Die Siebtelbauern

Heimatfilm | Österreich/Deutschland 1998 | 94 Minuten

Regie: Stefan Ruzowitzky

Nach dem gewaltsamen Tod eines Großbauern in Oberösterreich zu Beginn des Jahrhunderts werden gemäß dessen Testament sieben Knechte zu Bauern, wenn auch nur zu "Siebtelbauern". Ihr Entschluß, den Hof kollektivistisch zu führen, stößt auf erbitterten Widerstand. Allen voran versucht ein machthungriger Großbauer, das Anwesen in seinen Besitz zu bringen, und obwohl sich die einstigen Knechte zunächst erfolgreich wehren, obsiegen schließlich doch die Traditionalisten. Ein packender "Heimatfilm", der das negativ besetzte Genre dadurch rehabilitiert, daß er ihm die großen Kategorien des Kinos zurückgibt. Eine griffige Handlung nebst Utopien und Intrigen, hervorragende Darsteller und großartige Tableaus vereinen sich zu einem eindrucksvollen Kinoerlebnis. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DIE SIEBTELBAUERN
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
DOR FILM/ORF/Bayerischer Rundfunk
Regie
Stefan Ruzowitzky
Buch
Stefan Ruzowitzky
Kamera
Peter von Haller
Musik
Erik Satie
Schnitt
Britta Nahler
Darsteller
Simon Schwarz (Lukas) · Sophie Rois (Emmy) · Lars Rudolph (Severin) · Julia Gschnitzer (Alte Nane) · Ulrich Wildgruber (Danninger)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Heimatfilm
Externe Links
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Diskussion
Legion sind die zwischen 1947 und 1960 entstandenen Titel, die mit dem unheilvollen Begriff des Heimatfilms verbunden sind. Zu Recht war dieses Genre für die nachrückende Generation von Filmemachern geradezu Synonym für „Opas Kino“, das es vehement zu bekämpfen galt. Einzelne Exponenten der „Oberhausener“ waren es dann auch, die das verhaßte Genre gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellen wollten. „Jagdszenen aus Niederbayern“ (fd 16 218) von Peter Fleischmann oder Volker Schlöndorffs „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ (fd 17 194) stellten Versuche dar, den a priori negativ besetzten Heimatbegriff als Grundlage für Parabeln auf das immanent Faschistoide in der Gesellschaft schlechthin zu funktionalisieren. Weiter gingen dann schon die viel differenzierteren „Heimat“-Zyklen von Edgar Reitz (1984/1991). Stefan Ruzowitzky geht bei seinem Heimatfilm-Vorstoß noch einen Schritt weiter: Er emanzipiert das Genre gegenüber seinen Negativ-Beispielen aus den 50er Jahren dadurch, daß er ihm die großen Kategorien des Kinos zurückgibt. Eine packende Handlung nebst Utopien und Intrigen, hervorragende Darsteller und, nicht zuletzt, großartige Tableaus vereinen sich zu einem Leinwand-Erlebnis von überaus hoher Qualität. Die Strategie des Verleihs, „Die Siebtelbauern“ als Alpenwestern zu titulieren, trifft insofern zu, als daß gute Western eben auch immer gute Heimatfilme sind. Ja, im Grunde genommen ist eigentlich fast jeder gute Film ein „Heimatfilm“ im wörtlichen Sinne. Denn wo sonst als in der Heimat könnten glaubwürdige Handlungen mit scharf gezeichneten Personen und Konflikten angesiedelt sein? Selbst Arbeiten über Heimatverlust oder -suche brauchen erst einmal Heimat als Leerstelle.

