Broken Silence (1996)

- | Schweiz 1996 | 110 Minuten

Regie: Wolfgang Panzer

Ein Schweizer Kartäusermönch beichtet einem katholischen Geistlichen in New York die Geschichte seiner Odyssee durch Indien: Auf dem Weg nach Indonesien, wo er die Besitzerin des Klosters aufsuchen soll, begegnete er einer jungen Afroamerikanerin, mit der ihn bald die gemeinsame Suche nach Klarheit und Ruhe verband. Ein erzähltechnisch wie inhaltlich außergewöhnlicher Film um kulturelle wie spirituelle Daseinserfahrungen, der zahlreiche geistige und weltliche (Existenz-)Fragen anspricht. (O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BROKEN SILENCE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Wolfgang Panzer Prod.
Regie
Wolfgang Panzer
Buch
Wolfgang Panzer
Kamera
Wolfgang Panzer · Edwin Horak
Musik
Filippo Trecca
Schnitt
Claudio di Mauro
Darsteller
Martin Huber (Fried Adelphi) · Ameenah Kaplan (Ashaela) · Michael Moriarty (Father Mulligan) · Colonel Kapoor (Direktor Immigrationsbehörde)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Während die Kamera in fast meditativer Versunkenheit über schreibende Hände sowie die eindrucksvolle Anlage eines harmonisch in die schweizerische Landschaft eingebetteten Kartäuserklosters schweift, führt eine Stimme in die Ereignisse ein: Leise, manchmal stockend, so, als sei er des Sprechens nicht geübt, erzählt ein Mann von dem über 900 Jahre alten katholischen Einsiedlerorden, den Aufgaben der Kartäusermönche, schließlich auch von ihrer Schweigepflicht, von der der Erzähler, der sich selbst als Mönch zu erkennen gibt, eines Tages für eine wichtige Mission entbunden wird. Fried Adelphi erhält den Auftrag, nach 25 Jahren Zurückgezogenenheit und Versunkenheit in Gebet und Meditation die Kartause zu verlassen, um in Indonesien die Besitzerin des Klosters aufzufinden, damit sie den auslaufenden Pachtvertrag verlängert. Da die Frau verschollen zu sein scheint, zumindest jede Kontaktaufnahme verweigert, beginnt für Fried eine Reise ins Ungewisse. "Unsere Probleme beginnen damit, daß wir nicht zuhause bleiben", zitiert er sinnierend Blaise Pascale.

Orts- und Zeitwechsel: Eine katholische i Kirche in New York. Father Mulligan hat soeben in aller Güte einer Frau aus seiner Gemeinde die Beichte abgenommen, als er noch in der Dunkelheit des Beichtstuhls angerufen wird. Über sein Handy verspricht er dem Erzbischof sein baldiges Erscheinen zu einer wichtigen Konferenz, als noch ein verspäteter Besucher im Beichtstuhl Platz nimmt. Zunächst will ihn Father Mulligan abweisen, als er aber erkennt, daß sein Gegenüber ein Kartäusermönch aus der Schweiz ist, wird trotz seines terminlichen Engpasses seine Neugierde geweckt. Und so, wie Fried Adelphi zu Beginn des Films schon einmal sein Schweigen brach, so tut er dies nun gegenüber Father Mulligan und erzählt ihm in aller Genauigkeit von seiner Odyssee, die ihn erst über viele Umwege an sein Ziel in Indonesien brachte.

Thematisch wie formal gleichermaßen außergewöhnlich umschreibt "Broken Silence" die Stationen einer Reise, die mehr ist als nur die Suche nach einer vermißten Person: es ist die Konfrontation eines Außenstehenden mit dem Chaos dieser Welt, die in eine spirituelle Suche nach Sinn und Klarheit mündet. "Ich zweifle nicht an Gott, aber ich zweifle an mir", formuliert Fried einmal seine durchaus weltliche Angst, die sich bereits im Flugzeug nach Jakarta als heftige Klaustrophobie äußert. Von diesem Augenblick an, als Fried seiner späteren Reisebegleiterin, der 20jährigen Afro-Amerikanerin Ashalea, begegnet, filmt Wolfgang Panzer Frieds Erlebnisse auf Video Hi-9, was zunächst eine produktionstechnische Entscheidung gewesen ist: einschließlich der beiden Darsteller benötigte Panzer so nur ein fünfköpfiges Team für die Dreharbeiten in Indien und Indonesien, was höchste Flexibilität, Spontaneität und Unmittelbarkeit ermöglichte. In der Tat wirken viele der mit unprofessioneller Video-Ausrüstung eingefangenen Alltagsszenen aus New Dehli, vom heiligen Fluß Ganges und aus den Straßen weitgehend unbekannter indischer Städte fast dokumentarisch und vermitteln ein hohes Maß an Authentizität. Durch das nachträgliche Umkopieren dieser Szenen auf 35mm-Film reibt sich das deutlich unscharfe, vergleichsweise lichtträge Bildmaterial förmlich mit den Bildern der Rahmenhandlung, verstärkt aber intensiv den unruhigen Eindruck, der von Frieds Erzählung ausgeht: das Videobild wird zum Reflex auf die emotionale Wahrnehmung des Mönches, der alle Eindrücke jenseits seiner Kartause zunächst als Schock empfindet.

