Golden Lemons

Dokumentarfilm | Deutschland 2002 | 81 Minuten

Regie: Jörg Siepmann

Die deutsche Band "Die Goldenen Zitronen" wird im Januar 2002 nach Kalifornien zu einer Tournee eingeladen, was sich als wahre Ochsentour erweist. Statt in den USA Ruhm zu ernten, finden sich die Musiker als Begleitband von Wesley Willis wieder, sind den Launen von dessen Manager ausgesetzt und spielen meist gegen ein ignorantes Publikum an. Dokumentarisches Road Movie über die Einsamkeit Amerikas und die Chronologie einer allmählichen Desillusionierung. Für die ergrauten Musiker wird der Trip zum Anlass von Reflexionen über die eigene Position, die äußere Reise weitet sich zu einer Reise ins Innere. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
2 Pilots
Regie
Jörg Siepmann
Buch
Jörg Siepmann
Kamera
Hajo Schornerus
Musik
Die Goldenen Zitronen · Wesley Willis
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Bei der Premiere des Dokumentarfilms „Golden Lemons“ während der diesjährigen „Berlinale“ ereignete sich etwas Merkwürdiges. Nachdem sich der Vorhang geschlossen hatte, das Publikum überwiegend begeistert applaudierte und der Regisseur in Begleitung der von ihm porträtierten Band die Bühne betrat, ergriff einer der Musiker das Mikrophon und begann, den Film heftig zu attackieren. Wie man einen solch konventionellen Dokumentarfilm nach den Leistungen eines Jean-Luc Godard überhaupt noch drehen könne, lautete der Hauptvorwurf. Erst als einige der Zuschauer den Film in Schutz nahmen, beruhigten sich die Musiker der Band „Die Goldenen Zitronen“ ein wenig, zeigten sich zuletzt sogar versöhnt mit dem filmischen Reisebericht über ihre mehr oder weniger desaströse Amerika- Tournee. Davon abgesehen, dass die Hamburger Band sehr liebevoll porträtiert wird und breiten Raum für Reflexionen erhält – der Angriff insgesamt also eher ungerechtfertigt war –, könnte man den Vorwurf genauso gut umkehren. Wie kann man nach musikalischen Post-Punk-Leistungen eines Trent Reznor oder Glenn Branca überhaupt noch solch naives Geschrammel abliefern?

Beide Einlassungen greifen zu kurz. So wie sich Jörg Siepmanns Film durchaus adäquat zum behandelten Gegenstand verhält, so besteht der Vorzug der „Goldenen Zitronen“ gerade in der Unverdrossenheit, mit der sie gegen alle wohlfeilen Trends der Musikindustrie angespielt haben und dies noch immer tun. Seit ihrer Gründung 1984 stellen sie sich quer zu allen Moden, verwirren durch ihr äußeres Erscheinungsbild. Trotz des beträchtlichen Hit-Potenzials einzelner Songs blockieren sie regelmäßig naheliegende Verwertungsstrategien; niemals singen sie Englisch. Anders als beispielsweise „Die Toten Hosen“, mit denen sie oft getourt sind, konnten oder wollten „Die Goldenen Zitronen“ nie einen ganz großen kommerziellen Coup landen. Im Zweifelsfall schwenkten sie lieber auf die Auflösung herkömmlicher Songstrukturen ein, als an der Ausformulierung eines „richtigen“ Hits zu feilen. Ihre Werkgeschichte gestaltet sich vorrangig als die einer Verweigerung. Auch davon handelt Siepmanns Film.

Die Ironie der Geschichte ist, dass die Musiker um Schorsch Kamerun und Ted Geier zunächst optimistisch auf die Reise nach Übersee gehen. Doch spätestens bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen von San Francisco beginnen sie zu realisieren, dass die Reise durch das Heimatland des Rock’n’Roll wohl wieder nicht den überfälligen Ruhm einfahren wird. Sie finden sich als eher pittoreske Zugabe zu einer Tournee des Faktotums Wesley Willis durch Kalifornien wider. Willis hat sich durch minimalistische Auftritte mit einer billigen Orgel einen bescheidenen Ruf erworben. Zu den immer gleichen Rhythmen brabbelt er sich niemals reimende Verse über Osama Bin Laden oder über die eigene, medizinisch bescheinigte Schizophrenie ins Mikrophon. Ähnlich wie der ebenso schwergewichtige Daniel Johnston gilt Willis durch sein fast autistisches Musikerdasein als Geheimtipp. Seine CDs verkauft er fast ausschließlich nach Live-Auftritten. Kein Mensch hat in den Clubs, in denen Willis seine Auftritte absolviert, je etwas von den „Goldenen Zitronen“ gehört. Und niemand spricht Deutsch. So fungieren sie als eine Art obskures Maskottchen für den obskuren Wesley Willis – vermutlich hätte dessen Manager auch eine mongolische oder portugiesische Band gebucht, wenn sich dies angeboten hätte. Hinzu kommen die nicht eben erbaulichen Umstände der Reise. Der beengte Tourneebus lässt keinerlei Intimsphäre zu, triste Motels säumen den Weg, schlechtes Essen wird serviert und wässriger Kaffee aufgetischt (den auch sein kostenloses „re-fill“ nicht besser macht).

Der mit einer beweglichen, bis in die Schlafkojen des Busses vordringenden DV-Kamera gedrehte Film funktioniert als Road Movie über die Einsamkeit Amerikas ebenso wie als Chronologie einer schrittweisen Desillusionierung. Als sich die Konzerttournee ihrem Ende zuneigt, sind die Musiker an einem Punkt angelangt, der ihnen schon vorher sehr vertraut gewesen sein muss. Das Dasein im Musikgeschäft erweist sich für Einzelkämpfer selten als erquicklich; vielfältig sind die Kümmernisse und launisch das Glück. So ziemlich alles läuft dem Mythos von Sex & Drugs & Rock’n’Roll entgegen. Aber die „Zitronen“ sind glücklicherweise keine naive Teenie-Band. Für die in Würde ergrauten Herrn aus Hamburg wird der Trip zum Anlass, die eigene Position zu überdenken; die äußere Reise weitet sich zur inneren Reise. Siepmanns Film ist ein sympathisches Dokument über eine Gruppe sympathischer Menschen, die auch Musik machen; er ist jedoch kein Musikfilm.

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