Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder!

- | Deutschland 1995 | 85 Minuten

Regie: Hans-Christoph Blumenberg

Episodenhaft aufgebaute, die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion ständig verwischende Szenen aus dem schillernden Leben des deutschen Schauspielers und Regisseurs Reinhold Schünzel (1888-1954), der als einziger "Halbjude" bis 1937 bei der UFA arbeiten durfte, ehe er nach Hollywood emigrierte. Der von einem intelligenten Regiekonzept und einem grandiosen Hauptdarsteller getragene Film besticht nicht nur durch seine brillant-bissigen Dialoge, sondern auch durch seinen amüsant-entlarvenden Blick auf ein Stück (Film-)Geschichte. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Rotwang/arte/ZDF
Regie
Hans-Christoph Blumenberg
Buch
Hans-Christoph Blumenberg
Kamera
Klaus Peter Weber
Musik
Gast Waltzing
Schnitt
Florentine Bruck
Darsteller
Peter Fitz (Reinhold Schünzel) · Bettina Kupfer (Marianne) · Jörg Holm (Meydam/Mayer/Yales) · Lutz Herkenrath (Hinkel/Reinhardt/Wulf) · Matthias Fuchs (Günther Stapenhorst)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Dies ist nicht, wie der Titel vielleicht vermuten läßt, eine weitere jener belanglosen Komödien, die vorgaukeln, der deutsche Film befinde sich im Aufschwung. Im Gegenteil: vom Dialogwitz dieser Tragikomödie können die Autoren unserer derzeitig kommerziell so erfolgreichen Lustspiele nur träumen, ganz zu schweigen von der innovativen Umsetzung des Stoffes.

"Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder!" ist eine hintergründige Dialogzeile aus dem 1937 entstandenen Film "Land der Liebe", in dem auf den Herrscher eines Operettenstaates ein Attentat verübt wird, und dessen subversive Grundstimmung letztlich dazu führte, daß der letzte von der UFA beschäftigte "Halbjude" keine Arbeitserlaubnis mehr bekam - einer der bekanntesten deutschen Schauspieler und Regisseure der Stumm- und angehenden Tonfilmzeit: Reinhold Schünzel. 1905 stand der am 7.11.1888 geboRené Schünzel zum ersten Mal als Statist auf der Bühne, 1912 machte er sein Hobby zum Beruf und tourte mit einem Varietéheater durch die Lande. 1916 entdeckte ihn Carl Froelich für den Film ("Werner Kraft. Der Roman eines Erfinders"), und 1919 hatte er seinen großen Durchbruch als erpresserischer Stricher in Richard Oswalds Skandalfilm "Anders als die anderen". Fortan waren Schurkenrollen sein Markenzeichen, genoß Schünzel beim Publikum fast kultische Verehrung, die sich sogar die Modebranche zu eigen machte: man trug Westen, Hüte, Kragen und Monokel à la Schünzel. Mit dem Aufkommen des Tonfilms spezialisierte sich Schünzel auf musikalische Komödien und arbeitete seit 1931 nur noch hinter der Kamera. Als die Nazis die Macht übernahmen und die meisten seiner jüdischen Kollegen ins Ausland flohen, blieb Schünzel, weil er glaubte, der Spuk habe bald ein Ende und sich zutraute, bis dahin das System zu unterwandern. Weil er Hitlers Lieblingsschauspielerin Renate Müller unter Exklusiv-Vertrag hatte, und der Führer seine Komödien liebte, duldeten Goebbels und die UFA ihn - bis seine "unverschämten" Gagenforderungen und die Zweideutigkeiten in seinen Filmen das Faß zum Überlaufen brachten. 1937 emigrierte auch er nach Hollywood, konnte hier jedoch nie Fuß fassen, weil er einerseits von der "deutschen Kolonie" als Opportunist geschnitten wurde, sich andererseits nicht sklavisch dem heuchlerischen Moralkodex seines neuen Arbeitgebers, der MGM, unterordnen wollte. So mußte er nach drei MGM-Filmen und einer Republic-Produktion die (Regie-)Segel streichen und sich wieder auf seine schauspielerischen Talente als "Oberbösewicht" besinnen. Fortan spielte er den Nazi in Hollywoods antifaschistischen Filmen. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück, faßte aber auch hier nicht mehr Fuß in der Filmbranche - das "Filmband in Silber" für die beste Nebenrolle in "Meines Vaters Pferde" (1953) ist eher als "Trostpreis" zu verstehen. Schünzel starb am 11.9.1954 in einem Münchener Taxi an einem Herzinfarkt.