So sind auch die Weichen gestellt für die zentrale Begegnung von Fried und der 30 Jahre jüngeren Ashalea, von der man zunächst nur weiß, daß sie als Touristin Indien bereisen will. Als Fried im Flugzeug seine Brieftasche mit Geld und Kreditkarte verliert, nimmt sie sie heimlich an sich, ohne zu ahnen, daß sie Fried am Flughafen von New Dehli wiederbegegnet. Der ist wegen seiner Flugangst ebenfalls ausgestiegen und baut nun, mittellos, aber voller Gottvertrauen, darauf, daß seine Reise irgendwie eine Fortsetzung findet. Halb aus schlechtem Gewissen, halb aus Neugierde überredet sie den Ahnungslosen zu einer gemeinsamen Weiterreise bis zur Ostküste Indiens, deren Stationen von immer intensiveren Gesprächen geprägt werden. Der (begrenzt) weltfremde Mönch und die (begrenzt) lebenserfahrene junge Frau suchen auf gar nicht so sehr verschiedene Arten und Weisen nach dem Sinn ihres Daseins, und schließlich bricht auch Ashaela ihr Schweigen: sie leidet an einer erblich bedingten Herzkrankheit, in ihr tickt eine Zeitbombe, die ihr junges Leben bald beenden wird. Bis dahin werden sie und Fried zu einem faszinierenden Gespann, durch das man die Eindrücke ihrer Reise und Gespräche förmlich hindurchfließen sehen kann: zwei Menschen, die sich für die Welt ebenso wie für sich selbst und ihre kulturellen wie spirituellen Erfahrungen zu öffnen lernen.

Vieles spricht der Film während dieser Odyssee an: Themen wie Suche und Selbstfindung, Nächsicht und Vergebung, Zuneigung und Liebe (in einem höheren als dem körperlichen Sinn), Vertrauen und Respekt gegenüber dem anderen, aber auch gegenüber einer anderen Kultur und ihrer vermeintlichen Fremdheit, schließlich auch das Thema Tod sowohl als kollektive als auch als individuelle Wahrnehmung und die damit verbundene Hoffnung auf Erlösung und den Wunsch nach der Gnade eines sanften Sterbens im Einklang mit sich selbst. Daß dies alles nicht zur bloßen Verschlagwortung verkommt, sondern "nebenbei", wie selbstverständlich, ja sogar humor- und lustvoll dramatisiert wird und die Handlung mit Substanz füllt, ist eine auch inszenatorisch außergewöhnliche Leistung. Eindrucksvoll auch, daß Wolfram Panzer nicht bei der Beschreibung des "Reiseabenteuers" stehenbleibt, es vielmehr als Rückkopplung an der Geschichte des amerikanischen Geistlichen Father Mulligan verankert; während Frieds Ausführungen wird er erneut angerufen und erfährt, daß er zum Bischof ernannt werden wird und für dieses ehren- wie verantwortungsvolle Amt seine geliebte Gemeinde wird verlassen müssen. Erst aus der Beichte des Kartäusermönches bezieht er unerwartet Kraft, Hoffnung und Klarheit und signalisiert damit, daß Frieds Erzählung durchaus die Substanz hat, andere mit auf die Reise zu nehmen, um sie angesichts ihrer Zweifel und Selbstzweifel zu stärken.

Wolfram Panzer hat jede Routine seiner mehrjährigen Fernseharbeit über Bord geworfen und sich mit minimalsten technischen Mitteln auf ein geistiges und filmisches Abenteuer eingelassen. Was vom Stoff her eher das Budget einer mittelgroßen Hollywood-Produktion bedurft hätte, setzte er mit Fantasie, Abenteuergeist und viel Einfühlungsvermögen zu einer innerlich wie äußerlich spannenden Fabel um, deren technische Defizite auf faszinierende Weise in den Dienst der Geschichte gestellt werden. Mühelos und wie selbstverständlich öffnet sich Panzers Film für geistige wie weltliche (Existenz-) Fragen, ohne trennende Mauern, ohne Berührungsängste, ohne Vorurteile.

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