Teufel in Blau

Krimi | USA 1995 | 101 Minuten

Regie: Carl Franklin

Ein junger afroamerikanischer Kriegsheimkehrer nimmt in einer finanziellen Notlage eine Arbeit als Amateurdetektiv an und verstrickt sich auf der Suche nach einer verschwundenen Frau in ein Dickicht aus Verbrechen, Korruption und Rassismus. Die erstaunlich leise und einfühlsam geschilderte Story verbindet sich mit einer sorgfältigen, atmosphärisch dichten Rekonstruktion der Lebensverhältnisse der schwarzen Bevölkerung von Los Angeles im Jahr 1948 zu einem aufschlußreichen historischen Exkurs in die Ursprünge gesellschaftlicher Mißstände im heutigen Amerika. Vorbilder des klassischen "film noir" werden dabei auf eigenständige und fesselnde Weise verarbeitet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DEVIL IN A BLUE DRESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Clinica Estetico/Mundy Lane Entertainment
Regie
Carl Franklin
Buch
Carl Franklin
Kamera
Tak Fujimoto
Musik
Elmer Bernstein
Schnitt
Carole Kravetz
Darsteller
Denzel Washington (Easy Rawlins) · Tom Sizemore (DeWitt Albright) · Jennifer Beals (Daphne Monet) · Don Cheadle (Mouse) · Maury Chaykin (Matthew Terell)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Columbia TriStar Home (16:9, 1.85:1, DD5.0 engl./dt.)
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Diskussion
Mit "One False Move" (fd 30 266) machte er zum ersten Mal auf sich aufmerksam, mit "Teufel in Blau" liefert er den Beweis dafür, daß sich durchaus nicht jeder Filmregisseur durch das amerikanische Studio-System und die Verlockung eines hohen Budgets korrumpieren lassen muß: Carl Franklin, einer der "Spätentwickler" in der Hollywood-Szene. Franklin, afro-amerikanischer Abstammung, ist schon 46. Der Mann weiß, was er will, und scheint auch über das notwendige Durchsetzungsvermögen zu verfügen. "Teufel in Blau" ist nämlich das extreme Gegenteil all der aufgeregten, aber längst nicht mehr aufregenden Gangster- und Killerfilme der 80er und 90er Jahre, eine sicher nicht einfache, aber hoffentlich lehrreiche Lektion für die an hektische Schnittfolgen und laute Effekte gewöhnte MTV-Generation.

Das Thema klingt vertraut und läßt sich werbemäßig entsprechend anreißerisch vermarkten: Ein junger Schwarzer, der durch die sozialen Umstände in einen Sog von Korruption und Verbrechen hineingezogen wird. Doch Franklins Held hat nichts mit den amoralischen Draufgängern des zeitgenössischen Hollywood-Kinos gemein. Sein Ziehvater heißt Walter Mosley, aus dessen Ezekiel-Rawlins-Romanen er entlehnt ist, ein "down to earth character", wie die Amerikaner sagen, sogar ein Mann mit Zielen und Idealen. Die Zeit ist nicht die Gegenwart, sondern das Jahr 1948. Ort der Handlung: das Ghetto der Farbigen in Los Angeles. Franklin hat in Berkeley Geschichte studiert, bevor er sich der Schauspielerei und später der Regie zuwandte. Er ist so etwas wie ein Historiker im Gewand des Filmemachers - oder umgekehrt. Seine Filme sind Entdeckungsreisen ins Unbekannte. In "One False Move" webte er in die genreübliche Gangstergeschichte das Porträt eines verschlafenen Städtchens in Arkansas, eines kleinen Nestes fern aller Großstadt-Attraktionen, das immer noch typisch ist für weite Teile Amerikas, auch wenn es im Hollywood-Film gewöhnlich nicht vorkommt. In "Teufel in Blau" schließt er sozusagen eine historische Lücke. Was "Chinatown" (fd 19 120) für die Nachkriegsgeschichte des weißen Los Angeles war, das ist dieser Film für die Geschichte des schwarzen Teils der Stadt. Zum erstenmal - man sollte es kaum glauben - erscheinen die Straßen und das Leben an der Central Avenue so ausführlich und so verbindlich rekonstruiert im Film. Es ist genau jene Gegend, die heute zum Schauplatz von Drive-By-Shootings verkommen ist, zu jenen kaum noch bewohnbaren Slums, die in den Filmen John Singletons beschrieben werden. Damals standen dort adrette kleine Wohnhäuser, lebten dort Menschen, die eine Familie und eine geregeltes Auskommen haben wollten, die trotz der täglichen Degradierung durch eine inhumane Zwei-Rassen-Gesellschaft ihre kleinen Träume besaßen. Die vibrierende Atmosphäre dieses "Ghettos" und seiner noch unangefochtenen Bürgerlichkeit bei Tage und seinen von Jazz durchdrungenen schäbigen Lokalen und aufgemotzten Super-Clubs bei Nacht gibt nicht nur den Schauplatz für Franklins Film ab, nein sie ist die Essenz seines Films. Die Story des Easy Rawlins versteht sich darin nur als Beispiel.

