Der Duft der Frauen (1992)

Drama | USA 1992 | 157 Minuten

Regie: Martin Brest

Ein blinder pensionierter Offizier bricht nach New York auf, um sich noch einmal richtig zu amüsieren, im Schlepptau den ahnungslosen Internatsschüler, der ihn betreuen soll. Aus dem Unverständnis zwischen den höchst ungleichen Charakteren wird schließlich Sympathie und wechselseitiger Respekt. Der Schüler kann dem verbitterten Mann neuen Lebensmut geben und erhält von ihm Unterstützung bei einem Konflikt im Internat. Eine fesselnde Charakterstudie eines in sich zerrissenen, nur nach außen hin unerbittlichen Mannes. Al Pacino gestaltet seine Rolle zu einer Solovorstellung sondergleichen. (Der Stoff wurde bereits 1974 von Dino Risi verfilmt.) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SCENT OF A WOMAN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
UIP/Universal
Regie
Martin Brest
Buch
Bo Goldman
Kamera
Donald E. Thorin
Musik
Thomas Newman
Schnitt
William Steinkamp · Michael Tronick · Harvey Rosenstock
Darsteller
Al Pacino (Lt. Col. Frank Slade) · Chris O'Donnell (Charlie Simms) · James Rebhorn (Mr. Task) · Gabrielle Anwar (Donna) · Philip S. Hoffman (George Willis jr.)
Länge
157 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DS engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Er hat eine ungewöhnlich scharfe Zunge, er ist bissig und gemein, jähzornig im einen Moment, lammfromm im nächsten; er kann jemanden in Sekundenschnelle zur Weißglut treiben, aber - wenn er will - auch genauso schnell umgarnen mit seinem Charme. Der Whisky ist sein ständiger Begleiter und er ißt gerne gut; er liebt schöne Frauen und schnelle Wagen. Er ist ein begnadeter Tänzer, und er ist blind.

Frank Slade, Oberstleutnant a.D. Ein Offizier im Ruhestand, verbittert durch sein Schicksal, hart gegen sich, härter noch gegen andere. Charlie Simms bekommt es zu spüren. Ahnungslos folgt der Intematsschüler, der über "Thanksgiving" sein Taschengeld aufbessern will, einer "Housesitting"-Anzeige, die am Schwarzen Brett aushängt. Nach fünf Minuten mit dem Pensionär, nach einem Schnellkurs im Zusammenstauchen ist er eigentlich gar nicht mehr so versessen auf den Job. Aber die junge Frau, die sich sonst mit dem giftigen Menschenfeind abplagt, kann ihn zum Bleiben bewegen, und für Charlie beginnt ein Abenteuer der besonderen Art. Der blinde Mann hat nämlich eigene Pläne für das Wochenende: ein paar schöne Tage in New York, ohne Rücksicht auf die Kosten noch einmal das Leben genießen - und ihm dann eigenhändig ein Ende bereiten. Wachhund Charlie bleibt ihm wohl oder übel auf den Fersen, herumkommandiert, hilflos und voller Skrupel. Bald wird ihm klar, daß sich Slade auch ohne Augenlicht ganz gut in der Welt zurechtfindet. Er taucht uneingeladen bei der Familie seines Bruders auf, bricht einen Streit vom Zaun und verabschiedet sich als Sieger nach Punkten. Das andere Geschlecht erkennt er am jeweiligen Parfüm - am "Duft der Frauen". Einen störrischen Autohändler wiederum wickelt er derart um den Finger, daß der grünes Licht gibt für eine Probefahrt im Ferrari. Charlie beginnt so etwas wie Achtung für den Pensionär zu empfinden, zumal hinter der stacheligen Schale Schwächen und Ängste sichtbar werden. Frank Slade mag nach Belieben andere verletzen - sein eigenes Inneres freilich ist ebenso vernarbt. Umgekehrt findet der Blinde hinter dem unsicheren Auftreten des Jüngeren etwas, was er ausgestorben glaubte: Charakter und Persönlichkeit. Dieser Persönlichkeit ist es auch zu verdanken, daß Frank, nachdem ihn der große Katzenjammer gepackt hat und der Griff zum Revolver nicht mehr weit ist, neuen Lebensmut faßt und doch nach Hause zurückkehrt.

Die Wandlung zum umgänglichen Menschenfreund, der mit Kindern spielt, statt sie zu verjagen, kommt nun allerdings doch etwas unvermittelt. Zu überzeugend hat Al Pacino vorher die tiefsitzende Verbitterung seines Charakters herausgearbeitet. Und plötzlich holt Martin Brests Film auch zu dem moralischen K.O. aus, den er dem Zuschauer bis dahin erspart hat. Charlie steckt nämlich in der Klemme. Als Zeuge eines Streiches, den angebliche Freunde dem Intematsdirektor gespielt haben, muß er sich entscheiden, ob er kooperieren -d.h. denunzieren - will oder nicht. Weil er Rückgrat zeigt, soll er von der Schule fliegen - was Frank Slade mit einem donnernden Plädoyer verhindert. Der Blinde sieht mehr als die Sehenden; nicht geblendet von Autorität. Macht und Geld, erkennt er die wahren Werte eines Menschen. Das Land braucht neue, junge Männer, unverdorbene Charaktere vom Schlage eines Charlie Simms, so die Botschaft (ganz im Einklang mit der Aufbruchsstimmung der Ära Bill Clinton.).

Nun läßt sich diese pathetische Aufrüstungsaktion verschmerzen nach zweieinhalb ansonsten höchst anregenden Filmstunden. "Der Duft der Frauen" ist eine ungemein fesselnde Charakterstudie; das Bildnis eines in sich zerrissenen Mannes, ganz ohne die grelleren Farben von Drama und Komödie gezeichnet. Lautes Lospoltern im Kasernenton, stille Verzweiflung, Galgenhumor und galliger Witz, jäher Zorn, der in Tiraden von Haß und Selbsthaß ausbricht, der verschmitzte Charme des Gentlemans alter Schule - Al Pacino spielt nicht allein die Facetten dieses höchst widerspruchsvollen Charakters aus, er schafft es dabei, ein "Ekel" liebenswürdig zu machen. Das ganze Gewicht, das Gelingen des Films hängt an ihm, alles andere wird daneben Randerscheinung. Pacino löst die Aufgabe mit Bravour, mit einer Solovorstellung sondergleichen. Tango Inbegriffen.
Kommentar verfassen

Kommentieren