The Wind That Shakes the Barley

Drama | Großbritannien/Irland/Deutschland/Italien/Spanien 2006 | 127 Minuten

Regie: Ken Loach

Zwei Brüder kämpfen zwischen 1916 und 1921 gemeinsam im irischen Untergrund gegen die britischen Unterdrücker. Nach dem Waffenstillstand von 1921, als der Konflikt zum Bürgerkrieg unter dessen Befürwortern und Gegnern ausartet, stehen sie sich als Feinde gegenüber. Ken Loach differenziert das zunächst aufgebaute Gut-Böse-Paradigma und entwirft ein zunehmend komplexes Geschichtsbild. Dabei verpasst er die Chance, Gewalt als Mittel von Politik deutlich genug in Frage zu stellen, sodass sich der aufwändig inszenierte Film auch als blut-romantische Heldenverehrung lesen lässt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY
Produktionsland
Großbritannien/Irland/Deutschland/Italien/Spanien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Oil Flick Films No. 2/UKFC/Sixteen Films/Element Films/EMC/BIM Distribuzione/Tornasol Films
Regie
Ken Loach
Buch
Paul Laverty
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
George Fenton
Schnitt
Jonathan Morris
Darsteller
Cillian Murphy (Damien) · Pádraic Delaney (Teddy) · Liam Cunningham (Dan) · Orla Fitzgerald (Sinead) · Mary Riordan (Peggy)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Geschichts-Prof. Donal O' Driscoll.

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl., DD2.0 dt.)
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Diskussion

