Solaris (2002)

- | USA 2002 | 98 Minuten

Regie: Steven Soderbergh

Neuverfilmung des gleichnamigen Science-Fiction-Klassikers von Stanislaw Lem, in dem die Bewohner einer Raumstation über dem Planeten Solaris von den Materialisationen ihres Unterbewusstseins heimgesucht werden. Dabei begegnet ein Psychologe seiner Frau, die einst Selbstmord verübte. Durch die kammerspielartige Inszenierung beharrt Regisseur Steven Soderbergh auf den philosophischen Dimensionen des Stoffes; der futuristische Genre-Rahmen dient lediglich als Einstiegshilfe für die Zuschauer. Im Zentrum der Adaption steht eine ebenso spielerische wie artifizielle Reflexion über eine historisch gewordene Phase der Filmgeschichte: der des intellektuellen Autorenkinos. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SOLARIS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Lightstorm
Regie
Steven Soderbergh
Buch
Steven Soderbergh
Kamera
Peter Andrews
Musik
Cliff Martinez
Schnitt
Mary Ann Bernard
Darsteller
George Clooney (Chris Kelvin) · Natascha McElhone (Rheya) · Viola Davis (Dr. Gordon) · Jeremy Davies (Snow) · Ulrich Tukur (Dr. Gibarian)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Special-Edition (DVD) enthält u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Produzenten James Cameron sowie das komplette, 235-seitige Drehbuch als Texttafeln. Das wertige Mediabook (Filmconfect)enthält zudem als Bonusdisk eine DVD mit dem Film "Solaris" (1972) von Andrej Tarkowski sowie ein 19-seitiges Booklet mit Analysen zum Film. Der Neuauflage fehlt die Bonusdisk.