Diesen Lebensweg einer der schillerndsten Figuren der deutschen Filmgeschichte beschreibt Hans-Christoph Blumenberg. Die Vorgaben - ein Frauenheld in den Mühlen zweier (politischer) Systeme, die Glamourwelt zwischen Babelsberg und Hollywood und die intensive Beziehung zu seiner Tochter - bieten allemal den Stoff für einen großen Kino-Entwurf, und man kann sich ausmalen, was Hollywood an (teuren) Schauwerten geboten hätte. Blumenbergs Konzept beweist, daß man auch mit geringem finanziellem Aufwand gute und vor allem intelligente Unterhaltung liefern kann. So entwickelt sich dieser in 33 Kapitel unterteilte, zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Sequenzen hin- und herspringende Film schon bald zu einem intelligenten Vergnügen, wie es selten im Fast-Food-Kino unserer Tage geworden ist. Blumenberg, der ständig die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation aufbricht, mit einer Erzählerstimme und Zwischentitel Distanz schafft, um den Zuschauer dann wieder mit beißender Ironie zu packen, benutzt einen Kunstgriff, um die Geschichte aus dem Anekdotischen heraus auf eine allgemeingültige, auch heute noch brisante Ebene zu heben: er läßt denselben Schauspieler (Lutz Herkenrath) sowohl den zuständigen Filmreferenten in der Reichsfilmkammer als auch den "Berater" von Louis B. Mayer und der Kulturbürokraten der Adenauer-Ära spielen und macht so sinnfällig (und erschreckend zugleich) deutlich, daß Repressionen und Inkompetenz nicht an ein bestimmtes System gebunden sind. Und wenn Schünzel im Nachkriegsdeutschland den Hamburger Kulturverwalter mit "Obersturmbannführer" anredet, dann bleibt dieser Gag im Halse stecken, weil er schmerzhaftkomisch an die noch unbewältigte NS-Vergangenheit erinnert. Dieselbe Methode wendet Blumenberg bei der Darstellung des UFA-Bosses und seiner beiden amerikanischen Kollegen an, die alle drei von Jörg Holm gespielt werden, ebenso wie Ilja Richter Schünzels zwei amerikanische Agenten spielt und Patricia Thielemann und Traudel Sperber sich die verschiedenen "Goldstücke" Schünzels teilen. Ein solch konzentriertes Ensemblespiel in einem deutschen Film ist eine Ausnahme.

Die Prägnanz, mit der Blumenberg jede Szene auf den Punkt bringt, zeigt sich nicht nur in den einfachen, aber stimmigen Dekors, die sowohl die bedrückende Atmosphäre der Nazi-Zeit als auch die Schwüle eines ägyptischen Hotelzimmers während Außenaufnahmen vermitteln, sondern auch in seiner Darstellerführung. Obwohl gerade die "Verkleidungsrollen" der zwei- und dreifach besetzten Schauspieler zu parodistischer Übertreibung einladen, gestattet Blumenberg ihnen keinerlei "Ausbrüche". Natürlich steht und fällt der Film mit dem in (fast) jeder Szene präsenten Peter Fitz, den Blumenberg zu einer grandiosen schauspielerischen "tour de force" ohne einen einzigen falschen Ton treibt. Obwohl Fitz wie auch die übrigen Schauspieler äußerlich keine Ähnlichkeit mit den Dargestellten aufweisen, kann man sich im Laufe des Films immer weniger vorstellen, daß er nicht Reinhold Schünzel ist. Fitz verschmilzt geradezu mit seiner Rolle, vermittelt den weltgewandten jüdischen "Schmock" genauso wie den "Macho" mit dem unwiderstehlichen Charme, um dann im nächsten Augenblick den liebenden Vater oder den Zyniker zu spielen. So traumwandlerisch sicher Blumenberg seine Schauspieler durch die Geschichte führt, so geschickt hält er die Balance zwischen Tragik und Komik, verrät seine Personen nie um eines Gags willen. Seine Dialoge haben neben ihrem Unterhaltungswert immer etwas Hintersinniges, und man möchte den Film am liebsten gleich nochmals ansehen, um alle Nuancen auskosten zu können. Die sich unauffällig, aber äußerst wirksam in den Dienst der Regie stellende Kamera, Musik und Schnitt helfen mit, den Film wie aus einem Guß erscheinen zu lassen und die Hoffnung zu nähren, daß man auch mit einem amüsantbissigen Rückblick auf die (Film-)Geschichte, die ja die Grundpfeiler für unsere heutige Kulturlandschaft gesetzt hat, ein Publikum erreichen kann. So gesehen ist "Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder!" ein kulturhistorischer Exkurs und ein ungemein amüsanter dazu.
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