Easy ist aus dem Krieg zurück. Mit dem bißchen Geld, das er danach in der Rüstungsindustrie verdient hat, konnte er sich den großen Wunsch des schwarzen Mannes erfüllen, am "American Dream" teilzuhaben, nämlich sich einen kleinen Bungalow in Watts zu kaufen. Mit dem Job jedoch verlor er auch die Fähigkeit, seine Hypothekenraten zu zahlen. Ein Barkeeper empfiehlt ihn an eine zwielichtige Figur, einen Mann, "der Freunden einen Gefallen tut". Der legt ihm 100 Dollar auf die Hand für einen Job, der Easy nicht allzu kompliziert vorkommt. Er solle eine gewisse Daphne Monet aufspüren, die mit einer einflußreichen Lokalgröße liiert, aber offenbar spurlos verschwunden ist. Daphne, obwohl eine Weiße, besitzt ein Faible für Schwarze. Also durchkämmt Easy einschlägige Lokalitäten und zieht Erkundigungen in Freundeskreisen ein, die zu einem Mord führen, bevor er überhaupt etwas Definitives ausfindig gemacht hat. Ohne es zu wissen und erst recht, ohne es zu wollen, gerät Easy mit jedem weiteren Schritt, den er tut, tiefer und tiefer in den Sumpf von Verbrechen, Korruption und Rassismus.

Easy ist eine Art Philip-Marlowe-Figur, doch da er schwarz ist, wird er von einer anderen Motivation geleitet. Alles, was er tut, geschieht eigentlich nur, um ihn zu der "Normalität" eines Lebens zurückzubringen, das er schon einmal besessen hat. Im Gegensatz zu seinem schießfreudigen Freund Mouse, den er zu Hilfe ruft, hat er ein Gewissen und eine Moral. Easy ist nicht der abgebrühte Genre-Detektiv, sondern ein gewöhnlicher Mann mit Ehrgeiz, aber auch mit Furcht. Die antipodische Gegenüberstellung des bedächtigen Easy mit dem impulsiven Mouse, einem frühen Vorfahren der heutigen Gangbusters, bringt so etwas wie eine hintergründige moralische Lektion in den Film, ohne sich als solche aufdringlich bemerkbar zu machen.

Was dem Film seinen singulären Charakter verleiht, ist Franklins Entdeckung einer von Hollywood negierten historischen Situation, aber ebenso die konsequente, aller üblichen Kino-Dramatik entsagende Machart. Franklin hat die Vorbilder des "Film Noir" der End-40er-Jahre mit offenbarer Akribie studiert, doch er reproduziert deren Tugenden nicht bloß, sondern er integriert sie in einen höchst individuellen Stil. Das deskriptive und kontemplative Element, das in "One False Move" schon zum Vorschein kam, findet hier zu voller Entwicklung. Selbst wenn die Story aktionsbetonten Höhepunkten zusteuert, läßt Franklin den Emotionen keinen freien Lauf, sondern beschreibt die Ereignisse mit einer Ruhe und Lakonik, die besonders jungem Publikum, das mit der Radau-Ideologie des modernen Hollywood großgeworden ist, höchst ungewohnt erscheinen muß. Stets sind es weniger die Aktionen als die Hintergründe, die faszinieren, ist es mehr die sichere Analyse des Historikers Franklin als die unverkennbare Reizwirkung der natürlich auch fotogenen Rekonstruktion, die die Oberhand behält. "Teufel in Blau" nähert sich einem selten erreichten filmischen Ideal, den Stil nämlich aus der Thematik abzuleiten. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der wird aus diesem stillsten Detektivfilm der letzten Jahrzehnte eine Menge mitnehmen können. Nicht nur die Freude an hervorragend gebauten Szenen, nicht nur viel hinreißende Musik von Duke Ellington bis Thelonius Monk, nicht nur eine der besten Nachempfindungen einer historischen Situation, sondern auch Einsichten in ein inhumanes soziales Klima, dessen Kenntnis erst das Verstehen heutiger Konfliktsituationen in amerikanischen Großstädten ermöglicht.
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