Literaturverfilmung | Venezuela 1986 | 100 Minuten

Regie: Michael New

Ein Ingenieur, der für ein multinationales Konsortium in das Gebiet des Orinoko reist, wird mit der Vergangenheit und den anhaltenden Folgen der Conquista konfrontiert. Auf drei ineinander verschachtelten Zeitebenen - der Gegenwart, den 30er Jahren und dem 16. Jahrhundert - wird die immergleiche Geschichte von Unterdrückung und Ausbeutung der Ureinwohner erzählt. Ein mitunter überfrachteter und überzeichneter Film, dennoch ein beachtlicher Beitrag zum Thema. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CUBAGUA
Produktionsland
Venezuela
Produktionsjahr
1986
Regie
Michael New
Buch
Ednodio Quintero · Luis Rogelio Nogueras · Michael New
Kamera
Andrés Agustí
Musik
Gilberto Márquez
Schnitt
Justo Vega · Roberto Siso
Darsteller
Herbert Gabaldón · Sonia López · Reynaldo Miravalles · Hector Mysteron · Julio Mota
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Literaturverfilmung
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IMDb

Diskussion
Für das Forschungsprojekt "Progress" zur Exploration von Bodenschätzen, finanziert von einem multinationalen Konsortium, fliegt der junge Ingenieur Leiziaga in das Gebiet des Orinokos. "Sie werden wie ein neuer Entdecker sein, nun aber mit der Technik", ist der eine Satz, der ihn begleitet; der andere stellt an ihn die Frage, wozu denn der Auftrag gut sei. Ein zufälliger Blick auf eine in Stein gehauene Darstellung aus vorkolumbianischer Zeit am Ufer des Orinokos liegend, löst im Ingenieur überindividuelle Erinnerungen aus. Die Vergangenheit - die 30er Jahre dieses Jahrhunderts und das 16. Jahrhundert - wird vergegenwärtigt, womit die Anordnung der Ereignisse auf den Zeitstrahl in eine Gleichzeitigkeit im hier und jetzt aufgehoben wird.

Um die seit der Landung der Spanier fortwährende Conquista kreist der Film. Die Conquistadoren des 16. Jahrhunderts leben bis in die Gegenwart in den regionalen Oligarchien fort, heute als Abhängige ausländischer Mächte. Tiefe Wunden schlugen und schlagen ihre Gier nach Macht und Geld in den Leib Lateinamerikas; geschunden sind das Land und die Menschen. An die Stelle des Schwertes ist die Technik getreten, der Haudegen wurde vom Ingenieur abgelöst. Mit ihnen spielt das Machtkartell wie eh und je sein Spiel; wenn die nützlichen Toren der unpolitischen Draufgänger/Techniker unbequem werden, entledigt man sich ihrer. Mord ist nicht tabu.

Die Conquistadoren bleiben dieselben, spielen das gleiche Stück seit 500 Jahren, lediglich Dekor und Kostüme änderten sich. Verändert aber haben sich der Ingenieur, der Pater und die India, angelegt mehr als Repräsentanten ihrer Gruppe denn als Individuen. Der soziale Abstieg des Ingenieurs des 16. Jahrhunderts, der Erfinder und Abenteurer Conte Luigi de Lampugnano, versinnbildlicht die totale Abhängigkeit der Technik/Techniker von der Macht. Verachtet und ohnmächtig steht der Conte als Zuschauer neben den Exzessen von Gewalt und Intrigen. Der Ingenieur der 30iger Jahre, vom Fortschrittsoptimismus getragen und von seinem Beruf fasziniert, wird von der Geschichte der Insel Cubagua im Delta des Orinokos und deren zerstörter, einst reicher Stadt Nueba Cadiz angezogen. Ihm wird bewußt, daß er in einem Traditionszusammenhang mit dem Conte steht und beginnt zu erkennen. Der Ingenieur der Gegenwart tut ein übriges. Er gibt Wissen und Dokumente an die engagierte Journalistin Nila, eine India, weiter, um deren Widerstand gegen das Projekt "Progress" zu unterstützen. Sie, die Verkörperung der indianischen Völker, ist zur Zeit der spanischen Eroberung ein hilfloses Opfer, ein Wesen ohne Namen. Als Nina tritt sie erst in den 30iger Jahren auf, eine bonne sauvage unter der Obhut eines weißen Paters. Verstand sich Fray Dionisio zur Conquistadorenzeit als Protektor der Indios, lebt er heute zurückgenommen mitten unter ihnen. "Die Leute im Urwald brauchen mich nicht. Ich konnte nichts zu ihrem Reichtum beitragen." Der Ingenieur, der Pater und die India sind jeweils eine Gestalt in dreifacher Ausfaltung.

In allen drei Zeiten werden die Rollen von denselben Schauspielern gespielt. Schauspieleridentität und diskontinuierlicher, die Zeitebenen verschachtelnder Erzählfluß betonen die Kontinuität der Verhältnisse über die Jahrhunderte hinweg. ¡Widerstand formiert sich bei den Unterworfenen (die India), er wächst aus dem kritischen Potential der Religion (der Pater) und aus der Bereitschaft der technischen Intelligenz (der Ingenieur), sozial zu lernen. Die größte Entwicklung durchlief die India: vom hilflosen, auf dem Scheiterhaufen verbrannten Mädchen zur agierenden Journalistin Nila.

Die Konzeption von "Cubagua" ist wohldurchdacht und überzeugend. Der Wechsel der Zeitebenen ist zwar sehr anstrengend, aber, da die Anschlüsse stimmen, nicht verwirrend. Die Defizite liegen in der Inszenierung. Michael New traut seinem Können nicht. Aus der Angst, nicht verstanden zu werden, überzeichnet und vereinfacht er. Seine Figuren haben keine Zwischentöne, sind eindeutig gut oder böse. Der Gefahr der plakativen Inszenierung entging er nicht immer: z. B. die zu oft einmontierte India auf dem lodernden Scheiterhaufen, die überdeutliche Anspielung auf die Predigt Antonio de Montesinos OP auf Hispaniola am 4. Adventssonntag 1511, das theatralische Hinwerfen eines angerosteten Harnisches vor die Füße des Ingenieurs (der Gegenwart) in einer Indiosiedlung am Orinoko, vor allem aber die an Kitsch grenzende Schlußeinstellung: als neue Eva tritt die India aus dem Dunkel der Höhle in den lichtdurchströmten Garten Eden. Dennoch: trotz Mängel ein beachtenswerter Erstlingsspielfilm.
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