Dürers Erben

- | Deutschland 1996 | 60 Minuten

Regie: Lutz Dammbeck

Filmisches Essay, das die Karrieren der Staatsmaler der DDR Werner Tübke und Bernhard Heisig zum Anlaß nimmt, um über die Dienstbarkeit von Kunst und Künstlern für Ideologien universell zu reflektieren. Interviews mit Heisig, Tübke und dem heute vergessenen Heinrich Witz stehen neben denen mit ehemals einflußreichen Kulturbürokraten. Selten gezeigtes Archivmaterial aus Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik Deutschland ist versetzt mit einer geschickt aufgearbeiteten Faktenfülle. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Lutz Dammbeck Filmprod./MDR/arte
Regie
Lutz Dammbeck
Buch
Lutz Dammbeck
Kamera
Eberhard Geick · Thomas Plenert
Musik
Jörg Udo Lensing
Schnitt
Margot Neubert-Maric
Darsteller
Werner Tübke · Bernhard Heisig · Heinrich Witz · Sonja Kurella
Länge
60 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Pablo war ein Schimpanse, der gern mit Farben herumkleckste, chaotische Linien und Flächen auf Papier fixierte. Wissenschaftler untersuchten diesen Drang und stellten eine Kausalkette aus seiner "Malerei" und der Belohnung durch Leckereien her. Als der Affe realisierte, daß er auch bei geringem malerischem Aufwand umgehend entschädigt wurde, gerieten seine Aktivitäten zusehends lustlos, reduzierten sich auf symbolische Gesten. Schließlich flüchtete er aus dem Institut.

Der aus Leipzig stammende und im Herbst 1986 nach Hamburg übergesiedelte Künstler Lutz Dammbeck montiert den authentischen Fall des Schimpansen Pablo eher versteckt ein in seinen Film über die Kulturpolitik der frühen Jahre der DDR. Natürlich gehört dem Affen die ganze Sympathie des Filmemachers; fungiert sein Verhalten doch als Parabel auf Zwänge und Konsequenzen innerhalb des geschlossenen Labors namens DDR. Wer dort einmal seinen Platz als Berufskünstler gefunden hatte, war vorher schon durch viele Kontrollinstanzen gegangen, so daß der Annahme wohlfeiler Auftragsarbeiten dann auch nichts mehr im Weg stand. Auch bei großzügig eingeräumter Naivität stellte sich irgendwann die Entscheidung zwischen stillschweigend akzeptierter Umarmung durch die Kulturbürokratie und innerer bzw. äußerer Emigration. Dammbecks Entscheidung läßt sich an seiner Biografie ablesen. Daß er trotz dieser Determinierung auf jede plumpe Schuldzuweisung verzichtet, macht seinen Film zum aufregenden Zeugnis einer nach außen hin äußerst zurückgenommenen, gerade deshalb aber um so persönlicheren Bestandsaufnahme.

Unmittelbar nach 1945 war auch der Osten Deutschlands noch von einer Euphorie des ästhetischen Aurbruchs geprägt. Sobald sich jedoch die sowjetisch protegierten Verwaltungsapparaturen zu konsolidieren begannen, hielt das Ideal des sozialistischen Realismus Einzug. Tendenzen der Moderne, die schon während der zwölf Jahre Nationalsozialismus als entartet denunziert gewesen waren, fielen erneut der Verdammung anheim. In diesen Phasen des Umbruchs ließ sich jedoch auch fabelhaft Karriere machen. So geschehen bei jener Leipziger Malergruppe um Bernhard Heisig, Werner Tübke und Heinrich Witz, die, protegiert von Spitzen der Parteiführung der SED das Heft an der "Hochschule für Buchkunst und Graphik" an sich reißen konnte. Auf einem Ölschinken vom Beginn der 60er Jahre posieren diese Maler als künstlerisches Kollektiv - einer fiktiven kulturpolitischen Entsprechung für die 'Brigaden der sozialistischen Arbeit' im Produktionsbereich. Lutz Dammbeck nähert sich dem Phänomen der ideellen Dienstbarkeit in Ellipsen, verleugnet dabei seinen Gesprächspartnern keineswegs jede gutgemeinte Absicht. Im Gegenteil: gerade deren bis heute ungebrochenes Sendungsbewußtsein läßt universelle Antriebsmomente erahnen. Neben Tübke und Heisig kommen u. a. Sonja Kurella und Hermann Lauter zu Wort - maßgebliche Funktionäre des Hochstalinismus, der, nicht zu vergessen, noch bis hin zum Ende 1989 in der DDR evident und auch virulent erschien, d.h. mit dessen neuerlichem Ausbrechen durchaus zu rechnen war. Geradezu verblüffend sind die personellen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge, die Dammbeck zwischen den ästhetischen Idealen des realen und nationalen Sozialismus aufreißt. Was theoretisch durchaus bekannt war, erfährt durch selten gezeigtes Archivmaterial und der geschickt aufgearbeiteten Faktenfülle eine filmisch sehr sinnliche Darstellung. Im Nationalsozialismus wie in der DDR zielte Kulturpolitik auf die dumpfen Wünsche nach direkter Verständlichkeit und unumwundenem ideologischem Auftrag. Kunst sollte lern- und lehrbar sein. Abweichungen von diesem Schema stigmatisierte man mit Begriffen wie "Entartung" und "Zersetzung". Dammbecks bildnerisches und filmisches Werk ist in geradezu obsessiver Weise durchzogen vom Drang, auf diese Analogien hinzuweisen. Er verlegt sich dabei jedoch nicht auf eine triumphale Perspektive, die gescheiterte ideologische Utopien aus heutiger Sicht lediglich kommentiert. Er macht mit seinem Mißtrauen weder vor sich selbst halt noch vor der bundesdeutschen Wirklichkeit. Einer der vielen unaufdringlichen Sentenzen im Film weist übrigens darauf hin, daß Helmut Schmidt sein obligatorisches Kanzlerporträt von keinem anderen als Bernhard Heisig hat anfertigen lassen.
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