Richard III. (1995)

Drama | USA/Großbritannien 1995 | 104 Minuten

Regie: Richard Loncraine

Auch nach dem Ende des englischen Bürgerkriegs zwischen den Geschlechtern derer von York und Lancester kommt das Land nicht zur Ruhe, weil Richard, der jüngste, körperlich wie moralisch verunstaltete York, den Thron besteigen will. Eine eigenwillige Shakespeare-Adaption, die das düstere Königsdrama aus dem 15. Jahrhundert in der Ära des Faschismus ansiedelt und mit den forcierten Mitteln des Actionkinos inszeniert. Eine temporeiche, lebendige Theaterverfilmung mit ausgeklügelter Farb- und Musikdramaturgie sowie exzellenten Darstellern, die nur in der psychologischen Zeichnung der Figuren an Tiefenschärfe einbüßt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
RICHARD III.
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Bayly/Paré/United Artists/British Screen/First Look
Regie
Richard Loncraine
Buch
Ian McKellen · Richard Loncraine
Kamera
Peter Biziou
Musik
Trevor Jones
Schnitt
Paul Green
Darsteller
Ian McKellen (Richard III.) · Annette Bening (Königin Elizabeth) · Kristin Scott Thomas (Lady Anne) · Jim Broadbent (Buckingham) · Robert Downey jr. (Earl Rivers)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DS engl./dt.)
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Diskussion
Kenneth Branagh hat seinem berühmten Landsmann aus Stratford-on-Avon endgültig die Tür zum Kino aufgestoßen: Knapp 400 Jahre nach seinem Tod schickt sich Shakespeare an, auch auf der Leinwand heimisch zu werden. Wo bislang aber meist Liebeständel oder die komischen Wirrungen seiner Lustspiele die Drehbuchautoren animierten, setzen Sir Ian McKellen, langjähriger Shakespeare-Darsteller, und der englische Regisseur Richard Loncraine zum forcierten Sturmlaufan: Mit dem düsteren Königsdrama "Richard III." soll der Tragödiendichter die Weihe des Actionkinos erhalten und unter Beweis stellen, daß seine szenischen Arrangements auch für die Gegenwart relevante Stoffe enthalten.

Wie ernst es ihnen damit ist, wird von der ersten Einstellung an deutlich, wenn in einer gewaltigen, fast wortlosen Ouvertüre die Vorgeschichte vom Aufstieg und Fall des skrupellosen Machiavellisten Richard skizziert wird. In einem fiktiven England der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts tobt der Bürgerkrieg zwischen den Geschlechtern der Yorks und der Lancasters, den Richard mit der kaltblütigen Ermordung des Regenten erfolgreich für das Haus York beendet. Sein ältester Bruder, fortan König Edward IV., wird sich dieses Sieges aber nicht lange freuen, weil Richard mit allen Mitteln seine eigene Thronbesteigung betreibt. Von Geburt an mißgebildet, durch einen steifen Arm behindert und von der Mutter als Krüppel verachtet, verfügt Richard über ebenso viel Charme wie Gewissenlosigkeit und versteht es, sich Freunde wie Feinde durch Lügen und Schmeicheleien gefügig zu machen, ehe er sie beim geringsten Anlaß über die Klinge springen läßt. Unterstützt durch intrigante Höflinge und Mitglieder der politischen Führungsclique, läßt sich Richard den Weg freimorden, bis er das Zepter in Händen hält. Am Ziel seiner Wünsche aber hat sich das Blatt längst wieder gewendet. Von Frankreich aus rückt eine Streitmacht an, Verbündete fallen ab, und im entscheidenden Augenblick versagt das Fortbewegungsmittel ("Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd"): "I'm Sitting on the Top of the World", tönt es als ironische Quintessenz von der Leinwand, wenn der Despot mit zynischer Grimasse ins Flammenmeer stürzt.

McKellens/Loncraines Shakespeare-Adaption ist vor allem eines: Kino pur. Mit raffiniert kadrierten Bildern frönen sie dem CinemaScope-Format, forcieren durch abrupte Schnitte (einige grandiose "jump cuts") das Tempo und räumen der Kamera eine Bewegungsfreiheit ein, als gelte es, ein Ballett beim Tanzen zu fotografieren. Die gewagte Zeitverschiebung des Dramas aus dem 15. Jahrhundert in die Ära des Faschismus trägt nicht allein zur politischen Aktualisierung bei, sondern unterstützt vor allem das optische Konzept, indem Architektur und Ausstattung, Riefenstahlsche Fahnenheere und unterirdische Tunnelpassagen dem Theaterstoff jegliche Bühnenbegrenzung austreiben. Eine ausgeklügelte Farbdramaturgie, deren weiche Töne im Lauf der Machtergreifung härteren Kontrasten weichen, sowie ein ganz auf Action getrimmter Soundtrack tragen ihren Teil dazu bei. Von solchem Formwillen weitgehend unberührt geblieben ist dagegen die Textgestalt, wenngleich das Drei-Stunden-Opus auf 100 Minuten zusammengekürzt wurde und dabei manch wichtige Zwischentöne verlorengingen.

Es ist auch weniger der produktive Widerstreit zwischen wohlgesetzten Worten und rauschhaft-gefälligen Bildern, der an manchen Stellen irritiert, als vielmehr die mitunter ein wenig eindimensional geratenen Charaktere der Nebenfiguren, die der Schaulust Abbruch tun. Richards Verführung von Lady Anne vor dem Leichnam ihres Mannes etwa, den er kurz zuvor eigenhändig erschossen hatte, haftet trotz der schauspielerischen Meisterleistung etwas Unglaubwürdiges an, so daß der Szene die entscheidende Nuance geraubt wird. Auch die beabsichtigte Parabel auf politische Tyrannei und ihre Ursachen gerät mitunter zum Lehrstück, gegen das auch die süffisante Kunst McKellens vergeblich anspielt. Sein Richard, der sich immer wieder direkt an die Zuschauer wendet und sie zu unfreiwilligen Komplizen seiner Komplotte macht, indem er sein Innerstes offenlegt, bleibt wunderbar in der Schwebe: ein machtsüchtiger Renegat von eigenen Gnaden, der tagsüber, ohne mit der Wimper zu zucken, Todesurteile ausspricht, nachts aber schweißgebadet im Traum wimmert und um die Liebe seiner Mutter bettelt.

Die Absicht der beiden Shakespeare-Adapten, das Werk des Klassikers auch jenen zugänglich zu machen, die mit Theater oder Textbuch nicht den engsten Umgang pflegen, dürfte in Erfüllung gehen. Ob der Originalautor selbst aber, wie lautstark verkündet, mit ihrer Drehbuchfassung in allen Punkten einverstanden gewesen wäre, scheint fraglich. Seine Kunst, wiewohl gelegentlich drastisch bis frivol, lebte von der Proportion, der Gesamtheit aller Teile. Sein Drama war nicht nur das eines körperlich wie moralisch mißgebildeten Despoten, sondern zugleich das seiner Umwelt, durchdrungen von ironisch-pessimistischen Kommentaren über Themen wie Gewissen, Schicksal oder menschliche Freiheit. Spektakuläre Action gibt es bei Shakespeare zuhauf; handlungsleitend tritt sie aber selten auf.
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