- | USA 2005 | 97 Minuten

Regie: Gus Van Sant

Die letzten Tage eines von Drogen gezeichneten Rock-Musikers, der in einem schlossartigen Haus im Wald wohnt und sich wenig um seine Gäste kümmert, die mit ihm die ereignislosen Tage teilen. Der multiperspektivisch und arachronologisch angelegte Film erzählt keine Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern nähert sich in ungewöhnlichen Blickwinkeln und Kameraeinstellungen einem Mythos an. Dabei spielt er kunst- und lustvoll mit Nähe und Distanz zu seinem Protagonisten und schafft ein Kaleidoskop von Wahrnehmungsebenen, auf denen die Ikone "Rock-Star" interpretierbar wird. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LAST DAYS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
HBO Films/Meno Film/Picturehouse Ent./Pie Films
Regie
Gus Van Sant
Buch
Gus Van Sant
Kamera
Harris Savides
Musik
Rodrigo Lopresti
Schnitt
Gus Van Sant
Darsteller
Michael Pitt (Blake) · Lukas Haas (Luke) · Asia Argento (Asia) · Scott Green (Scott) · Nicole Vicius (Nicole)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. das interessante Feature "The Long Dolly Shot" (9 Min.) sowie ein Feature mit einer im Film nicht verwendeten Szenen (8 Min.).

