Die dreifache Locke

Komödie | Frankreich/Deutschland 1993 | 106 Minuten

Regie: Jean-Michel Ribes

Ein 60jähriger Friseur, der ein zurückgezogenes Leben in einem beschaulichen Pariser Vorort führt, findet durch einen sympathischen, aber leichtlebigen jungen Mann ins aktive Dasein zurück und beteiligt sich erfolgreich an der Weltmeisterschaft der Friseure. Eine melancholische Komödie über Lebenskunst und dem Leben zugewandte Leidenschaftlichkeiten; inszenatorisch gelegentlich etwas zerfahren, aber hervorragend gespielt und voller liebenswerter und überraschender Einfälle. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CHACUN POUR TOI | LA TRIPLE CARPATHE
Produktionsland
Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
MACT/Le Canal +/SAAIS/SFP Cinema/Soficas Sofinergie 2/Sofinergie 3/Cofimage 4/Wega/Lichtblick
Regie
Jean-Michel Ribes
Buch
Philippe Madral · Jean-Michel Ribes
Kamera
Jean-Paul Meurisse · Bernard Dechet
Musik
Philippe Chatel
Schnitt
Olivier Mauffroy
Darsteller
Jean Yanne (Georges Flavier) · Albert Dupontel (Gus) · Heinz Schubert (Botho Stullmann) · Michèle Laroque (Fernande) · Pamela Knaack (Mimy Speers)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Georges Flavier führt ein zurückgezogenes Dasein als Friseur im Pariser Stadtteil Ménilmontant. Zwar pflegt er einige Freundschaften und ist in dem heimeligen Bezirk, in dem noch jeder jeden kennt, beliebt, weil er allen mit Rat und Tat zur Verfügung steht; doch den 60jährigen umgibt eine unübersehbare Melancholie, eine offenbar selbstgewählte Einsamkeit, die seine Mitmenschen nicht durchdringen können. Gefühle verbirgt er hinter stoischer Ruhe, so daß ihn nichts mehr wirklich zu erschüttern scheint. So seufzt er denn auch eher resigniert, als daß er sonderlich aufgeregt ist, als er eines Nachts einen jungen Selbstmörder aus dem Kanal Saint Martin fischt; oder besser: es ist der "ertrinkende" GUS, der Georges ans Ufer zieht, weil diesem die Kräfte versagen. GUS war es ohnehin nicht sonderlich ernst mit seinem Vorhaben, das er in einem Wutanfall ausführte, um zu verhindern, daß sich seine Geliebte von ihm trennt. Nun sitzt er in Georges' Frisiersalon, immer noch aufgebracht, und entpuppt sich als sympathischer und gutaussehender, aber oberflächlicher, allzu leichtlebiger junger Mann. Eher mechanisch, weil es nun einmal so seine Art ist, greift Georges GUS unter die Arme, baut ihn seelisch auf, läßt ihn für einen Augenblick teilhaben am Leben im Viertel. Zwar wollen sich die beiden jeden Augenblick wieder trennen, aber seltsamerweise wird aus GUS' Abreise nach Nizza nichts: die beiden werden Freunde, wobei sich bald eine Art Vater-Sohn-Beziehung ergibt. Als GUS herausbekommt, daß Georges ein absoluter Meister seines Fachs ist und früher sogar Weltmeister der Friseure war, versteht er die Welt nicht mehr. Er will Georges aus seinem vermeintlichen "Rattenloch" locken, doch der weist dies müde und resigniert zurück. Erst als in einem Streit ihre Freundschaft fast zerbricht, rafft sich Georges auf und übernimmt noch einmal die Initiative: gemeinsam fahren sie nach Karlsbad, wo Georges erneut an einer Weltmeisterschaft teilnimmt.

Die "dreifache Locke" - das ist die von Georges kreierte Technik, mit der er einst Weltmeister wurde, zugleich aber auch mehr: es ist der Schlüssel zu seinem wahren Wesen, das er nach einer lange Zeit zurückliegenden Katastrophe (der Selbstmord seines Sohnes) zuschüttete, nicht zuletzt auch, um seelisch schmerzunempfindlich zu werden. Denn die "Locke", dieses virtuose "Sahnehäubchen" seiner Frisierkunst, ist nach wie vor auch allgemeingültiges Zeichen für seine dem Leben zugewandte Leidenschaftlichkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen und ihnen einen Sinn zu geben. Eher instinktiv spürt dies der so wenig selbstbewußte GUS, dies spätestens nach einem Vortrag, den ihm Georges im Kunstmuseum über den Zusammenhang von Kunst und Haarpracht hält und den er mit manch kluger Lebensweisheit würzt. Freilich muß GUS nun seinerseits aktiv werden, um seinen Lehrmeister in Sachen Lebenskunst wieder ins aktive Dasein zurückzuholen; und so ist der nach mannigfaltigen Zwischen- und Glücksfällen doch noch erreichte Titelgewinn zugleich auch ein Sieg fürs Leben, in das Georges und GUS gestärkt zurückkehren.

Daß diese vergleichsweise kleine Alltagskomödie so für sich einnimmt, liegt einerseits an seinem liebenswerten Thema der Freundschaft und Selbstfindung, andererseits an zwei hervorragenden Hauptdarstellern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Inszenatorisch eher schlicht, verliert der Film vor allem in seinem langen Mittelteil an Dichte, weil er beim Friseurwettbewerb in Karlsbad zwar einiges an äußerlicher Komik aus der Exzentrik verschiedener Friseur-Typen bezieht, dabei aber die Beziehung zwischen Georges und GUS vernachlässigt. Stets aber sind es die Einfälle am Rande, die amüsieren: Ereignisse um sympathische Nebenfiguren mit ebenso schrulligen wie liebenswerten Sorgen, Wehwehchen und Passionen. Da sind der Metzger, der die Erstkommunion seiner Tochter mit einem bizarren Kostümfest feiert und sich zugleich von der extremen Hochfrisur seiner Geliebten - virtuos gestaltet von Georges - in Stimmung versetzen läßt; seine betrogene Ehefrau, die sich für das falsche Festkostüm entscheidet; ein gealterter Ballettlehrer, der mit großer Leidenschaft Kinder unterrichtet und sich von Georges die Beine rasieren läßt; ein Kunde in Georges' Salon, der eine fulminante Lektion in Sachen Selbstbewußtsein mitanhören muß. So entwickelt sich ein Reigen diverser Lebensentwürfe mit kleinen und größeren Wahrheiten und Lügen, sympathisch und einnehmend wie der Film selbst.
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