Der Mann ohne Gesicht (1993)

Drama | USA 1993 | 115 Minuten

Regie: Mel Gibson

Ein vaterlos aufgewachsener, in seiner Familie zurückgesetzter Junge findet Halt und Ansporn bei einem ehemaligen Lehrer, dessen Körper bei einem tragischen Autounfall verunstaltet wurde und der seitdem das Leben eines Einsiedlers vorzieht. Ein Film, der um Verständnis und Mitgefühl für Außenseiter wirbt; etwas zu statuarisch in der Darstellung und von Mel Gibson noch unausgewogen inszeniert, aber mit sympathisch wenig Neigung zu Effekten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE MAN WITHOUT A FACE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Icon/Majestic
Regie
Mel Gibson
Buch
Malcolm MacRury
Kamera
Donald McAlpine
Musik
James Horner
Schnitt
Tony Gibbs
Darsteller
Mel Gibson (McLeod) · Margaret Whitton (Catherine) · Fay Masterson (Gloria) · Gaby Hoffmann (Megan) · Geoffrey Lewis (Sheriff Stark)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung

Diskussion
Das Publikum verbindet mit dem Namen Mel Gibson die hartgesottenen Helden von "Mad Max" (fd 22 329) und den "Lethal Weapon"-Filmen (u.a. fd 29 722), kaum erinnert es sich an den "Star" der frühen Peter-Weir-Filme "Gallipoli" (fd 23 354) und "Ein Jahr in der Hölle" (fd 24 024). Sein kürzlicher Auftritt in Zeffirellis "Hamlet" (fd 29 259) wurde eher als Kuriosität denn als ernsthafte Ambition begriffen. Daß Gibsons Ehrgeiz und Affinität nicht bei den einträglichen Actionhelden Halt machen, unterstreicht "Der Mann ohne Gesicht", der erste Film, in dem er nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch Regie führt. Es scheint neuerdings zum guten Ton zu gehören, daß beliebte Schauspieler auf der Höhe des Ruhms den Sprung in den Regiesessel wagen. Von Kevin Costner bis zu Robert De Niro üben sich gleich mehrere - mit unterschiedlichem Erfolg - in der Kunst des Filmemachens. Mehr als die Tatsache, daß Gibson nun auch Regie führt, sagt die Wahl des Sujets über ihn aus. "Der Mann ohne Gesicht" ist alles andere als ein Publikumsthriller. Es ist die Geschichte einer spontanen, aber komplizierten Beziehung zwischen zwei vom Schicksal benachteiligten Menschen. Der eine ist noch ein Kind, aufgewachsen ohne Vater, von seiner Familie voreilig mit dem Makel mangelnder Intelligenz versehen, der andere ein ehemaliger Lehrer, der sich nach einem tragischen Autounfall, der einem seiner Schüler das Leben gekostet hat, in die Isolation zurückgezogen hat. Chuck Norstadt, das Kind, findet weder Anerkennung noch Zuspruch in seiner Umwelt, McLeod, der Einsiedler, hat sich von den Menschen zurückgezogen, weil er sich mißverstanden fühlt und weil ihm sein unfallentstelltes Gesicht den Zugang zu anderen nicht gerade erleichtert. Doch die beiden Außenseiter entdecken eine Zuneigung zueinander. McLeod findet wieder einen Sinn in seiner selbstverschlossenen Welt, Norstadt, wie er den Jungen stets distanziert mit dem Familiennamen anredet, Motivation und ersten Erfolg.

Gibson hat die Geschichte in der überschaubaren Kleinbürgerlichkeit des Ostküstenstaates Maine angesiedelt, dessen Wälder, Flüsse und altmodische Architektur der sich langsam entwickelnden Handlung den Hintergrund für jugendlich naive Abenteuerlichkeit und Träumerei verleihen. Doch aus den Träumen erwacht Norstadt in eine Realität, deren Komplikationen sein junges Leben verwirren, in der er vergeblich nach Orientierung und Ziel sucht;

McLeod lenkt ihn vorsichtig in eine Richtung, von der der sich selbst überlassene Norstadt keine Ahnung hatte. Ohne die sich anbahnende emotionale Bindung durch äußere Freundlichkeit zu unterstützen, wird er dem Jungen zur vermißten Vaterfigur, vermag er ihm Kunst, Sprache und Literatur als eine unerwartete neue Welt zu erschließen. Der Schluß des Films bleibt angemessen in der Schwebe, unvermeidliche Enttäuschungen und unzerstörbare Zugewinne in adäquater Balance haltend.

Ursprünglich hatte Mel Gibson gar nicht die Absicht, den McLeod selbst zu spielen. Doch alle Kollegen, denen er die Rolle angetragen hat. haben sie abgelehnt. Wer möchte schon einen ganzen Film lang mit einer total verunstaltelen Gesichtshälfte herumlaufen! Vielleicht wäre es dem Film gut bekommen, hätte Gibson seine Aufmerksamkeit nicht zwischen zwei Aufgaben teilen müssen. Mit allen anderen Darstellern - vor allem mit dem kleinen Nick Stahl - kommt er nämlich besser zurecht als mit sich selbst. Sein McLeod ist um eine entscheidende Nuance zu statuarisch, als daß der geistige Funke, der von ihm auf den Jungen überspringen soll, vollends glaubhaft wird. Der Film hat auch sonst eine Menge Kanten und Ecken, Unvollkommenheiten vieler Erstlingsfilme, ohne daß die Faszination der Geschichte darüber verloren ginge. Die divergenten Elemente - von "Phantom der Oper" bis zu "Club der toten Dichter" - kommen trotz einer unverkennbaren Langatmigkeit und etwas hölzerner Dramaturgie gut genug zusammen, um das Interesse wach zu halten. Der Mensch und Künstler Mel Gibson profiliert sich mit diesem Film jedenfalls in eine Richtung, die auf die Zukunft des heute 37jährigen neugierig macht.
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