Being John Malkovich

Komödie | USA 1999 | 113 Minuten

Regie: Spike Jonze

Durch eine kleine Pforte hinter Aktenregalen gelangt ein Mann, eigentlich ein Marionettenspieler, unvermittelt ins Bewusstsein des Schauspielers John Malkovich. Als er beim Versuch, daraus Kapital zu schlagen, seine Frau an eine Kollegin verliert, schlüpft er dauerhaft in den fremden Körper und nutzt Malkovichs Popularität, gerät dabei aber anderen "Interessenten" in die Quere. Eine vor Fantasie überbordende Komödie, die zwar gelegentlich dazu neigt, den Bogen zu überspannen, letztlich aber durch Ideenreichtum, geschliffene Dialoge und eine wunderbare, spielfreudige Besetzung überzeugt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BEING JOHN MALKOVICH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Propaganda Films/Single Cell Pictures
Regie
Spike Jonze
Buch
Charlie Kaufman
Kamera
Lance Acord
Musik
Carter Burwell
Schnitt
Eric Zumbrunnen
Darsteller
John Cusack (Craig Schwartz) · Cameron Diaz (Lotte) · Catherine Keener (Maxine) · John Malkovich (John Malkovich) · Orson Bean (Dr. Lester)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
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Diskussion
Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, die Welt aus einer anderen Perspektive zu erleben oder wenigstens für einige Minuten in die Haut eines berühmten Menschen zu schlüpfen? Oft scheint es sowieso nur noch einen winzigen Schritt zu benötigen: Dank des Boulevard-Journalismus kennen sich manche Zeitgenossen besser im Leben von Prominenten als in ihrem eigenen aus. Selbst triviale Ereignisse sind mittlerweile Ziel eines Voyeurismus geworden, wie er noch nie größer war und noch nie so umfassend befriedigt wurde (siehe die Fiktion von Peter Weirs „Die Truman Show“, fd 33 417, oder das „reale“ „Big Brother“-Spektakel). Aber steckt hinter den „niederen Instinkten“ nicht doch mehr? Eben die grundsätzliche Sehnsucht, den eigenen Horizont zu erweitern? „Anything goes“ – mit diesem Slogan versuchte die Postmoderne die Errungenschaften der Moderne populär zu machen und in den Alltag zu überführen. Die heutige (Informations-)Gesellschaft ist tatsächlich auf dem besten Wege, dies zu schaffen, quasi nebenbei. Rimbauds provozierende Zeile „Je est un autre“ (Ich ist ein anderer) ist deshalb zu Beginn des 21. Jahrhunderts längst kein rein intellektuelles Spiel mehr ohne reale Konsequenzen. Rollenspiele sind en vogue, doch: Wer ist „ich“ eigentlich noch?

Das Kino hat zu diesem Thema seine mehr oder weniger sublimen Werke beigetragen. Schließlich setzt es selbst ständig alles daran, den Zuschauer möglichst authentisch in die Erlebnisse und Erfahrungen fremder Figuren zu versetzen. Was waren das für Zeiten, als die Übernahme einer neuen Identität, das Hineinschlüpfen in einen anderen Körper noch fortgeschrittene chirurgische Kenntnisse erforderte, wie sie etwa Victor Frankenstein 1958 in „Frankensteins Rache“ (fd 7610) demonstrierte! Und welch psychische Meisterleistung kostet es bis in unsere Tage hinein einen Tom Ripley, um sich in der fremden Existenz des von ihm ermordeten Freundes einzurichten. Drehbuchautor Charlie Kaufman macht es da den Figuren in „Being John Malkovich“ wesentlich einfacher.

