In the Line of Fire - Die zweite Chance

Thriller | USA 1993 | 128 (gek. 123) Minuten

Regie: Wolfgang Petersen

Ein Secret-Service-Agent, der sich Vorwürfe macht, bei dem Attentat auf Präsident Kennedy versagt zu haben, wird 30 Jahre später zum besessenen Gegenspieler eines ehemaligen CIA-Killers, der ein Attentat auf den jetzigen Präsidenten plant. Die Spannung des Films resultiert mehr aus den Charakteren und deren Verankerung in der Psychologie der amerikanischen Nation als aus vordergründiger Aktion. Gute Darstellung und eine konzentrierte, an Höhepunkten auch effektsichere Regie verleihen den Klischees des Genres doppelbödige Bedeutung. (Alternativtitel: "Die zweite Chance") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IN THE LINE OF FIRE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Columbia/Castle Rock
Regie
Wolfgang Petersen
Buch
Jeff Maguire
Kamera
John Bailey
Musik
Ennio Morricone
Schnitt
Anne V. Coates
Darsteller
Clint Eastwood (Fank Horrigan) · John Malkovich (Mitch Leary) · Rene Russo (Lilly Raines) · Dylan McDermott (Al D'Andrea) · Gary Cole (Bill Watts)
Länge
128 (gek. 123) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f (gek.ab 12) (DVD 16)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Thriller
Externe Links
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Heimkino

Die Extras der Neuauflage umfassen u.a. einen dt. untertitelten Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Feature mit nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Columbia TriStar Home (16:9, 2.35:1, DD2.0 engl./dt.), 2. Auflage: Columbia TriStar Home (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl., DS dt.)
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Diskussion
Der 30. Jahrestag der Ermordung John F. Kennedys hat die amerikanische Öffentlichkeit mehr bewegt als die meisten aktuellen politischen Ereignisse. Zusammenfallend mit der wirtschaftlichen Stagnation des zu Kennedys Zeiten von großen Hoffnungen bewegten Landes, gilt sein Tod den Amerikanern als Symbol für den verlorengegangenen Traum von persönlichem Glück und glorreicher Zukunft. Skepsis und Mißtrauen gegenüber politischen Institutionen, wie sie sich vor und nach der letzten Präsidentenwahl in bisher nicht dagewesener Form gezeigt haben, finden Nahrung im Vergleich heutiger führender Politiker mit der historisch verklärten Figur des jungen, Widerstände meisternden John F. Kennedy. Die Medien, immer hart am Puls eines sicheren Geschäfts, haben aus der resignativen Verehrung eines politischen Helden weidlich Kapital geschlagen. Vor allem Oliver Stones kritische Dramatisierung der Ereignisse von Dallas, "JFK" (fd 29 360), hat den Nerv genau getroffen. In ihrem Gefolge versuchen auch andere Filme von der landesweiten Faszination zu profitieren. "Bodyguard" (fd 30 000) begründet die Skrupel seines Helden mit dem "Versagen" des Secret Service an jenem verhängnisvollen 22. November 1963, und der Agent Frank Horrigan in "Die zweite Chance" leidet seit 30 Jahren unter dem Komplex, seinerzeit nicht rasch genug reagiert zu haben. Denn er - so die Prämisse der Handlung -war an jenem Tag in Dallas einer der verantwortlichen Leibwächter des Präsidenten.

Auch dieser Film könnte "Bodyguard" heißen, nur daß sein Held, im Gegensatz zu der Kevin-Costner-Figur, im Dienst geblieben ist, wachsam und mit geradezu neurotischem Eifer auf der Suche nach einer Gelegenheit, das vermeintliche Versagen in historischer Stunde wettzumachen. Diese Bewährungsprobe kommt auf ihn zu, als ein raffinierter und zu allem entschlossener Attentäter telefonisch seine Absicht ankündigt, den Präsidenten der Vereinigten Staaten umbringen zu wollen. Der Mann, der nach langen vergeblichen Bemühungen als ein ehemaliger Killer der CIA identifiziert wird, weiß um Franks Vorgeschichte und geheime Skrupel. Es macht für ihn die Planung und Ausführung der Tat noch reizvoller, mit Frank ein Katz-und-Maus-Spiel zu beginnen, in dem er seine eigene Obsession gegen Franks besessenen Ehrgeiz ausspielt, sich vor sich selbst zu rehabilitieren.

