The American Nightmare

Dokumentarfilm | USA/Großbritannien 2000 | 73 Minuten

Regie: Adam Simon

Medien- und filmkritisch aufbereitete Kompilation aus Horrorfilmen der 1960er- und 1970er-Jahre, die sie durch mannigfaltige Querverweise auf die politische und soziale Realität ihrer Zeit als weitgehend unbewussten Reflex auf die Gewaltbereitschaft einer orientierungslosen Gesellschaft deutet. Eine kluge Auseinandersetzung mit einem scheinbar trivialen Genre, bei der Filmemacher und -wissenschaftler zu Wort kommen, die erst im Nachhinein die gesellschaftspolitische Relevanz dieser Arbeiten anerkennen. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
THE AMERICAN NIGHTMARE
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Minerva
Regie
Adam Simon
Buch
Adam Simon
Kamera
Immo Horn
Musik
Karlheinz Stockhausen
Schnitt
Paul Carlin
Länge
73 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
epiX Media (Euro Video) 1:1.85/16:9/Dolby Digital 2.0
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Diskussion
Seine zentrale These stellt der Film als Montage-Prolog voran: Er beginnt mit einem konzentrierten Blick in den Fernseher. Darin sind unablässig schwarz-weiße Bilder aus Vietnam zu sehen, Napalm-Attacken und aufgereihte Leichen, Bilder von Polizeigewalt gegen Bürgerrechtler und Studenten, Bilder von bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten. Dazwischen sind geschnitten sind verstörende Großaufnahmen von Leichenteilen. In Interviews sprechen sich Personen gegen die Bürgerrechtsbewegung aus, sehen den American Way of Life durch den Kommunismus bedroht. Martialisch redet ein Milizionär über Kopfschüsse und spricht davon, die Gegner zu verbrennen. Unmittelbar darauf folgt die Totale der vietnamesischen Landstraße mit den an der Kamera vorbeilaufenden verletzten Kindern. Im Lauf der nächsten Minuten wird deutlich, dass dieses Panorama der Gewalt nur teilweise „real“ ist. Einige Bilder der nahtlosen Montage stammen aus Filmen wie „Die Nacht der lebenden Toten“ oder „The Crazies“. Gerade die Art und Weise, wie bruchlos (und polemisch) Realität und Fiktion miteinander verzahnt werden, belegt, wie sensibel US-amerikanische Horrorfilme der späten 1960er- und 1970er-Jahre auf die soziale Krise reagierten, Medienbilder rekontextualisierten und mit solcherart „politisierten“ Filmen auf die Befindlichkeiten einer durch Gewalt, Wirtschaftsflaute und ökologischer Krise traumatisierten Nation reagierten. Die Montage profiliert die Kommentarfunktion der Filme noch. Auf eine Fernsehansprache Präsident Nixons, der davor warnt, dass Amerika nur von innen besiegt werden könne, folgt Leatherfaces erste Attacke aus Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“. Und George Romero gibt zu, dass den Filmemachern vielleicht gar nicht klar war, was sie machten, als sie die Puzzleteile zu einem gewaltigen Albtraum zusammenfügten.

Wer in Zweifel gezogen hat, dass Film einen privilegierten Zugang zum kollektiven Unbewussten besitzt, wird hier eines Besseren belehrt. Zugleich bietet der Film stupende Lektüren legendär-berüchtigter Filme wie „Blutgericht in Texas“, „Zombie“ oder „Last House on the Left“, die klar machen, dass man die soziale Dimension des modernen US-Horrorfilms nicht unterschätzen sollte. Dass dies dem Film derart fesselnd gelingt, liegt auch an der intellektuellen Brillanz der Interviewpartner: Die Filmemacher Romero, Hooper und Craven scheinen retrospektiv selbst erstaunt und amüsiert über die Tragweite ihrer „realistischen“ Gewaltfantasien. Souverän erklärt Wes Craven den Sadismus einzelner Sequenzen von „Last House on the Left“ als Reflex auf die Erschießung mehrerer Studenten-Aktivisten an der Kent State University von Ohio durch die Nationalgarde oder auf die berüchtigte Hinrichtung eines Vietkong durch den Polizeichef Saigons. Der Special-Effects-Meister Tom Savini bringt es auf den Punkt, wenn er von seiner therapeutischen Strategie berichtet, sein eigenes Erschrecktsein von der Realität der späten 1960er-Jahre in ein professionelles Verbreiten von Schrecken zu transformieren. Allgemein gefasst: „The American Nightmare“ lässt es wahrscheinlich scheinen, dass die 1960er-Jahre plausibel über die Morde Kennedy- King-Altamont-Manson rekonstruierbar sein dürften.

Ein Ausschnitt aus dem Trailer zu „The Last House on the Left“ lockt den Kinobesucher mit dem Ratschlag, er solle sich doch, um eine Ohnmacht zu vermeiden, stets daran erinnern, dass er nur einen Film sehe. John Landis und einige andere Befragte berichten mit Enthusiasmus vom kruden Realitätssinn dieser Filme, der das Kino in ein „Haus des Schreckens“ verwandelte. Bei Hitchcock, so Landis, konnte sich der Zuschauer in den Händen eines Meisters, aber letztlich doch in Sicherheit wiegen, doch in den Filmen von Craven und Hooper, von Romero und Cronenberg begab man sich freiwillig in die Hände von „Maniacs“. Auch Filmwissenschaftler wie Tom Gunning, Carol J. Clover und Adam Lowenstein bestätigen die existenzielle Dimension der ersten Begegnung mit den „films maudits“; Bezüge zu klassischen Horrorfilmen wie „Frankenstein“ werden herausgearbeitet: Während klassische Horrorfilme Ur-Ängste verarbeiten, aber durch ihre Künstlichkeit auch eine Distanz schaffen, sind die neuen Horrorfilme auf bestürzende Weise „realistisch“. Das Unbewusste ist kein schöner Ort, erklärt Carol J. Clover. Insbesondere Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ habe Bilder, die es unmöglich machen, beim Sehen nicht an die Ermordung von Martin Luther King oder die Lynchmobs der Südstaaten zu denken. Filme wie „Zombie“ erzählen von den ambivalenten Wonnen des Konsumismus, Cronenbergs „Shivers“ von der ambivalenten Sehnsucht nach Gemeinschaft, die die schmerzhafte Erfahrung von Individualität zurücknimmt. Profundes gibt es zu erfahren über den Zusammenhang von Terror und Schaulust, über das fast kindliche Staunen über die eigene Kraft, solch einen Schrecken auszuhalten. Dabei bricht die Dokumentation an manchen Stellen die mitunter zu enge Festlegung auf eine visuelle Repräsentation des Sozialen auf und reflektiert auf den Reiz des Fantastischen. Vielleicht liegt Romero ja richtig mit seiner Einschätzung, dass seine „Zombie“-Trilogie letztlich die conditio humana umreißt: „Wir leben im ständigen Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Also sind wir die living dead.“

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