Als erster kommt ausgerechnet der Marionettenspieler Craig Schwartz in den zweifelhaften Genuss des Wechselspiels. Die Macht über die liebevoll hergerichteten Puppen nutzt ihm ökonomisch nicht allzu viel, sodass ihn seine tierverliebte Partnerin Lotte (hinter der man Cameron Diaz kaum wiederzuerkennen vermag) aus seiner Lethargie und zu neuen Ufern scheuchen muss. Auf Grund einer Anzeige, in der flinke Hände gesucht werden, landet Schwartz in der Etage 7 1/2 (!) eines Manhattaner Bürohochhauses, dem Sitz der Lester Corporation. Hier gehen nicht nur die Wände bis zur halben Höhe, auch die dort herumlaufenden Gestalten sind höchst merkwürdig. Einzig seine Kollegin Maxine scheint trotz ihrer entwaffnenden Direktheit und spitzen Zunge einigermaßen normal zu sein. Nachdem der Film in seinem kuriosen Prolog bereits angedeutet hat, dass in dieser Welt das Surreale wirklicher erscheint als die Wirklichkeit und die Vernunft auf Krücken geht, kann Schwartz’ sensationelle Entdeckung kaum noch überraschen. Eines Tages bemerkt er nämlich nach Dienstschluss hinter Aktenschränken eine kleine Pforte in der Wand. Ist es zunächst noch die Neugier, die ihn hineintreibt, wird er plötzlich immer tiefer in den glitschigen Spalt hineingesogen und landet schließlich – gewissermaßen neu geboren – im Bewusstsein von keinem Geringeren als John Malkovich.

Welches Feuerwerk an bizarren Einfälle und Wendungen der Film nun abbrennt, reicht gewöhnlich für mehrere Filme. Die Ereignisse überschlagen sich – genauso wie Schwartz, als er den in seinem Appartement in der Park Avenue residierenden und das „Wall Street Journal“ lesenden Filmstar nach einer Viertelstunde wieder „verlassen“ muss und neben einem Highway in New Jersey unsanft in sein eigenes Leben zurückgeholt wird. Kaum weniger als Schwartz selbst kann man es als Zuschauer erwarten, die Welt noch einmal von der anderen Seite zu erleben, auch wenn die subjektive Perspektive der Kamera allerhand Triviales aus einer Star-Existenz ans Licht bringt. Gemeinsam mit der geschäftstüchtigen Maxine versucht Schwartz, seine Entdeckung wirtschaftlich zu nutzen: Malkovich wird zum Ziel zahlreicher Durchschnittsmenschen, die schnell einmal in das Bewusstsein eines Stars „hineinsurfen“ möchten. Zu Schwartz’ Unglück wagt auch Lotte diesen Tripp, und das just zu dem Zeitpunkt, als Maxine Malkovich nach allen Regeln der Kunst verführt. Lotte ist fasziniert von der Erfahrung – und noch mehr von Maxine.

Kaum zu glauben, dass dies immer noch nur ein Bruchteil des Plots ist, den sich Kaufman ausgedacht hat und den der Videoclip- und Werbefilmregisseur Spike Jonze (der in „Three Kings“, fd 34 098, auch als Darsteller zu sehen war) so atemberaubend in Szene setzte. Denn Malkovich bekommt Wind davon, dass mit seiner Person dubiose Geschäfte gemacht werden, und geht sich selbst auf den Grund, was zu einer ebenso genialen wie wahnwitzigen Szene führt. Er kann allerdings nicht verhindern, dass Schwartz sich in ihm festsetzt und ihn quasi von innen heraus zur Marionette macht. Und dann sind da noch ganz andere „Interessenten“... Ein wenig schießt der Film, der mit geschliffenen Dialogen aufwartet, gegen Ende übers Ziel hinaus, so turbulent und bizarr geraten die Verwicklungen; mitunter drohen sich die Fäden, die Jonze in der Hand hält, zu verwirren oder auch mal durchzuhängen. Letztlich aber meistert er alle Klippen, die ihm das laut Kaufman in einer Art „Écriture automatique“ nach dem Muster der frühen Surrealisten entstandene Drehbuch in den Weg stellt. Außerdem verfügt der Film mit John Cusack, Catherine Keener und Cameron Diaz über eine vor Spiellaune nur so sprühende Besetzung, die der nonchalant-souveräne John Malkovich - obgleich Opfer - in der Darstellung seines eigenen öffentlichen Bildes wunderbar konterkariert. Wenn schon Flucht vor dem Alltag, dann bitte mit „Being John Malkovich“!
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