Jena Paradies

Drama | Deutschland 2004 | 84 Minuten

Regie: Marco Mittelstaedt

Eine alleinerziehende junge Frau fasst nach der unglücklichen Liebe zu einem verheirateten Nachbarn neuen Lebensmut und lernt, ihren bemutterten zehnjährigen Sohn loszulassen. Ohne Larmoyanz äußere und innere Befindlichkeiten verknüpfendes Porträt von Menschen am Rande der (ostdeutschen) Gesellschaft. Stilsicher inszeniert und stimmungsvoll fotografiert, macht vor allem die authentische Hauptdarstellerin den Film zum Erlebnis. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Equinox Film/ZDF (Das Kleine Fernsehspiel)/dffb
Regie
Marco Mittelstaedt
Buch
Karen Matting · Marco Mittelstaedt
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Lars Löhn
Schnitt
Christian Nauheimer
Darsteller
Stefanie Stappenbeck (Jeanette Bauch) · Luca de Michieli (Louis Bauch) · Bruno F. Apitz (Harry Schirmer) · Hans-Jochen Wagner (Philipp) · Gitta Schweighöfer (Ursula Bauch)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
epix (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Was sich wie ein fantasievoll erfundener Titel zwischen Romantik und Hoffnung anhört, hat einen realen Hintergrund. 1880 wurde auf der Bahnstrecke im tief eingeschnittenen Saale-Tal zwischen Weimar und Gera eine Haltestelle mit dem Namen „Jena Paradies“ eingerichtet, die heute noch existiert. Zudem strahlt ein privater Radiosender sein Gute-Laune-Programm unter diesem Label aus. Gleichwohl kann man die hügelige Landschaft zwischen Saale und Unstrut durchaus als Seelenspiegel der Protagonistin interpretieren, die sich sowohl in Momenten höchsten Glücks als auch tiefer Niedergeschlagenheit auf „ihren“ Berg begibt, von dem sie das „Paradies Jena“ überblicken kann. Der Film erzählt weniger eine Geschichte, lässt vielmehr in Momentaufnahmen am Leben der alleinerziehenden Jeanette teilhaben, die mit ihrem zehnjährigen Sohn Louis am Stadtrand des beschaulichen Städtchens wohnt. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, keineswegs zwei linke Hände und arbeitet als Mädchen für alles beim örtlichen Fußballclub. Der arbeitslose Platzwart und Aushilfstrainer Harry ist Mutter und Sohn ein väterlicher Freund. Obwohl Jeanette ständig von Männern umgeben ist und ihre Nähe sucht, steht Louis im Mittelpunkt ihres Lebens, der darunter leidet, dass die Mutter ihm die Großeltern vorenthält. Als der Künstler Philipp sich im selben Haus ein Atelier einrichtet, verliebt sich Jeanette in den mit hochschwangerer Frau und Kind zusammenlebenden Mann und beginnt ein Verhältnis mit ihm. Louis reagiert mit Eifersucht, und Jeanettes schlechtes Gewissen lässt sie seinen Herzenswunsch erfüllen: Der Besuch auf der Silberhochzeit ihrer ungeliebten Eltern endet mit einem Desaster. Wieder in Jena, eröffnet ihr Phillip, dass er sich nicht von seiner Familie trennen wird. Jeanettes Träume brechen wie ein Kartenhaus zusammen. Louis zieht für eine Weile zu den Großeltern, bei denen er sich geborgen fühlt. Als Harry, der sich im Verein nur geduldet fühlt, einen Selbstmordversuch unternimmt, rettet ihn Jeanette ihm letzten Augenblick und schöpft durch die Konfrontation mit dem Tod neuen Lebensmut. „Jena Paradies“ ist einer jener sympathischen Erstlingsfilme, die einerseits vom Talent ihres Regisseurs zeugen und andererseits beweisen, dass der deutsche Film oft dann am besten ist, wenn er sich nicht an (finanziell) schwer zu stemmenden Genrevorbildern verhebt, sondern sich auf seine ursprünglichen Landschaften und ihre Menschen konzentriert. Gerade im Osten Deutschlands gibt es noch viele Geschichten und Befindlichkeiten zu entdecken, die Marco Mittelstaedt hier ohne Larmoyanz immer wieder zwischen den schnörkellosen Bildern erzählt. Bildern, die die großartige Kamerafrau Judith Kaufmann in der Schwebe zwischen stimmungsvoller Idylle und dokumentarischer Nähe hält und deren präzise Kadrierung an frühe Filme der „Nouvelle Vague“ erinnert, die oft auch versuchten, poetisch überhöht die Wirklichkeit zu reflektieren. Prägnante Szenen und auf den Punkt gebrachte Dialoge umreißen die Charaktere. Trotz der fast erdrückenden Bemutterung ist das Verhältnis von Jeanette zu Louis ambivalent; so schiebt sie Louis Geburtstag nur vor, um die halbe Fußballmannschaft zum Grillen einzuladen, worauf er einen Unfall provoziert. Als ihr Sohn trotzig auf der Reise zur Silberhochzeit seiner Großeltern besteht, schimpft sie ihn ein „verdammtes, unbrauchbares Kleinkind“. Irgendwie Kind geblieben ist auch Jeanette, die zwar ihr Leben meistert und weiß, was sie will, sich aber an Philipp klammert, um für sich den Schein vom Glück aufrecht zu erhalten: Bis zur demütigenden Selbstaufgabe bettelt sie um Liebe und Zuneigung. In solchen Momenten überträgt sich Jeanettes Verzweiflung fast schmerzhaft auf den Zuschauer, wohl auch deshalb, weil Stefanie Stappenbeck ihre Figur mit einer Wahrhaftigkeit ausstattet, wie man sie berührender lange nicht mehr gesehen hat. Dabei werden die gesellschaftlichen Befindlichkeiten pointiert umrissen, ohne sie aufdringlich in den Vordergrund zu stellen: Wenn Harry beim Einkauf in einem Sportgeschäft seine Arbeitslosigkeit leugnet, wird das genauso beiläufig angedeutet wie das angespannte Verhältnis zwischen Jeanette und ihren Eltern, das sich in ihrer Körperhaltung ausdrückt. Ohne ideologische Scheuklappen verknüpft Mittelstaedt die Auswirkung der Lebensumstände mit dem Innenleben seiner Protagonisten. So wird „Jena Paradies“ zu einem bewegenden Porträt von Menschen am Rande der Gesellschaft, das deutlich macht, dass trotz aller Niederlagen die Kraft für einen Neuanfang nicht zwangsläufig verloren gehen muss. Diese melancholisch-hoffnungsvolle Stimmung manifestiert sich im authentischen Spiel des gesamten Ensembles, das Mittelstaedt mit traumwandlerischer Präzision führt. Unterhaltung und Nachdenklichkeit gehen eine geglückte Symbiose ein, die noch lange nachschwingt.
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