Komödie | Spanien/Kuba/Deutschland 1995 | 101 Minuten

Regie: Tomás Gutiérrez Alea

Ein kubanischer Leichenbestatter versucht, sich mit einem neuen Plan mehr Ansehen zu verschaffen. Als erste will er die verstorbene Tante seiner Frau von Guantanamera nach Havanna bringen. Auf dem Weg durch die Provinz, wo Improvisation und Schwarzhandel blühen, trifft seine Frau, eine entlassene Dozentin, einen ihrer ehemaligen Studenten wieder und merkt, daß ihre Ehe am Ende ist. Gutiérrez Alea, der Altmeister des kubanischen Kinos (er starb am 16. April 1996), knüpft mit diesem humorvollen Roadmovie an seine früheren Filme an, die die kubanische Sonderstellung analysieren. Deutlich bezieht er Stellung zu Mangelwirtschaft und Bevormundung, ohne plakativ anzuklagen. (Fernsehtitel: "Guantanamera - Eine Leiche auf Reisen") - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GUANTANAMERA
Produktionsland
Spanien/Kuba/Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Tornasol/Alta Films/I.C.A.A.
Regie
Tomás Gutiérrez Alea · Juan Carlos Tabío
Buch
Eliseo Alberto Diego · Tomás Gutiérrez Alea · Juan Carlos Tabío
Kamera
Hans Burmann
Musik
José Nieto
Schnitt
Carmen Frías
Darsteller
Carlos Cruz (Adolfo) · Mirta Ibarra (Georgina) · Raúl Eguren (Cándido) · Jorge Perugorría (Mariano) · Pedro Fernández (Ramón)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Road Movie
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Diskussion
50 Jahre lang haben sie sich geliebt, ohne sich zu Gesicht zu bekommen, aber erst am Tag ihres Wiedersehens wird ihnen das bewußt: Yoyita, die alternde Sängerin, die nach Guantánamo zurückgekehrt ist, um einen Preis für ihr Lebenswerk entgegenzunehmen, und der Musiker Cándido. Noch am selben Tag schwören sie, für immer zusammenzubleiben, aber im nächsten Moment stirbt Yoyita in Cándidos Armen. Daß ihr Weg damit noch nicht zu Ende ist, läßt die Parallelhandlung um den ehrgeizigen Leichenbestatter Adolfo ahnen, der glaubt, einen Weg gefunden zu haben, trotz des rationierten Benzins jede Leiche zu jedem gewünschten Friedhof auf Kuba bringen zu können: indem sie an der Provinzgrenze jeweils in einen anderen Leichenwagen umgeladen wird, der mit dem Benzin aus seiner Provinz bis zur nächsten Grenze fährt - ein Plan, der, wie Adolfo hofft, ihn wieder ganz nach oben ins Führungskader der Provinz bringt. Nebenbei ist er mit Yoyitas Nichte Georgina verheiratet, und nun, da Yoyita tot ist, und sie in Havanna begraben werden soll, wird die tote Tante seine erste Fracht gemäß des neuen Plans. Begleitet wird sie von Adolfo, Cándido und Georgina sowie dem Fahrer Tony. So nimmt eine Reise vom Südosten in der sich sein Land derzeit befindet. Aber der Film ist kein politisches Pamphlet. Alea findet hier zu seiner einzigartigen Erzählweise zurück, mit der er besonders das nachrevolutionäre kubanische Kino mit auf den Weg zu bringen half. Sie ist zum einen gekennzeichnet durch die Nähe und Affinität zum Dokumentarischen, zum anderen durch die oft ambivalente Zeichnung seiner Hauptfiguren und die ironische Brechung ihrer Situation. Das Komische im Traurigen, die Tragik ihrer Komik - Alea spiegelt mit der subtilen Verquickung der Perspektiven seine eigene Haltung zu Land und Regierung und versucht dadurch zugleich, eine Art kollektiven Bewußtseinsstand einzufangen. In "Erinnerungen an die Unterentder Insel bis zur Hauptstadt im Nordwesten ihren Anfang, und damit ein wunderbares Road Movie - das von Wim Wenders' Produktionsfirma coproduziert wurde und doch sehr spezifisch für sein Herkunftsland ist.