Über den größten Teil des Films ist es weniger die Vorbereitung des Attentats als die selbstzerstörerische Tendenz beider Charaktere, die Psychologie zweier auf den ersten Blick hochgradig konstruierter Figuren, die für Spannung im Parkett sorgt. Der Attentäter macht sich nichts daraus, sein Leben aufs Spiel zu setzen, und der Secret-Service-Agent ist bei seinen Vorgesetzten schon unrühmlich dafür bekannt, daß er nur nach einer Gelegenheit sucht, um sich in die Schußlinie zu werfen. Wolfgang Petersen ("Das Boot", "Die unendliche Geschichte") baut den Film folgerichtig mehr wie ein Kammerspiel als wie einen Actionfilm auf. Das Buch gibt ihm Anhalt genug, um sich auf das Funktionieren der Figuren zu konzentrieren; und als die Story zum Schluß in die voraussehbare Konfrontation einmündet, wirkt die technisch brillante Attentatsszene wie eine befreiende Explosion aufgestauter Erwartungen. Es liegt in der Natur des filmischen Konzepts, daß der Zuschauer lange Geduld üben muß, bis sich die versprochene Action einstellt. Doch er wird dafür entschädigt. Zwar sind die Charaktere, die hier entworfen werden, beide nicht weit von den vertrauten Hollywood-Modellen des patriotischen Kämpfers und des paranoiden Attentäters entfernt, aber sie bekommen eine Menge persönlichen Profils, das sie interessanter macht als die Pappkameraden vom üblichen Genre-Fließband. Selbst Randszenen, wie Franks romantisches Verhältnis mit einer Agentenkollegin (Rene Russo in einer ähnlichen Rolle wie in "Lethal Weapon 3"), werden besser, glaubhafter und vor allem mit einer Portion vorsichtig dosierter Ironie über die dramaturgischen Klippen transportiert als in vergleichbaren Filmen.

Was die Figuren jedoch vor allem funktionieren läßt, ist ihre Verankerung in der Psychologie der amerikanischen Nation. Ihre unterdrückten Neurosen sind die Neurosen einer Bevölkerung, die eine verhängnisvolle Passage in ihrer eigenen Geschichte am liebsten neu schreiben möchte. Die 60er Jahre und deren politische Folgeerscheinungen haben das einst durch ein patriotisches Ideal vereinte Amerika gespalten. In Gewalttätigkeiten ausartende Hoffnungslosigkeit und verzweifelte Restaurationsversuche heißen die neuen Eckpfeiler des brüchig gewordenen gesellschaftlichen Bewußtseins. Beide finden sich in den paranoiden Helden dieses Films wieder. Clint East-wood entdeckt in seiner Rolle Kernstücke der eigenwilligen Idealisten an der Grenze zwischen Recht und Unrecht, Integrität und menschlicher Schwäche, die ihn schon in "Pale Rider" (fd 25 304), "Weißer Jäger, schwarzes Herz" (fd 28 303) und "Erbarmungslos" (fd 29 800) interessiert haben; und John Malkovich spielt den Attentäter mit milder, aber um so besorgniserregenderer Eindringlichkeit: Intelligenz in einer deformierten Psyche, Enttäuschung und Frustration, die sich gegen das System kehren. Beide Figuren unterscheiden sich von der simplifizierenden Polarität genreüblicher Helden und Antihelden wie ihre Vorbilder in Amerikas Realität. Der Secret-Service-Agent ist keine Idolfigur ohne Fehl und Tadel, und der Attentäter kein einfach abzuschreibender Psychopath. In den unaufhörlichen Telefongesprächen der beiden kommen nicht nur Schuldkomplexe und krankhafter Messianismus zum Ausdruck, sondern auch die pessimistischen Überzeugungen vieler Amerikaner, die sich von Washington betrogen sehen und für die es entweder keine Ideale mehr gibt oder die sich mit der Kraft der Verzweiflung an den Trugbildern der Vergangenheit festklammern. Folgerichtig nähern sich die beiden Charaktere einander immer mehr an, der eine von der Regierung als Zerstörer, der andere als Verteidiger mißbraucht. Die beiden Szenen, in denen sie sich die Hand entgegenstrecken, um den anderen vor dem sicheren Sturz in den Tod zu bewahren, sind ein logischer Endpunkt der psychologischen (und ideologischen) Entwicklung.

Bis zu seiner endgültigen Realisierung brauchte dieses Filmprojekt gute zehn Jahre. Erst die jüngste Geschichte hat ihm den rechten Hintergrund geliefert. Vor ihm spielt sich die Handlung ab wie ein zeitgenössischer Albtraum, in dem die Klischees des Genres unerwartet doppelbödige Bedeutung bekommen.
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