Before Sunrise

- | USA/Österreich 1994 | 101 Minuten

Regie: Richard Linklater

Eine junge Französin und ein ebenso junger Amerikaner treffen im Zug nach Paris aufeinander. Aus spontaner Sympathie verbringen sie die Stunden bis zu seinem Abflug in die USA in Wien. Bis zum nächsten Morgen wandern sie durch die Stadt, erzählen von sich und dem Zustand der Welt. Außer wenigen bizarren Randfiguren beschränkt sich der Film ganz auf seine sympathischen Hauptfiguren. Streckenweise recht romantisch und stark dialogbezogen, stellt er Fragen nach Sinn und Aufgaben menschlichen Lebens und weist Ichbezogenheit als dem Glück hinderlich aus. (Kinotipp der katholischen Filmkritik, Fortsetzung: "Before Sunset", 2004) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BEFORE SUNRISE
Produktionsland
USA/Österreich
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Detour
Regie
Richard Linklater
Buch
Richard Linklater · Kim Krizan
Kamera
Lee Daniel
Schnitt
Sandra Adair
Darsteller
Ethan Hawke (Jesse) · Julie Delpy (Celine) · Andrea Eckert (Frau im Zug) · Hanno Pöschl (Mann im Zug) · Karl Bruckschwaiger
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ungewöhnliche filmische Erzählformen sind das Kennzeichen des 33j ährigen Amerikaners Richard Linklater. In seinem ersten größeren Film "Slacker" (1989) beleuchtet er in halbdokumentarischem Stil, der Kritiker an den Charakter von Home-Movies erinnerte, das Leben von skurrilen Typen seines Heimatorts Austin/Texas. Gleich reihenweise und in freiem Fluß ohne aufgesetzte Story, zufällig wie bei einem absichtslosen Spaziergang, erscheinen und verschwinden die Gestalten. Auch in seinem dritten Film ist das Dahinwandern ohne gegenwärtiges Ziel, das Prinzip Zufall, auffälliges Stilmittel. Nur: Diesmal ist das Panoptikum im wesentlichen auf zwei Personen beschränkt.

Im Zug von Budapest nach Paris treffen Céline, eine Französin, und Jesse, ein Amerikaner auf Entdeckungsreise in Europa, aufeinander. Ausgerechnet der Streit eines älteren Paares, dem Celine sich durch einen Platzwechsel entzieht, führt die beiden zusammen. Sie kommen ins Gespräch - Europa trifft Amerika. Eigentlich geht die Unterhaltung kaum über den gewöhnlichen Small-Talk hinaus, den zigtausend Interrailer ebenso schon gepflegt haben. Doch Linklater wagt die radikal romantische Wendung. Als Jesse in Wien, von wo er am nächsten Tag in die USA zurückfliegen muß, aussteigt, überredet er Celine, den Rest des Tages und die Nacht mit ihm in der Donau-Metropole herumwandernd zu verbringen. In 20 Jahren könnte sie es, unglücklich verheiratet mit einem anderen, womöglich bereuen, diese Chance nicht genutzt zu haben. Das Unwahrscheinliche passiert - die junge Frau geht auf das Abenteuer ein.

So schlendern sie dann dahin, vom späten Nachmittag in die Dämmerung, von da in die Nacht und so weiter. Sie plaudern über die Welt, Gott, über ihre Eltern, die ersten sexuellen Gefühle und erörtern, was sie am meisten nervt. Langsam aber sicher kommen sie sich näher, öffnen sich dem Gegenüber. Die Tour führt zu bekannten und zu fremden Schauplätzen Wiens (Riesenrad im Prater, Friedhof der Namenlosen, Albertina, Donaukanal). Begegnungen mit ungewöhnlichen Zeitgenossen (Straßenpoet, Wahrsagerin, Bauchtänzerin etc.) unterbrechen das verspielte Zusammensein und geben dem Film einen zusätzlich romantisch-exzentrischen Touch. Die Dialoglastigkeit und die beiläufige Dynamik des Spontanen erinnern manchmal an das Kino Eric Rohmers, wobei die Gestaltung der Dialoge (besonders was den Witz, das Entlarvende zwischen Worten und Attitüden) beim französischen Altmeister wesentlich feinsinniger angelegt ist. Rohmers Figuren wirken außerdem komplexer, ihre Erfahrungen sind widersprüchlicher und dadurch wohl auch interessanter, als die der beiden jungen Reisenden. Celine und Jesse demonstrieren stattdessen eine Unschuld, die schon wieder beneidenswert wird.

Die beste Szene gelingt Linklater und seinen Schauspielern in der engen Kabine eines Plattenladens, wo abseits von den Worten Emotionen aufsteigen, die gegenseitigen kurzen Beobachtungen aber immer nur den ausweichenden Blick des anderen treffen. Hier wird ein kleiner Spannungsbogen erzeugt, den die Geschichte über weite Strecken entbehrt, weil sie kaum Distanz zu ihren zwei Vagabunden aufbaut. Zu sehr vertraut sie stattdessen dem ausgeprägt romantischen Sujet.

Ein Film, dessen Handlung sich im wesentlichen nur um zwei Personen dreht, gehört zu den größten Herausforderungen des Geschäfts. "Before Sunrise" sind die Schwierigkeiten eines solchen Projekts durchaus anzumerken. Ohne Linklaters Fähigkeiten und den Spielwitz von Ethan Hawke und Julie Delpy in Frage zu stellen, gleitet der Film doch des öfteren ins Beliebige ab, leidet das Gefühl der Ungezwungenheit, die angestrebte Leichtigkeit unter dem Gewicht bemüht wirkender Momente. Dies mag mit ein Grund dafür gewesen sein, daß sich bei der Verleihung des "Silbernen Bären" in Berlin auch einige Buh-Rufe unter den Applaus gemischt haben. Beachtlich ist allerdings das absolut offene Ende, das so mutig und ungewöhnlich ist wie die Entscheidung von Celine und Jesse bei ihrer (doch nur vorläufigen?) Trennung am nächsten Tag.
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