Als der allgemein verhaßte Großbauer in einem oberösterreichischen Dorf gemeuchelt aufgefunden wird, ist die Aufregung unter den Knechten groß. Noch größer allerdings wird die Verwirrung, nachdem das Testament ihres Tyrannen im Dorfkrug öffentliche Verlesung erfahren hat: Haus und Hof nämlich werden zu gleichen Teilen unter den Dienstboten aufgeteilt, aus den Knechten sollen nun Bauern werden, wenn auch nur (wegen ihrer Anzahl) „Siebtelbauern“. Dergleichen hat es noch nie gegeben; und was nicht sein kann, das darf auch nicht sein. Schnell spinnen die Bauern unter Federführung des reichen Danninger einen Plan zur Wiederherstellung gewohnter Verhältnisse. Die Knechte will er einzeln entschädigen, der Hof selbst soll in sein Eigentum eingegliedert werden. Nach anfänglicher Euphorie ob der Unabhängigkeit setzt bei der resoluten Emmy die Spekulation darüber ein, was man denn mit einem solchen Hof eigentlich noch tun könnte, ob es denn vielleicht auch möglich sein könnte, ihn gemeinschaftlich zu bewirtschaften. Ihr gelingt es, die Mitbetroffenen von dieser Idee zu überzeugen. Der lesekundige „Dahergelaufene“ Severin und der eher naive Lukas unterstützen Emmy und ziehen die anderen nach. Da diesem Ansinnen rein juristisch nicht beizukommen ist, nehmen die Machenschaften Danningers nun äußerst offen aggressive Auswüchse an. Gewalt liegt in der Luft. Nachdem die ehemaligen Knechte diesem Gebaren eine Zeitlang erfolgreich zu trotzen vermögen (auch durch Solidarisierungsakte anderer Knechte), eskalieren schließlich die Ereignisse. Der kollektivistisch geführte Hof wird überfallen, Lukas im Rahmen eines Autodafés erschlagen. Obwohl die konkrete Utopie gescheitert ist, lebt doch die Hoffnung weiter: Emmy und Severin verlassen, um viele Erfahrungen reicher, den Hof, vielleicht in Richtung des mythisch beschworenen Amerika.

Nach seinem Debüt „Tempo“ (fd 33 099) erweist sich Ruzowitzky (Jahrg. 1961) erneut als stilsicherer Autorenfilmer im besten Sinne dieses in letzter Zeit so oft diskreditierten Begriffes. Wie es Tarkowskij fordere, geht es ihm in seinem historischen Fresko nicht um die möglichst genaue Rekonstruktion einer vergangenen Epoche, sondern um die geschichtlich eingebettete Formulierung universeller Ideen. Dies ist scheinbar wenig, bedeutet inhaltlich aber um so mehr. Eine grundlegende Einstellung zum Stoff, die sich auch in kleinsten szenischen Details reproduziert: ein Stuhl muß deshalb eben aussehen wie ein benutzbares (und auch benutztes) Möbelstück, nicht wie ein perfekt nachgestaltetes Museums-Exponat. Es ist diese Achtung gegenüber dem eigenen Material bzw. ein komplexes, sofort spürbares Verantwortungsbewußtsein im Verhältnis zu Stoff, Ausstattung, Besetzung usw., die „Die Siebtelbauern“ zum seltenen Kinoereignis werden lassen. Seine Parabel auf Willkür und Utopie hat die Bitterkeit und Größe eines Klassikers wie „Easy Rider“ (fd 16 524). Dabei ist Ruzowitzky (im Gegensatz zu Dennis Hopper) offenbar ein sehr genauer Vorbereiter, gibt kaum etwas aus der Hand und hat vor allem das Talent, alle Fäden bis zur Endmontage souverän unter Kontrolle zu behalten. Wirkliche Begabung zeichnet sich zudem dort ab, wo scheinbar Unzusammengehöriges überraschende Zusammenspiele eingeht. So verblüfft der Einsatz von Erik Saties Klaviermusik zunächst immens, erweist sich jedoch bald als ideal. Auch in anderen Zusammenhängen eher banal wirkende Stilmittel wie der Off-Kommentar Severins oder die Figur einer mythischen Rächerin fügen sich auf fast wundersame Weise in das Gesamtkonzept ein. Es ist eben auch die nicht bis ins Letzte erklärbare Stimmung von „Die Siebtelbauern“, die seinen Reiz ausmacht. Souveränste aller Begabungen Ruzowitzkys bleibt allerdings seine Darstellerauswahl: Vor allem Sophie Rois und Lars Rudolph setzen bleibende Maßstäbe für das deutschsprachige Kino der Gegenwart.
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