Biopic | Großbritannien/Frankreich/Italien 2006 | 104 Minuten

Regie: Stephen Frears

Die britische Königin Elizabeth II. erregt durch ihre Haltung nach dem Tod ihrer Schwiegertochter Prinzessin Diana den Unmut der Öffentlichkeit. Der Film will das Menschliche hinter der Fassade der scheinbar unnahbaren Regentin erfahrbar machen, was ihm vor allem dank der faszinierenden Hauptdarstellerin durchaus gelingt. Die Absicht, den Einfluss der Medien auf die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, misslingt dagegen, weil der Film gerade deren Klischees zur Entlarvung nutzt und letztlich ein wenig zu viel Kitsch, vermischt mit politischer Naivität, aufbietet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE QUEEN
Produktionsland
Großbritannien/Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Pathé Pictures International/Scott Rudin Prod./Granada Film/BIM Distribuzione/Canal+/France 3 Cinéma/Pathé Renn Prod.
Regie
Stephen Frears
Buch
Peter Morgan
Kamera
Affonso Beato
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Lucia Zucchetti
Darsteller
Helen Mirren (Königin Elizabeth II.) · Michael Sheen (Tony Blair) · James Cromwell (Prinz Philip) · Sylvia Syms (Königinmutter) · Alex Jennings (Prinz Charles)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Eurovideo (1:1,85/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
„Ich bin Dramatiker, kein Historiker.“ Gebetsmühlenartig rattert Oliver Stone Sätze wie diesen herunter, wenn er mit dem Vorwurf konfrontiert wird, seine Geschichtsfilme hielten sich nicht an historische Fakten. Stone formuliert damit ein Credo, dem sich die meisten Filmemacher, die sich auf das Feld der Historie wagen, anschließen dürften. Geschichtswissenschaftler hingegen tun sich schwer damit, gegen Kinomythen anzuschreiben. Der Zuschauer macht sich kaum die Mühe, Rekonstruiertes und Erdachtes auseinander zu klauben. Im Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit bewegt sich auch Stephen Frears „The Queen“, der die Zeit unmittelbar nach dem tödlichen Verkehrsunfall von Lady Diana am 31. August 1997 in Paris aus zwei unterschiedlichen Sichtweisen in Erinnerung ruft. Einmal aus dem Blickwinkel von Königin Elizabeth II., zum anderen aus der Perspektive des damals frisch ins Amt gewählten Premierministers Tony Blair. Diese zwei Personen prägen den Film. Blair als honoriger, dynamischer Jungpolitiker; die Queen als eine nach außen hin unerbittliche Verfechterin von Grundsätzen, hinter denen sich aber ein ganz „normaler“, ehrenwerter Mensch verbirgt. Diese innere Dynamik erhebt die Königin zur eigentlichen Protagonistin. So weiß Michael Sheen als Blair zwar zu gefallen, Helen Mirren, der es gelingt, die widersprüchlichen Facetten ihrer Rolle miteinander zu vereinbaren, ohne sie zu nivellieren, hinterlässt jedoch den bleibenderen Eindruck. Sie ist einfach großartig. Und allein dank ihrer Präsenz konnte der Film cineastisch gar nicht scheitern. Dass er gut gelingt, liegt aber auch daran, dass sich Frears mit seiner Titelheldin an eine sperrige Figur herangewagt hat, die in ihren öffentlichen Auftritten als reine Staatsperson wahrgenommen wird, steif und unnahbar. Sich ihr durch das Schlüsselloch des Kinos humorvoll, liebevoll anzunähern, verspricht mehr Spannung als noch einmal die „Prinzessin der Herzen“ ins Rampenlicht zu rücken. Diana geistert als bloßes Medienecho durch den Film. Frears versucht gar nicht, die wahre Diana hinter der Ikone ausfindig zu machen. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und persönlicher Wahrheit wird auch so offenkundig. Die Wirklichkeitsklitterung, an der jedes Biopic und jeder Historienfilm teilzuhaben Gefahr läuft, wird damit zum zentralen Gegenstand des Films. Im dualistischen Gut-Böse-Schema der Boulevardmedien kommt der Königin, die sich nach dem Tod Dianas zunächst auf ihren Landsitz zurückzieht, sich einem Staatsbegräbnis verweigert und auch die Fahne über dem Buckingham Palast nicht auf Halbmast wehen lässt, die Rolle der bösen Schwiegermutter zu. Von dieser Seite her versucht der unspektakulär und doch lebendig fotografierte Film, das stereotype Paradigma vom warmherzigen Naturkind und der kaltsinnigen Regentin aufzubrechen. Ganz mädchenhaft zeigt Frears die Monarchin, wenn sie sich alleine im Geländewagen auf den Weg macht und im Flussbett stecken bleibt. Als sich ihr ein prächtiger Hirsch nähert, entsteht ein mystisch-emotionaler, symbolisch ein wenig überladener Kinomoment. Die Königin verscheucht den Hirsch, um ihn vor der Jagdgesellschaft, die hinter ihm her ist, zu schützen. Im Rotwild materialisiert sich die Gefühlswelt, die sich die pflichtbewusste Königin kaum zugesteht. Ihre ganze Liebe, so will es Frears’ royalistische Interpretation, gehört dem britischen Volk. Doch das Volk hat sich verändert, während hinter den Palastmauern die Zeit stehen blieb. Die menschliche Parteinahme für die scheinbar spröde Königin ist Frears hoch anzurechnen, ganz unabhängig davon, ob die reale Elizabeth II. sie verdient. „The Queen“ offenbart mit einem spielerisch satirischen Unterton dumpfe, massenmediale Prozesse, die Menschen zu Projektionsflächen degradieren. Dass der Royalismus solche Mechanismen fördert, ist Frears wohl bewusst. Die emotionale Distanz, die er überbrückt, weicht einer durchaus kritischen Nähe. Die sturköpfige, unsensible Queen provoziert so manches Kopfschütteln. Die ambivalente Haltung, die „The Queen“ einnimmt, spiegelt sich in derjenigen Blairs wider. Der Premierminister, den Frears als volksnahen Instinktpolitiker und legeren, liebevollen Familienvater entwirft, zeigt sich zuerst befremdet von der peniblen Etikette, die im Königshaus herrscht. Bei seinem Antrittsbesuch vermasselt er den Handkuss und benimmt sich auch sonst wie ein unbeholfener Schuljunge, den die Majestät souverän und – man ahnt es hinter ihrer ehrwürdigen Maske nur – halb pikiert, halb amüsiert – zurechtweist. Hier neigt sich das Drama behutsam zur Komödie, ohne ins Schlingern zu geraten. Vom vorsichtigen Mahner entwickelt sich Blair nach Dianas Tod zum Vermittler, der die Königin drängt, ihr Verhalten zu überdenken. Blair kittet den Riss zwischen Königin und Volk und begegnet der alten Dame mit respektvoller Zuneigung. Gemeinsam schlendern sie nach der überstandenen Krise durch den königlichen Park. Happy End? In den zehn Jahren, die seit der Zeit, in der „The Queen“ spielt, vergangen sind, hat sich in England und der Welt manches verändert. Wenn die Königin vor diesem Hintergrund Blair im Film prophezeit, dass auch seine Beliebtheit vorübergehe, und Volk und Medien, die ihn jetzt hofierten, ihn bald unbarmherzig kritisieren würden, greifen die Filmemacher in denselben Klischeetopf, aus dem auch jene Bilder stammen, die sie eigentlich entlarven möchten. Auf gefährlich naive Weise schrumpft Weltpolitik hier zum psychologisierenden Kitschroman: der liebe Tony, die wankelmütigen Massen und die undankbare Presse. Dabei ignoriert Frears, dass in erster Linie konkretes politisches Handeln dazu führte, dass Blair in der Gunst des Volkes zeitweise rapide sank. Das politische Gespür, das Frears Tony Blair zuschreibt, lässt er selbst hier vermissen. Erstaunlich ist, wie wenig sich die Filmkritik bislang daran gestoßen hat. Man stelle sich nur vor, ein amerikanischer Regisseur präsentiere George W. Bush in einer ähnlichen Rolle!
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