Man bekommt ein Kuba zu sehen, das weitab von den für Touristen zugänglichen Anlagen existiert und ungleich deutlicher seinen Zustand offenbart. Die Straßen werden von Händlern gesäumt, die, je weiter man sich der Hauptstadt nähert, lieber Dollars als Pesos für ihre Naturalien haben wollen: Der Chauffeur, mit Aussicht auf einen einträglichen Weiterverkauf, gibt sie ihnen. Eine Hochschwangere steht am Straßenrand und versucht, per Anhalter zu einem Krankenhaus zu gelangen; eine versteckte kulinarische Oase bietet unbegrenzt Fleisch an - viel deutlicher als in "Erdbeer und Schokolade" (fd 30 999) weist Tomás Gutiérrez Alea auf die desolate Lage hin, Wicklung" von 1968 schienen sich die wachsende Skepsis gegenüber dem Castro-Regime und der Appell, eine neue Nation zu schaffen, einander die Waage zu halten. In "Guantanamera" ist die Planerfüllung nur noch lächerlich, personifiziert durch Adolfo, dessen Eifer keinen Platz für Liebe und Toleranz läßt.

Beides findet sich dafür in der kontrapunktisch angelegten Geschichte des schönen, begehrten Mariano und dessen Freund Ramón, die mit ihrem Lastwagen ebenfalls nach Havanna fahren. Ramón hat einst sein Studium abgebrochen: weil der Fahrerjob mehr Geld versprach, aber auch, weil die Professorin, in die er verliebt war, gehen mußte, auf Grund ihrer vom offiziellen Curriculum abweichenden Lehrmeinungen. Die Professorin, das war Georgina; und nun treffen sie sich wieder - zufällig, aber gleich mehrmals am selben Tag. Der Erkenntnisprozeß, der bei Yoyita und Cándido ein ganzes Leben dauerte, geht hier schneller voran. Sie folgen, schon das ein Manifest, ihren individuellen Bedürfnissen. Zudem steht mit Georgina eine Dissidentin im Mittelpunkt, deren Tochter bereits nach Miami gegangen ist, was Georgina auch nachvollziehen kann. "Ich war es leid, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen", sagt sie, bekommt aber zu hören: "Einmal wird die Wand nachgeben". Aleas Film enthält also nicht bloß einen milden Aufruf zur Toleranz wie in "Erdbeer und Schokolade" (gegenüber der Homosexualität), sondern eine deutliche Stellungnahme zur Bevormundung im Totalitarismus. Daß der Weg in ein neues Leben über den Weg zum Friedhof führt, ist dafür eine deutliche Metapher und gibt der Geschichte zugleich eine schwarzhumorige Note.

Es ist dies die dritte Zusammenarbeit Aleas mit Juan Carlos Tabio, der sich auch als Dokumentarfilmer und Komödienregisseur profiliert hat. Bei "Erdbeer und Schokolade" stand er dem erkrankten Alea zur Seite, die neuerliche Co-Regie ging man ohne derlei Zwänge ein. Im Vorgänger war auch bereits Mirtha Ibarra zu sehen, die hier die Georgina spielt; ebenso Jorge Perugorría, dessen Part als Macho-Lastwagenfahrer Mariano kaum weniger überzeugend ist als seinerzeit die großartige Verkörperung des Homosexuellen, die ihn international zum Star gemacht hat. Der titelgebende Gassenhauer übrigens, 1941 von Joseíto Fernández Díaz geschrieben, besingt zwar nur ein Mädchen aus Guantánamo, wurde aber in der spanischsprechenden Welt immer wieder als rebellische Manifestation genutzt.
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