Battle in Heaven

- | Mexiko/Belgien/Frankreich/Deutschland 2005 | 98 Minuten

Regie: Carlos Reygadas

Der Fahrer eines mexikanischen Generals, der ein Baby entführt hat, das jedoch kurz nach der Tat verstarb, offenbart sich in seiner Not der Tochter des Offiziers, die aus Langeweile und Überdruss in einem Edelbordell arbeitet. Doch weder körperliche Nähe noch die religiösen Rituale der lateinamerikanischen Volksfrömmigkeit vermögen die Schuld von ihm zu nehmen. Der mit Laiendarstellern inszenierte Film unterläuft die Sehgewohnheiten und provoziert durch die Wucht seiner elegisch-kargen Bildsprache nachhaltig. Der meisterhaft ausgeführte Kontrast zwischen religiösen Symbolen und den dokumentarischen Alltagsaufnahmen prangert soziale Gegensätze und sexuelle Degradierung an und schafft Raum für Kritik am mexikanischen Katholizismus; doch im Zentrum kreist der Film um die Möglichkeit von Erlösung, die er nachhaltig in Frage stellt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
BATALLA EN EL CIELO
Produktionsland
Mexiko/Belgien/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Mantarraya Prod./The Coproduction Office/No Dream Cinema/Tarantula/Essential
Regie
Carlos Reygadas
Buch
Carlos Reygadas
Kamera
Diego Martínez Vignatti
Musik
John Tavener
Schnitt
Benjamin Mirguet · Adoración G. Elipe · Nicolas Schmerkin
Darsteller
Marcos Hernández (Marcos) · Anapola Mushkadiz (Ana) · Bertha Ruiz (Marcos' Frau) · David Bornstien (Jaime) · Rosalinda Ramirez (Viky)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Heimkino

Neben der Standard-Edition ist eine Special-Edition (2 DVDs) erhältlich, in der u.a. der Regisseur, der Cutter, der Tonmeister sowie die Darstellerin Anapola Mushkadiz spezielle Szenen des Filmes erläutern. Der Regisseur kommentiert zudem drei der sieben im Film so nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 span./dt.)
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Diskussion
Seinen zweiten Film lässt der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas mit einer Art Vorspiel im Himmel beginnen: Die Kamera ruht auf dem ausdruckslosen Gesicht eines etwa 40-jährigen Mannes, gleitet dann langsam an dessen nacktem Körper hinab, bis der Hinterkopf einer vor ihm knieenden jungen Frau ins Bild kommt. Zu den liturgischen Klängen von John Teveners „The Protecting Veil“ weicht die Kamera etwas zurück, um sich dem Paar nach einem Schnitt aus einer anderen Perspektive zu nähern. Immer noch ist das Gesicht der Frau dabei verdeckt, doch schließlich sieht man, was man längst ahnt: die junge Frau bewegt den erigierten Penis des Manns in ihrem Mund. Man kann jedoch nicht behaupten, dass der Film diesen Blow Job zelebrieren würde; eher wohnt man einer trostlosen Andacht bei, deren Bedeutung sich erst später erschließt. Wie in Reygadas' gefeiertem Debütfilm „Japón“ (fd 35 971) dient auch in „Battle in Heaven“ eine zugleich elementare und zeremonielle Bildsprache dazu, Themen und Motive des lateinamerikanischen Katholizismus auf der Leinwand eine neue Form zu geben. Mit langen Einstellungen, spät aufgelösten subjektiven Perspektiven und komplexen Kamerafahrten verweigert sich Reygadas der klassischen Organisation des Blicks, wie er sich etwa im Prinzip von Schuss und Gegenschuss jedem Zuschauer als Sehgewohnheit verinnerlicht hat. Mehr als einmal laufen Ton- und Bildspur absichtsvoll auseinander, bleiben Figuren im Unschärfebereich des Bildes oder geraten wie zufällig in den Fokus der ins Leere starrenden Kamera. Beinahe jede Sequenz des Films hat eine doppelte Funktion: sie hält die Reflexion ihrer filmischen Mittel in der Schwebe und offenbart gleichzeitig jeweils ein Stück des narrativen Ganzen. Der im Titel apostrophierte Kampf im Himmel wird auf Erden zwischen der Generalstochter Ana und ihrem langjährigen Fahrer Marcos ausgetragen. Beide haben ein kriminalistisches Geheimnis: Wie Luis Buñuels „Belle de Jour“ (fd 15 004) arbeitet Ana zum Zeitvertreib als Hure; Marcos hat ein Neugeborenes entführt, um Lösegeld von dessen Mutter, die auch noch mit ihm verwandt ist, zu erpressen. Kurz bevor Marcos die Tochter seines Arbeitgebers vom Flughafen abholt, erfährt er von seiner Frau, dass das entführte Baby gestorben ist. Vielleicht, weil Ana ihn als Hüter ihres Doppellebens auserwählt hat, weiht er sie in sein Verbrechen ein. Sie redet ihm zu, sich der Polizei zu stellen, und schläft aus einer Mischung von Mitleid und Gleichgültigkeit mit ihm. Ein langer Kamerablick auf ein Jesusbild mit Engel verdeutlicht, was sich Marcos von Ana erhofft: Erlösung. Ebenso offensichtlich ist, dass sie ihm diese nicht geben kann. Sofern man dies nach zwei Filmen schon beurteilen kann, ist das Verhältnis von religiöser Opferbereitschaft, sozialen Gegensätzen und sexueller Degradierung das große Thema von Carlos Reygadas. „Japón“ (fd 35 871) handelte von einem Mann, der sich das Leben nehmen wollte, und in der Erlösungskonvention der heiligen Hure zumindest vorübergehende Tröstung fand; „Battle in Heaven“ führt seinen Protagonisten auf den Büßerpfad zur Jungfrau von Guadalupe. Die religiöse Symbolik steht dabei im meisterlich ausgeführten Kontrast zur dokumentarischen Qualität der Bilder, die Carlos Reygadas mit seiner Vorliebe für Laiendarsteller und mitunter surreal anmutenden Straßenszenen erreicht. Als Warholscher Impresario dreht Reygadas ohne festes Skript und wirft sein Ensemble ins kalte Wasser existenzieller Situationen, in denen es sich dann scheinbar vorbehaltlos entblößt. Beide Hauptdarsteller tragen im Film ihre realen Vornamen und spielen, zumindest, was ihre soziale Stellung betrifft, sich selbst. Marcos war früher der Chauffeur von Reygadas Vater, die Darstellerin der Ana entstammt der mexikanischen Oberschicht. Dem Authentizitätskult, den Carlos Reygadas in seiner Ästhetik pflegt, entspricht seine explizite Inszenierung des Fleisches. Nicht nur Marcos, auch Reygadas selbst sucht auf dem Gemälde des auferstehenden Jesu nach Erlösung und kann doch nichts anderes erkennen als die im Körper wurzelnde Erbsünde des Menschen. Immer wieder pressen sich in „Battle in Heaven“ die Leiber aneinander, doch sie tun es so verloren und gefühllos, als bringe sie jede Berührung der Verdammnis näher. Der Liebesakt verspricht hier kein wie auch immer geartetes Paradies auf Erden, sondern eine Prozession, die geradewegs ins Fegefeuer führt.
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