Drama | Norwegen 2001 | 90 Minuten

Regie: Petter Naess

Nach zweijährigem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik müssen sich ein 40-jähriges Muttersöhnchen und sein psychisch ebenfalls gestörter Freund den Anforderungen des normalen Alltagslebens stellen. Eine hintersinnige, von guten Darstellern getragene Komödie, die mit viel Sympathie für die beiden Protagonisten die Normalität hinterfragt und skurriles Denken als mögliche Überlebensstrategie anbietet. (Kinotipp der katholischen Filmkritik, Prequel: "Elling - Nicht ohne meine Mutter", 2003) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ELLING
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Maipo Film- und TV-Produktion
Regie
Petter Naess
Buch
Axel Hellstenius
Kamera
Svein Kroevel
Musik
Lars Lillo-Stenberg
Schnitt
Inge-Lise Langfeldt
Darsteller
Per Christian Ellefsen (Elling) · Sven Nordin (Kjell Bjarne) · Per Christensen (Alfons Joergensen) · Jørgen Langhelle (Frank Åsli) · Marit Pia Jacobsen (Reidun Nordsletten)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
VCL/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Nach zwei Jahren therapeutischen Aufenthalts in der psychiatrischen Anstalt von Brøynes werden Elling und Kjell Bjarne entlassen, um in Oslo eine Wohnung zu beziehen und um in der Praxis zu beweisen, dass die Therapie gefruchtet hat. Etwas Unterstützung (und Kontrolle) erhalten sie vom Sozialarbeiter Frank Åsli, der ab und zu vorbei schaut, um die Fortschritte, die Anpassung und die Normalisierung der Beiden zu beobachten und kleine Hilfestellungen zu geben. Für Kjell Bjarne bedeutet „Normalisierung“ zuallererst gutes, reichhaltiges Essen wie Speck mit Tunke und vielleicht endlich einmal mit einer Frau schlafen. Beide Wünsche werden ihm im Verlauf des Films erfüllt, obwohl er lange mit einer gewissen Laxheit bei der Körperpflege zu kämpfen hat, weshalb er zunächst fast instinktiv sein Heil beim kostspieligen Telefonsex sucht, was der Wohngemeinschaft dann wiederum vom Haushaltsgeld abgezogen wird. Bei Elling liegt der Fall ungleich komplizierter, denn einerseits ist er, der 40 Jahre mit seiner Mutter zusammen lebte, ein menschenscheuer Soziopath, andererseits hat er viel gelesen und verfügt über eine recht präzise Vorstellung von der Welt, ausgestattet allerdings aus dem Fundus konservativer Boulevardblätter. Dieser höchst eloquente Ich-Erzähler weiß, dass er in Momenten, in denen er durch die Straßen Oslos läuft, potenziell „ein bewegliches Ziel sinnloser Gewalt“ marodierender Jugendlicher darstellt, und instinktiv merkt er, wie lächerlich und niveaulos die Darbietungen bei Poetry Slams in der Regel sind. Elling ist gewissermaßen ein naiver Gesellschaftsanalytiker, der auch ohne eigene Anschauung den gesellschaftlichen Normverfall präzise zu benennen (und zu beklagen) in der Lage ist, zugleich externer Beobachter und lamentierendes Vorurteil auf zwei Beinen. Anfangs sind Elling und Kjell Bjarne von den Anforderungen der Realität reichlich überfordert, später lassen sie sich lustvoll auf das Abenteuer Leben ein. Das kann man sogar an ihrer Art, sich durch die Straßen zu bewegen, erkennen. Während Kjell Bjarne sich in die schwangere Reinigungskraft Reidun verliebt, die strategische Verfügbarkeit sauberer Unterwäsche schätzen lernt und auch auf Gegenliebe stößt, entdeckt der zurück gelassene Elling eines Abends die Poesie, besser: sein poetisches Talent. Durch Zufall begegnet er dem retirierten Dichter Alfons Jørgensen, der nach dem Tod seiner Frau vereinsamt ist und die Gegenwartsliteratur verachtet. Auch in sein Leben kommt durch die Begegnung mit Elling, Kjell Bjarne und Reidun neuer Schwung. Nach einigen Abenteuern entscheidet sich Elling dafür, seine Leser jenseits der degoutanten Poetry-Slam-Szene zu suchen: Er wird der mysteriöse Untergrundpoet „E“, vielleicht ein Muttersöhnchen, wie er selbst eingesteht, aber als neue, gefährliche Version. Er bringt seine reimlosen Gedichte via Sauerkrautpackung aus dem Supermarkt um die Ecke an die Leserschaft. „Elling“ wurde 2002 für den Auslands-“Oscar“ nominiert, ging aber leer aus. Was mag der Auswahljury an diesem kleinen, schönen und eher unspektakulären Film aus Norwegen gefallen haben? Vielleicht hat man sich ja tatsächlich über diese – laut „Variety“ – skandinavische Variante von „Einer flog über das Kuckucksnest“ (fd 19 710) gefreut; was allerdings eine recht oberflächliche Interpretation beider Filme wäre, denn während es im „Kuckucksnest“ eher um Widerstand innerhalb einer Institution ging, beschäftigt sich „Elling“ mit den Mühen der Anpassung an das, was manche Definitionsmacht „das normale Leben“ nennt: Also einfach einmal jemanden anrufen, zum Supermarkt um die Ecke gehen und einkaufen, ins Kino gehen oder ins Gasthaus, wenn es dort den geliebten Speck gibt. Wenn man die beiden Filme unbedingt vergleichen will, könnte man sagen, dass einige Szenen von „Elling“ etwas von der anarchischen Stimmung des Angelausfluges im „Kuckucksnest“ transportieren. Näher läge freilich ein Verweis auf Detlev Bucks „Wir können auch anders...“ (fd 30 116). In Norwegen haben sich 800.000 Zuschauer Naess’ Film angesehen, was angesichts der Einwohnerzahl von 4, 2 Mio. ein Riesenerfolg ist. Dabei liegt dem Film ein nicht minder erfolgreiches Theaterstück zugrunde, das wiederum die Dramatisierung des bereits dritten Elling-Romans „Blutsbrüder“ des Star-Autors Ingvar Ambjørnsen ist. Regisseur Petter Næss hatte bereits die Osloer Inszenierung übernommen, in der Per Christian Ellefsen die Titelrolle spielte. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass „Elling“ zwar filmisch wie ein normales Fernsehspiel aussieht, das auf die Komik der Wiederholung bestimmter Tableaus setzt, dafür aber mit wunderbar pointierten und gewitzten Dialogen sowie einem grandios miesepetrigen Off-Erzähler brilliert. Die Darsteller sind mit dem Herzen bei der Sache und sorgen für reines Vergnügen mit einigem Tiefgang, bei dem sämtliche Facetten des Komischen souverän zur Anwendung kommen, wobei nie außer Frage ist, dass der Film parteilich auf der Seite seiner eigenwilligen Protagonisten und ihrer Emanzipation steht.
Kommentar verfassen

Kommentieren