Verleih DVD
Pierrot Le Fou (FF, DD2.0 engl., DD5.1 dt)
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Diskussion
„Good Will Hunting“ (fd 33 003), „Elephant“ (fd 36 420), „Last Days“: Ein unbedarfter Betrachter würde diese kleine Auswahl aus dem Oeuvre Gus Van Sants wohl kaum in die richtige Reihenfolge bringen. Gewöhnlich münden erfolgreiche Regiekarrieren nach experimentellem Start im großen Studioproduktionskarussell. Einen ähnlichen Verlauf nahm zunächst auch Van Sants Filmografie. Nachdem er sich als Independent-Filmer mit Werken wie „My Private Idaho“ (fd 29 222) einen Namen gemacht hatte, öffnete ihm der „Oscar“ nominierte „Good Will Hunting“ die Tür zum Starkino. Das anschließende Hitchcock-Remake „Psycho“ (fd 33 484) verfolgte zwar einen außergewöhnlichen Ansatz, indem es die Einstellungen des Originals 1:1 übernahm, bot aber konsequenterweise wenig Überraschendes. Im Grunde begnügte sich Van Sant damit, den Filmklassiker auf den aktuellen State of the Art upzudaten. Mit „Forrester – Gefunden!“ (fd 34 710) schuf er noch einmal kostspieliges, anspruchsvolles, schönes Lichtspiel für ein breites Publikum. Der Übergang vom neugierigen zum erfahrenen Kino war geglückt. Dann aber kehrte der Regisseur mit „Gerry“ zu seinen Wurzeln zurück und kreierte einen minimalistischen Erzählstil, den er in „Elephant“ verfeinerte und in „Last Days“ jetzt auf die Spitze treibt. Van Sants groteske Hommage an Kurt Cobain, den legendären Sänger der Grunge-Band „Nirvana“, der sich im April 1994 das Leben nahm, ist meilenweit entfernt vom Pop(corn)-Kino und doch alles andere als anfängerhaft. Mit „Last Days“ liefert Van Sant professionelles Improvisationskino, ein Meisterstück des Independent-Films. Es schildert die letzten Tage des fiktiven Rock-Musikers Blake, der sich in seinem herrschaftlichen Landsitz vor der Außenwelt verkriecht. Wie auf einem Dauerdrogentrip hat er sich soweit in sich selbst zurückgezogen, dass er kaum noch als menschliches Wesen wahrnehmbar ist. Zottelige Haare verhängen sein Gesicht, während er urmenschengleich durch den Wald wankt und unverständliche Laute schläfrig vor sich hin nuschelt: ein kranker Romantiker vor einem einsamen Lagerfeuer, dem auch die Natur keine Heimat sein kann. Chemiefässer treiben im Bach, in den er steigt, um sich zu erfrischen, unmittelbar neben ungesunden Schaumkronen. Van Sant inszeniert seine Figur als wandelndes Klischee, überspitzt, albern, allerdings nicht mit ironischer Schärfe, sondern humorvoll gütig, liebenswert. Weitaus irritierender und faszinierender sind die Momente, in denen der Film die Distanz verliert und in das verquere Universum Blakes abdriftet. Wie schon in „Elephant“ filmt Van Sant die Protagonisten auffällig häufig von hinten. In „Last Days“ lässt sich das mit keiner Ego-Shooter-Perspektive mehr assoziieren, doch bedroht fühlt sich Blake dennoch: von der Wirklichkeit, die ihn in Gestalt von Managern, Musikern und Privatdetektiven einzuholen versucht und vor der er beständig auf der Flucht ist. Die Kamera bedrängt ihn nicht, sie setzt ihm nicht nach, schlüpft förmlich in ihn hinein. Lange, ungeschnittene Sequenzen saugen den Lebensrhythmus des Antihelden auf. Auch dies ein Stilmittel, das Van Sant bereits in „Elephant“ erprobte, genau wie das prägnante Wechselspiel zwischen Nah- und Panorama-Aufnahmen, in dem sich formal spiegelt, was seit „Gerry“ Van Sants Filme auch inhaltlich prägt: die Fragen, die sie aufwerfen, bleiben unbeantwortet. Der Regisseur versucht seine Figuren zu greifen, kann sie aber nicht festhalten. Nähe und Distanz überlagern einander auf kunstvolle Weise. Mit gezielten Unschärfen taucht die Kamera von Harris Savides, der außer bei „Gerry“ und „Elephant“ auch schon bei „Finding Forrester“ zu Van Sants Crew zählte, hinein in die wabernde Parallelwelt Blakes, um ihn kurz darauf wieder aus den Augen zu verlieren. Da eine kausale Handlung so gut wie nicht stattfindet, geht die Kamera häufig eigene Wege. In poetischen Bildern fängt sie jene doppelte Entfremdung ein, die den Betrachter von Blake und Blake von der Wirklichkeit trennt. Harris Savides fotografiert durch Fenster hindurch und zugleich das, was sich in den Fenstern spiegelt. Geduldig, ja träge beobachtet die Kamera die vervielfachte Realität. In einer grandios arrangierten Szene öffnet „Last Days“ mit einer einzigen statischen Aufnahme eine Wirklichkeitstriade: ein schlafendes Paar, daneben ein laufender Fernseher, und durch das Fenster hindurch sieht man, wie draußen im Garten Blake ein Loch gräbt. Die Ikone „Rockstar“ verflüchtigt sich im Kaleidoskop der Wahrnehmungsebenen. Dass auch das Geschehen in multiperspektivischen, a-chronologischen Erzählspiralen aufbereitet wird, wie es sich für Van Sants avantgardistische Variante des „poetischen Realismus“ gehört, stört nicht weiter. Im Gegensatz zum Ensemblefilm „Elephant“ erscheint der Wechsel der Perspektiven in „Last Days“ zunächst eher als formale Spielerei, da der Film ganz auf Blake zugeschnitten ist. Die multiplizierten Blickwinkel und narrativen Wiederholungen fügen sich aber in das paralysierte, endzeitlichte Realitätsflimmern, das Blake gefangen hält. Die Geschichte tritt auf der Stelle oder dreht sich im Kreise. Chronologisch Erzählbares geschieht in den letzten Tagen Blakes kaum. Hinter der schlossartigen Fassade seines Anwesens haust der Musiker neben einer Hand voll Kollegen zwischen verstaubten Möbeln, rührt Cornflakes an oder kocht Tütensuppe. Einer seiner schmarotzenden Mitbewohner legt „Velvet Underground“ auf, ein anderer redet auf ihn ein, was Blake ähnlich teilnahmslos über sich ergehen lässt wie den Besuch eines Vertreters der „Gelben Seiten“. Der Dialog zwischen dem emsigen Anzeigenverkäufer, der sich als professioneller Kundenwerber nicht davon abschrecken lässt, dass sein Gegenüber im Spitzennegligé vor sich hindämmert, könnte von Jim Jarmusch stammen und gehört zu den komischen Höhepunkten des Films. Auch Michael Pitt spielt ein wenig sich selbst. Die seltenen Augenblicke, in denen Blake aus seinem Delirium erwacht und (genial) musiziert, basieren auf Pitts Stücken, die der Schauspieler auch live einspielt und singt. Van Sants Castingprinzip, die Rollen in „Last Days“ auf ihre Darsteller zuzuschneiden, geht wunderbar auf. Aber auch umgekehrt erweisen sich die Darsteller als Glücksfälle. Michael Pitt ist nicht Blake und Blake nicht Kurt Cobain. Gus Van Sant interpretiert den Mythos, der ihn überlebt hat.
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