Days of Being Wild

- | Hongkong 1990 | 98 Minuten

Regie: Wong Kar-wai

Ein skrupelloser Frauenheld aus Hongkong verschmäht seine beiden Geliebten, um sich auf die Suche nach seiner Mutter in Manila zu begeben, wo er aber nur seine Mörder findet. Wong Kar-wais zweiter Film ist eine artifizielle Hommage an den französischen Existentialismus, die die Suche nach einer unbestimmten Idee von Geborgenheit umschreibt. Erzählt wird die Geschichte vor allem in den Monologen der zentralen Figur bei betont zurückgenommener Stilisierung, die sich von allen Genre-Konventionen abwendet. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
A FEI ZHENGZHUAN | DAYS OF BEING WILD
Produktionsland
Hongkong
Produktionsjahr
1990
Regie
Wong Kar-wai
Buch
Wong Kar-wai
Kamera
Christopher Doyle
Musik
Terry Chan
Schnitt
Patrick Tam · Hai Kit-wai
Darsteller
Leslie Cheung (Yuddy) · Andy Lau (Tide) · Carina Lau (Leung Fung Ying alias Luli alias Mimi) · Alex Man (Tony) · Rebecca Pan (Rebecca)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
„Einmal zeigte jemand in meiner Gegenwart auf seine Uhr. Er sagte, er würde sich immer an mich erinnern, nur wegen dieser einen Minute.“ Li Chen, die verschmähte Geliebte des Frauenhelden Yuddy, sagt diesen Satz zum Polizisten Tide, dem sie sich anvertraut. In fast allen Arbeiten Wong Kar-wais werden wiederholt Uhren ins Bild gerückt, und der einzige seiner Filme, der zeitlich vor Erfindung des Chronometers angesiedelt ist, benennt dafür das Phänomen gleich in seinem Titel: „Die Asche der Zeit“. Es ist nicht die schlichte Vergänglichkeit im Sinne einer barocken Vanitas-Darstellung, der Wongs Zeit-Obsession gilt. Er will weder die Endlichkeit des Daseins vor Augen führen noch den sentimentalen Wert bloßer Erinnerung. Seine Filme sammeln vielmehr Beweise dafür, daß Zeit überhaupt stattgefunden hat. Wenn er Bewegungsabläufe fragmentiert, scheint die Kamera nach den Zwischenräumen zwischen den Bildern zu suchen. Der Film ist dann das einzige bleibende Zeit-Zeugnis, das sich gleichwohl mit der bloßen Wiedergabe ihres Ablaufs nicht abfinden möchte – als gelänge es, noch tiefer in die zeitliche Wahrnehmung einzutauchen, als es die bloße Abbildung erlaubt. Die Zeit ist allgegenwärtig in Wongs Filmen. Sie vertickt mit dem Pulssschlag der sterbenden Blutsbrüder in „As Tears Go By“ (fd 33 159, Kritik in dieser Ausgabe), sie läßt sich wiederbeleben beim Klang einer Schallplatte aus einer Juke-Box, sie zerfällt vor den Augen des Zuschauers in den brüchigen Schwarz-Weiß-Bildern von „Fallen Angels“ (fd 32 321). Schließlich gibt es die geborgte Zeit von „Happy Together“ (fd 32 738) – das notdürftig erkämpfte und höchst vergängliche Glück einer Liebe ohne Gegenliebe. Was für eine poetische Idee das ist: Der Blick auf die Uhr beweist die Existenz eines Augenblicks und dokumentiert ihn für die künftige Erinnerung. „Jetzt sehe ich auf die Uhr“, sagt die Li Chen, „und ich beschließe, von dieser Minute an einen anderen Mann zu vergessen.“

Der Schutzmann erfüllt dabei – wie später sein Kollege in „Chungking Express“ (fd 31 851) – seine Aufgabe außerhalb aller Gesetze und Straßenverkehrsordnungen. Schlafwandlerisch und anfällig für die Unvorhersehbarkeiten des Lebens, erstreckt sich sein Schutzauftrag auf die gesamte menschliche Existenz. Später wird er im fernen Manila auf Yuddy stoßen und sich mit ihm anfreunden. Den hat es dorthin verschlagen, nachdem er einer weiteren Geliebten eine Abfuhr erteilt und sich auf die Suche nach seiner ihm unbekannten Mutter begeben hat. So ist auch der skrupellose Herzensbrecher, der Kierkegaardsche Verführer, selbst auf der Suche nach einer unbestimmten Idee von Geborgenheit. Er erzählt dafür in seinen Monologen die Geschichte von einem Vogel, der sein Leben lang fliegt und sich erst zum Sterben ans Land begibt. Wenn er diese Geschichte am Ende des Films revidiert, zu den blaugetönten Bildern eines Urwalds und zu Tango-Musik, dann weil er selbst tödlich verwundet ist: Die Komplizen eines von ihm ermordeten Paßfälschers haben ihn so zugerichtet, daß er in einem Zugabteil verblutet. Der Vogel, dem seine letzten Gedanken gelten, müsse schon von Anbeginn seiner Reise tot gewesen sein.

„Days of Being Wild“ ist der „klassischste“ unter Wongs Filmen. In der Form tritt Experimentelles in den Hintergrund, während sich der Inhalt keiner Genredramaturgie unterwirft, um die existentialistische Geschichte um Begierde und ihre Verweigerung in einem Zustand rastloser Suche zu entwickeln. Auch die Musik macht sich rar, die meisten Szenen sind fast theatralisch ausgespielt, beobachtet oft aus der sprichwörtlichen Perspektive jenes Vogels, dessen zielloser Flug zur zentralen Metapher der Idee des Lebens als „rites des passages“ gewählt wurde. Wong Kar-wai hat einmal erklärt, wie sehr er Camus liebe, und selbst die Spielzeit um 1960 gibt diesem Lebensgefühl einen stimmigen Rahmen. Dem mit gleich fünf Stars des Hongkong-Kinos hochkarätig besetzten Film merkt man an, daß Wong hier seinen Beitrag zum Kunstkino leisten wollte. Daß er auf die bekannten Stilistiken über weite Strecken verzichtet, schmälert den Rang dieses Films keineswegs. In diesem geschlossensten, aber auch unbelebtesten seiner Filme zeigt Wong seine Figuren in einem Zustand, der jede formale Verspieltheit verfehlt erscheinen ließe – als „Eingeschlossene“, um es mit einem Titel Sartres zu sagen.
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