Verleih DVD
Fox (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Fox Filmconfect (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Ein Film, umstellt von zahlreichen widersprüchlichen Diskursen: Seinerzeit hatte Stanislaw Lem Andrej Tarkowskijs Verfilmung seines Roman „Solaris“ (fd 20 140) vorgeworfen, den philosophisch-erkenntnistheoretischen Stoff in ein Familienmelodram mit religiöser Moral verwandelt zu haben. Was hätte er dann wohl erst zu Steven Soderberghs amoralischer „Solaris“-Version gesagt? Tarkowskij hatte seine Adaption – abgesehen von der durchsichtigen Strategie, sich nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Zensur um „Andrej Rubljow“ (1966-99) in ein etwas ruhigeres Fahrwasser zu begeben – als wissenschaftsskeptischen Gegenentwurf zu Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (fd 15 732) verstanden. Soderbergh wiederum hat seinen „Solaris“ weniger auf Tarkowskij bezogen, sondern den Film als Kombination aus Kubrick und Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“ (fd 18 266) bezeichnet und auch noch Chris Markers „La Jetée“ ins Spiel gebracht. Somit handelt es sich nicht um ein Remake, sondern um eine Neuverfilmung, eine neue Version des Lemschen Romans. Zugleich hat Hauptdarsteller George Clooney nach den schwachen Box-Office-Zahlen des Films am US-Markt seinem Vertrauen auf ein globales, „erwachsenes“ Arthouse-Publikum Ausdruck verliehen, wenn er davon sprach, dass der Film „außerhalb von Amerika gut ankommen wird“. Der cinephile Rekurs auf die Filmgeschichte, auf die Nouvelle Vague, das europäische Autorenkino und auch die emphatische Nouvelle-Vague-Rezeption des „New Hollywood“ wird offen als eine sich „hochkulturell“ gebende Marktstrategie instrumentalisiert und spielt mit dem Bild einer Gegenbewegung zur Infantilisierung des Mainstreams der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte. Soderberghs „Solaris“ zeichnet sich durch eine heutzutage bemerkenswerte Zurückhaltung aus; sein ernsthaftes, kammerspielartiges Insistieren auf die philosophische Dimension des Stoffs bringt ihn um die konventionellen Schauwerte der Science Fiction: wenige Figuren, wenig Action, wenige Sets. Der Psychologe Chris Kelvin wird durch einen Videohilferuf von Dr. Gilbarian auf die Raumstation Prometheus gerufen. Die Prometheus umkreist mit einigen Wissenschaftlern an Bord den Planeten Solaris, um dort mit einer vermuteten außerirdischen Intelligenz Kontakt aufzunehmen. Diese verweigert sich offenbar einer Kommunikation bzw. beginnt ihrerseits, mit den Wissenschaftlern zu experimentieren. Als Kelvin ankommt, ist Gilbarian bereits tot – er hat Selbstmord verübt. Der Rest der Besatzung begegnet Kelvin deutlich verwirrt (Snow) oder aber sehr reserviert (Dr. Gordon), dennoch erfährt Kelvin, dass an Bord der Station merkwürdige Dinge geschehen. Die Menschen erhalten Besuch von „Gästen“, von Materialisationen ihres Unterbewusstseins, ihren Träumen und Ängsten. Kelvin macht da keine Ausnahme. Bereits in der ersten Nacht träumt er von seiner Frau Rheya, die vor einiger Zeit Selbstmord begangen hat. Am nächsten Morgen liegt „Rheya“ neben ihm. Verwirrt und durchaus mit moralischen Skrupeln lockt er „Rheya“ in eine Raumkapsel und expediert das Wesen kurzerhand ins Weltall. Doch am nächsten Morgen begegnet er „Rheya“ erneut, und allmählich beginnt der durch den Selbstmord traumatisierte Psychologe, das Zusammensein mit „Rheya“ als zweite Chance – gewissermaßen unter Laborbedingungen – zu begreifen und zu schätzen. „Rheya“ selbst beginnt, über die Grundlagen ihrer Existenz zu reflektieren, ist aber als Abbild der Erinnerungen Kelvins und an Rheya sowie an deren Kraft gekoppelt. Sie „erinnert“ die Umstände ihres Todes, verfügt aber nicht über die extreme Option der Selbstreflexion, den Selbstmord. Kelvins regressive Glückshoffnungen werden durch die ängstlich-rigorose Dr. Gordon zunichte gemacht, die „Rheya“ mit einem Spezialprogramm auslöscht. Als die Prometheus droht, auf Solaris zu stürzen, flieht Dr. Gordon, während Kelvin bleibt. In der Szene nach dem Absturz steht Kelvin wie zu Beginn des Films in der Küche und schneidet sich in den Finger, die Wunde verheilt sofort. Da kommt Rheya ins Bild. Am Ende des Films erklärt Rheya (oder „Rheya“?) Kelvin (oder „Kelvin“?), es sei „alles“ vergeben. Ist das eine Glücksfantasie zweier Phantome, das Ende der Trauerarbeit um den Verlust? Oder eine Jenseitsvorstellung jenes „dummen Tieres mit dem kleinen Hirn“, wie Kelvin den Menschen einmal charakterisiert? Soderberghs „Solaris“ ist kein Science-Fiction-Film, er benutzt den Genrerahmen allenfalls als Einstiegshilfe für die Zuschauer, um sich leichter auf die letztlich offen konzipierte zirkuläre Reflexion einlassen zu können. Der gewünschte Lernprozess auf Seiten der Zuschauer zeigt sich in der Szene, in der Kelvin auf Prometheus ankommt: Wenn die Kamera durch die unheimlich wirkende Raumstation gleitet, erwartet man eine spektakuläre Begegnung, weil sich der Blick durch das Wissen um Genrekonventionen verändert hat. Durch die unspektakuläre Auflösung dieser Kamerafahrt bereitet Soderbergh gewissermaßen auf den „ernsthaften“ Tonfall des Films vor: die Bedrohung kommt hier nur vermittelt von außen. Das Futuristische an „Solaris“ ist also auf einige angedeutete Zeichen reduziert; Soderbergh arbeitet hier in der Manier von Godard oder Resnais, ist in diesem Punkt aber auch nahe an Tarkowskijs „Solaris“-Version, der zwischen dem Prolog in Kelvins Elterhaus und seiner Ankunft auf der Raumstation auch eine ausgedehnte Autofahrt in die zersiedelte, seinerzeit wohl modern wirkende Metropole mit ihrem Autobahnnetz montiert hatte. Schloss sich der pantheistische Zirkel bei Tarkowskij gewissermaßen im Teich vor Kelvins Elternhaus und dem Niederknien vor dem Vater, so endet Soderberghs Film in der aseptischen Küche der Zweierbeziehung. Die entscheidende Wendung, die Soderbergh seiner Version gibt, liegt in der Aufwertung der Figur Rheyas sowie in den Rückblenden, die von der gemeinsamen Liebesgeschichte und ihrem Scheitern erzählen. Dadurch bekommt die Psychologie des zur begrenzten Selbstreflexion fähigen „Gastes“ ungleich mehr Gewicht als bei Tarkowskij – und auch bei Lem, wo diese „authentische Liebesgeschichte“ ganz fehlt. Dass man den Schluss von „Solaris“ nicht zu romantisch oder gar christlich lesen sollte, vermittelt Soderbergh durch die Snow-Episode: Hier ist ein „Gast“, der sein Ego getötet hat – und anschließend etwas verwirrt in der Station herumsitzt. Ist „Snow“ ein Indikator für die Realitätsebene, auf der man Kelvin und Rheya schließlich verlässt? Antworten auf derlei Fragen bietet Soderberghs Film zwar nicht, aber er erinnert spielerisch an eine Zeit, als sich das Kino ernsthaft auf solche Fragen einließ. Man kann sagen: Soderberghs „Solaris“ ist weniger ein Remake eines bestimmten Films, sondern vielmehr ein postmodernes Pastiche der dahinter stehenden Haltung, intellektuelles Schau-Boxen, L’art pour l’art auf höchstem Niveau. Dass er mit dieser cleveren (und anregenden) Nachbastelei eines historisch gewordenen intellektuellen Autorenkinos aus zweiter Hand so viel Erfolg hat, dass er dies – trotz Clooney, Cameron und der Reduktion des Stoffs auf die Liebesgeschichte – im „alten Europa“ als experimentierfreudige Rebellion wider das Hollywood-Establishment zu vermarkten versucht, zeugt von Chuzpe und Esprit. Oder ist „der Rebell in Hollywood“ etwa auch nur ein doppelbödiges Zitat?
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