... und jeder sucht sein Kätzchen

- | Frankreich 1995 | 90 Minuten

Regie: Cédric Klapisch

Eine junge Frau im Pariser Wohnviertel um die Bastille macht sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Katze. Während sie dabei immer mehr Menschen kennenlernt, wird sie sich immer stärker ihrer bisherigen Vereinsamung bewußt. Eine charmant entwickelte Alltagsbeschreibung, die mit fast ethnografisch anmutender Genauigkeit dem Leben und den Veränderungen im Arrondissement nachspürt. Der Zusammenhalt im Viertel wird auf sehr menschliche Weise als eine Chance zur Kommunikation gedeutet, durch die sich manche Lebenskrise meistern läßt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CHACUN CHERCHE SON CHAT
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Vertigo/France 2 Cinéma/Canal +
Regie
Cédric Klapisch
Buch
Cédric Klapisch
Kamera
Benoît Delhomme
Schnitt
Francine Sandberg
Darsteller
Garance Clavel (Chloé) · Olivier Py (Michel) · Zinedine Soualem (Djamel) · Renée Le Calm (Madame Renée) · Simon Abkarian (Carlos)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Chloé arbeitet als Maskenbildnerin für eine Modefotografin in Paris. Sie teilt sich mit Michel, einem homosexuellen (Lebens-)Künstler, eine große Wohnung im Arrondissement um die Bastille, einem Stadtviertel, das das Schicksal vieler Pariser Bezirke ereilt: eingehüllt in den Staub und Lärm riesiger Baustellen, wird hier saniert und modernisiert, der alte, fast noch dörfliche Charme des Viertels dem Erdboden gleichgemacht. Vor allem die älteren Bewohner schauen erstarrt dem Treiben zu und suchen Nischen, in denen sich ihr bisheriges Leben bewahren läßt. Chloé indes ist jung und hat andere Probleme: endlich will sie Ferien machen, kennt aber niemanden, der in ihrer Abwesenheit auf ihre Katze Gris-Gris aufpaßt. Zufällig stößt sie auf die alte Madame Renée, die in ihrer kleinen Wohnung mit vielen Katzen zusammenwohnt und der es auf eine mehr zur Pflege nicht ankommt. Doch als Chloé nach Paris zurückkehrt, ist Madame Renée am Boden zerstört: Gris-Gris ist verschwunden. Chloé startet eine Suchaktion, unterstützt von hilfreichen Bewohnern des Viertels, und während sie immer mehr Menschen kennenlernt, wird sie sich immer stärker ihrer bisherigen Vereinsamung und ihrer Sehnsucht nach Liebe und einer festen Beziehung bewußt.

Ein "Rendezvous in Paris": Nach Eric Rohmers im selben Jahr entstandenem Film (fd 31 425) taucht man ein weiteres Mal ins Pariser Leben ein, wobei die Verwandtschaft beider Filme bereits bei der Thematik endet. Allenfalls in der süffisanten Lakonie, mit der sich Cédric Klapisch jener Handlungsstränge entledigt, die aus seinem zentralen Beobachtungsfeld herausführen, fühlt man sich an Rohmer (und seine Filmanfänge) erinnert: Chloés Ferien sind ein lediglich sekundenlanges Abtauchen, sie atmet einmal durch - und ist schon wieder zurück im Viertel. Und hier macht Klapisch seine eigentlichen Beobachtungen, läßt aufmerksam und neugierig den Blick schweifen, entdeckt die sich wandelnden Lebensbedingungen, inszeniert mitten im authentischen Alltagsleben Begegnungen, Blicke und vermeintliche Zufälle, die das Leben der Menschen beeinflussen. Würde das alles nicht so lebendig und charmant serviert, käme man auf die Idee, einer ethnologischen Studie beizuwohnen: da tauchen all die alleinlebenden, doch resolut ihr Leben meisternden älteren Frauen auf, allen voran Madame Renée; Djamel, ein arbeitsloser, gehemmter Araber streunt selbst wie ein Katze durchs Viertel; in den Bistros begegnen sich die verschiedensten Charaktere, um miteinander zu lachen, zu witzeln und zu trinken; und zwischen allen wandelt die still verzweifelnde Chloé, die ihre Erfahrungen mit den Menschen im Viertel ebenso wie mit ihrem Leben einsammelt.

Sein Film, so Klapisch, stelle gar keine Geschichte dar, sondern sei eher eine Recherche. Und in der Tat geht es auf vielfältige Weise um Formen des Suchens und des Aufspürens. Chloé sucht jemanden, der auf ihre Katze aufpaßt, bevor sie das verschwundene Tier sucht; zugleich aber sucht sie, zunächst noch unbewußt, nach Bezugspunkten, nach jemandem, den sie lieben kann; auf einer weiteren Ebene spürt die Kamera nach den Spuren des sich verändernden Arrondissements, findet dessen Bewohner und vermittelt ein Gespür für die soziale Funktion urbaner Einrichtungen wie Bistros und Bars, öffentlichen Plätzen und großzügigen Eingangsbereichen von Mietshäusern, wo die Bewohner sich begegnen und austauschen. Klapisch gelingt eine reizvolle Balance aus "authentischer" dokumentarischer Abbildung und amüsantstimmungsvollem "Straßentheater" mit einigen professionellen Schauspielern und vielen Laien, die sich und ihr Leben selbst darstellen. Stets behält Klapisch seine eher flanierende Erzählperspektive bei und überläßt es dem Zuschauer, seiner Sichtweise zu folgen. Manchmal aber verdichtet er die Eindrücke in Chloés Wahrnehmung zu einer fast hysterischen Kakophonie von Geräuschen und Bildern, bringt ihre Angst, ja Panik eindringlich zum Ausdruck, etwa wenn sie im Waschsalon auf das Ende des Waschvorgangs wartet, oder wenn sich ihre Eindrücke zu einem seltsamen Traum verflechten, in dem ihr Rufen nach Gris-Gris über den Dächern der Stadt zu einem verzweifelten Hilferuf wird.

"Warum bin ich allein?", fragt Chloé einmal leise verzweifelt. Sie spürt ihre Einsamkeit vor allem dann, wenn sie Straßenmusiker auf einem Wochenmarkt, ein tanzendes Paar in den nächtlichen Straßen der Bistros beobachtet oder sich zu einem (viel zu) jungen Schlagzeuger hingezogen fühlt. Doch ihre Versuche, der Einsamkeit zu entkommen, münden in Sackgassen; manchmal macht sie sogar bedrohliche Erfahrungen, und manchmal bleibt ihr gar nichts.

Auf das Schminken folgt lediglich das Abschminken. Ihre Empfindungen spiegeln sich sehr subtil auf der musikalischen (Erzähl-)Ebene des Films, auf der sich moderne Techno-Songs und "klassische" Chansons, Hymnen auf Paris und die Liebe, zu einer ganz eigenen Welt der Wahrnehmung und der Hoffnung vermischen. Um so befreiender ist dann am Ende Chloés Laufen durch die Straßen des Viertels, als sie sich ihrer Gefühle für den Maler von nebenan gewahr wird, der ganz offensichtlich auch etwas für sie empfindet.
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