Ken Loach ist Engländer. Aber er wäre nicht Ken Loach, stünde er im Konflikt zwischen Irland und England auf der Seite des Königreichs. Konsequent ergreift sein Historiendrama „The Wind That Shakes the Barley” die Partei der Unterdrückten, der Iren, der einfachen Leute und der Befreiungskämpfer der I.R.A. Der Film erzählt vom Guerillakrieg zwischen dem Oster-Aufstand 1916 und dem Waffenstillstand 1921, der zur Unterzeichnung des Englisch-Irischen-Vertrags und einem blutigen Bürgerkrieg zwischen dessen Anhängern und Gegnern führte. Auch in dieser Auseinandersetzung zwischen Iren und Iren bezieht Loach Position, wenn auch nicht mehr so eindeutig und mit Verständnis für die Gegenseite. Die menschlichen Sympathien mögen einigermaßen verteilt sein, aber das politische Herz des Films schlägt abermals für die Widerständler und die Verlierer der Geschichte. Die von England unterstützten Vertragsanhänger, die akzeptierten, dass das „unabhängige“ Irland im Commonwealth und unter der Oberherrschaft der Krone verblieb, setzten sich gegen die Vertragsgegner durch. Am Ende hat sich, wie es Loach und sein ständiger Buchautor Paul Laverty eine ihrer Filmfiguren überspitzt formulieren lassen, nicht viel mehr geändert als die Farbe der Flagge derjenigen, die das Volk unterdrücken. Die Chance auf eine soziale Revolution wurde verspielt, die nationale Befreiung blieb im Ansatz stecken. So das politisch-historische Fazit von „The Wind That Shakes the Barley”. Seiner anti-elitären Haltung entsprechend stellt Loach keinen führenden Kopf des irischen Widerstands in den Mittelpunkt des Films, wie es Neil Jordan in „Michael Collins“ (fd 32 464) getan hat, dem Bio-Pic eines Mannes, der maßgeblich am Zustandekommen des Englisch-Irischen-Vertrages beteiligt war. Stattdessen beleuchtet der streitbare Regisseur den Befreiungs- und Bruderkrieg aus der Mitte der Kämpfenden. Den Bruderkampf interpretiert Loach wörtlich, indem er das Geschehen an einem Bruderpaar nachvollzieht, das zunächst miteinander und später gegeneinander die Waffen erhebt. Cillian Murphy („Breakfast on Pluto“, fd 37 616) spielt den jungen irischen Arzt Damien, der in London eine Stelle antreten soll, als er vor der Abfahrt auf dem Bahnhof hilflos mit ansehen muss, wie britische Soldaten den Lokführer zusammenschlagen, der sich weigert, sie mitzunehmen. Auf diesen Schicksalswink hin kehrt Damien um und schließt sich den Aufständischen unter der Führung seines Bruders Teddy an. Gemeinsam kämpfen sie im Untergrund, erschießen britische Soldaten, entführen und töten einen kollaborierenden Großgrundbesitzer und richten einen ehemaligen Mitstreiter und Freund hin, der sie aus Angst verraten hat. Als moralische Rechtfertigung für Attentate, Hinrichtungen und Mordanschläge dienen die barbarischen Übergriffe der britischen Armee auf die schutzlose Bevölkerung: Häuser werden niedergebrannt, ein junger Mann zu Tode gefoltert, nur weil er sich weigert, Englisch zu sprechen. Auch Damiens Geliebte Sinead wird schikaniert und gedemütigt. Ken Loach hat sich gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, sein Film sei anti-britisch. Zunächst aber vermittelt er tatsächlich diesen Eindruck. Die englischen Soldaten treten ausschließlich als grausam willige Vollstrecker einer skrupellosen Unterdrückungsmaschinerie in Erscheinung. So entseelt löst ihr Sterben nicht nur keine Trauer, sondern geradezu Freude aus, wenn man sich von der Filmdramaturgie dazu verführen lässt. Allerdings hält Loach im zweiten Teil des Films den Selbstgerechten nachträglich den Spiegel vor. Die anfänglich gezeigten Gewaltübergriffe wiederholen sich fast identisch. Nur diesmal sind es Iren, die Iren misshandeln. Die Gewaltexzesse offenbaren sich so – jenseits von Nationalitäten – als Strategien oder zumindest Auswüchse der jeweiligen Unrechtsherrschaft. Loach entfaltet ein irrwitziges Szenario, in dem sich zwei (Waffen-)Brüder unvermittelt als Todfeinde gegenüber stehen. Damien, dessen Entwicklung zum radikal idealistischen Freiheitskämpfer Cillian Murphy überzeugend gestaltet, und der von Pádraic Delaney ebenso glaubwürdig verkörperte, pragmatische Teddy erscheinen als Opfer eines zynischen Systems, das Teddy benutzt, ohne dass er selbst das merkt. Eindrucksvoll gelingt es Loach, sein zuvor errichtetes, simples Gut-Böse-Paradigma rückwirkend zu unterhöhlen und durch ein komplexeres, weniger klar durchschaubares Geschichtsbild zu ersetzen. Dabei verpasst er es jedoch, die Tauglichkeit von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung in Frage zu stellen. Vielleicht aber will er das auch gar nicht. Zumindest Hauptdarsteller Murphy äußert sich zu dem sensiblen Thema mit vielsagenden Sätzen wie: „Ich halte Damien für einen Realisten. Er erkennt mit der Zeit, dass Gewalt ein notwendiges Mittel ist.“ Loach lässt sich aus historischem Abstand zu einer gewaltverherrlichenden Inszenierung verleiten, die er sich bei einem aktuellen Konflikt wohl kaum erlaubt hätte. Auch wenn er keiner Führungsfigur huldigt, so betreibt er doch eine Heldenverehrung, die an blutromantischer Überhöhung kaum zu überbieten ist; selbst in ihren Widersprüchen wirken die Rebellen heroisch. Echte Männer von Schrot und Korn, denen Loach sogar in ihrem moralischen Versagen noch Größe verleiht. Die Liquidation, oder nennen wir es die Ermordung, eines jugendlichen „Verräters“ erscheint in diesem Lichte als Opfer für die edle Sache. Ob diese Tat nun „notwendig“ oder verwerflich ist, darauf legt sich der Film nicht fest. Sie bleibt zumindest anfechtbar. Eindeutig ist, dass Loach sie rechtfertigt und mit ihr politische Gewalt. Ein umstrittener Ansatz: Erschreckend, mit welch martialischem Pathos Loach ihn vertritt.

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