Wolken ziehen vorüber

Tragikomödie | Finnland/Deutschland/Frankreich 1996 | 96 Minuten

Regie: Aki Kaurismäki

Für eine entlassene Kellnerin und ihren Mann, einen Straßenbahnfahrer, der Opfer der Rationalisierung bei den städtischen Verkehrsbetrieben wurde, beginnt eine deprimierende Zeit der Arbeitssuche. Nach erschöpfenden Erfahrungen bei ihren Bittgängen beschließen sie die Flucht nach vorn und eröffnen ein eigenes Restaurant. Ein außergewöhnlicher Balanceakt zwischen herzzerreißendem Drama und lakonisch-knapp erzählter anrührender Komödie, mit minimalen Mitteln souverän inszeniert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KAUAS PILVET KARAAVAT | THE CLOUDS ESCAPE
Produktionsland
Finnland/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Sputnik Oy/Yle TV-1/Pandora/Pyramide
Regie
Aki Kaurismäki
Buch
Aki Kaurismäki
Kamera
Timo Salminen
Schnitt
Aki Kaurismäki
Darsteller
Kati Outinen (Ilona) · Kari Väänänen (Lauri) · Sakari Kuosmanen (Melartin) · Elina Salo (Mrs. Sjöholm) · Markku Peltola (Lajunen)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
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Diskussion
Wer sagts denn, er kann es doch noch. Nach zwei eher belanglosen Filmen um die Klamauktruppe Leningrad Cowboys hat Aki Kaurismäki nach 1992 ("Das Leben der Boheme", fd 29 437) endlich wieder einen "richtigen" Spielfilm realisiert. Und schon nach den ersten Bildern weiß man wieder, was seine früheren Filme so brillant und liebenswert machte. Die Geschichte von "Wolken ziehen vorüber" - der Titel stammt aus einem Schlager, der im Film von einer Männer-Combo dargeboten wird - ließe sich in einem Satz erzählen: Zwei Menschen verlieren ihre Jobs und versuchen, gemeinsam ihr Schicksal zu meistern. Etwas ausführlicher: Ilona arbeitet als Oberkellnerin im Restaurant "Dubrovnik", das schon bessere Tage gesehen hat. Als die Besitzerin das Lokal schließlich verkaufen muß, wird Ilona entlassen. Ihr Mann Lauri ist seit kurzem ebenfalls ohne Arbeit. Der Straßenbahnfahrer wurde ein Opfer der Rationalisierung bei den städtischen Verkehrsbetrieben. Und so bringen Ilona und Lauri ihre Tage mit Arbeitssuche zu: frustrierende Bittgänge, von denen sie abends erschöpft in ihre karge Wohnung zurückkommen. Langsam, aber sicher geht ihnen das Geld aus. Zumal da auch noch die Ratenzahlungen fürs Mobiliar und den neuen Fernseher sind. Daß Lauri obendrein zu stolz ist, Arbeitslosenunterstützung zu beantragen, macht die Sache nicht besser. Dann trifft Ilona eines Tages einen früheren Arbeitskollegen, der ihr vorschlägt, doch selbst ein Restaurant zu eröffnen. Ja, warum eigentlich nicht? Wäre nur noch das kleine Problem, daß so .etwas ohne Eigenkaptial so eine Sache ist.

Viele Qualitäten, ;die Kaurismäki hier demonstriert, kennt man aus seinen früheren Filmen: den Minimalismus, die knappen, lakonischen Dialoge - |diesmal dürften sie im Drehbuch auf drei DIN-A-4-Seiten gepaßt haben -, sein untrügliches Gespür für Situationskomik der leisen Art und natürlich diese wunderbaren Schauspieler. Kari Väänänen war wie auch Kati Outinen schon in einer ganzen Reihe von Filmen Kaurismäkis mit von der Partie. Kati Outinen lieferte vor allem als "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (fd 28 531) eine schauspielerische Glanzleistung. Über diese Qualitäten hinaus ist es jedoch frappierend, mit welcher Souveränität und Leichtigkeit Kaurismäki inzwischen seine formalen Mittel handhabt. Wo er früher einen inszenatorischen Gag noch mehrfach strapazierte, reicht ihm inzwischen der einmalige Einsatz. Als beispielsweise der cholerische Koch des "Dubrovnik" wieder einmal wild mit dem Messer fuchtelnd seine Mitarbeiter bedroht, verschwindet er, gefolgt von einem Kellner, rechts aus dem Bild. Man hört Kampfgeräusche aus dem Off, und schließlich kommt der Kellner mit blutender Hand wieder ins Bild zurück. Eine andere Szene:

Während so ziemlich alle Figuren in banger Erwartung der Eröffnung von Ilonas neuem Restaurant entgegenfiebern, tauchen zwei Klempner auf, die nur schweigend tun, was Klempner nun einmal tun, aber aussehen wie Pat und Patachon.

Mit solchen Mitteln gelingt Kaurismäki ein bewundernswerter Balanceakt zwischen herzzerreißendem Drama und Komödie, ohne das eine durch das andere zu nivellieren. Da gibt es Szenen, die zum Traurigsten seit Charlie Chaplins "Goldrausch" gehören. Viel zu lachen hatten die Figuren in Kaurismäkis Filmen ja noch nie, aber wenn hier der Hund von Ilona und Lauri schon nicht besonders glücklich dreinschaut, ist er doch gegen Herrchen und Frauchen geradezu ein Ausbund an Lebensfreude. In einer anderen Sequenz begibt sich Ilona auf ein Job-Inserat hin zu der angegebenen Adresse. Doch sie ist zu früh, das Büro noch geschlossen. So setzt sie sich auf die Treppe und schläft ein. Als sie erwacht, sieht sie ihre Mitbewerber über sie hinwegsteigen. Der Job ist natürlich längst weg. Wie Kaurismäki und sein Kameramann Timo Salminen es fertigbringen, trotz extremer Stilisierung - jede Einstellung ist in ihrer detailbesessenen Ausstattung und ihren häßlich-schönen Pastellfarben ein kleines Kunstwerk für sich - eine Atmosphäre der Wärme und des Mitleidens herzustellen und dabei nicht einmal auch nur in die Nähe billiger Sentimentalität zu geraten, ist wahrlich meisterlich. So sitzt man gegen Ende des Films im Kino und hofft inständig, daß am Tag der Restaurant-Eröffnung, als die Angestellten mit traurigen Mienen im leeren Lokal sehnsüchtig auf die Eingangstür blicken, doch endlich ein hungriger Gast (oder besser noch: ein ganzer Reisebus) vorfahren möge. Aber zum Glück ist Aki Kaurismäki kein Unmensch.
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