bleibt beider Geheimnis und eines der schönsten Rätsel dieses Films.

Kommentar verfassen

Kommentieren