Beynelmilel - Die Internationale

Tragikomödie | Türkei 2006 | 106 Minuten

Regie: Muharrem Gülmez

Eine Gruppe von Hochzeitsmusikern wird kurz nach dem Putsch in der Türkei Anfang der 1980er-Jahre abkommandiert, um ein Militärorchester zu gründen. Zum Empfang einer Polit-Delegation übt man die „Internationale“ ein, deren Bedeutung als sozialistische Hymne in der osttürkischen Provinz niemand kennt. Mit leichter Hand inszeniert, pendelt der Film zwischen Groteske, Melodram und Tragikomödie und tariert das Thema von der Entdeckung der Menschlichkeit zwischen Diktatur und ideologisch übersteigertem Partisanentum aus, ohne dabei in Typenzeichnung, geschickt arrangierten Anspielungen und Soundtrack die regionalen Bezüge zu vernachlässigen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BEYNELMILEL
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Besiktas Kültür Merkezi
Regie
Muharrem Gülmez · Sirri Süreyya Önder
Buch
Sirri Süreyya Önder
Kamera
Gökhan Atilmis
Musik
Aytekin G. Atas
Schnitt
Engin Öztürk
Darsteller
Cezmi Baskın (Abuzer) · Özgü Namal (Gülendam) · Umut Kurt (Haydar) · Nazmi Kirik (Tekin) · Meral Okay (Semra)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie | Melodram
Externe Links
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Diskussion
Nach dem Militärputsch in der Türkei herrscht 1982 auch in der auf halbem Weg zwischen Diyarbakir und Gaziantep gelegenen Kleinstadt Adiyaman Ausgehverbot. Und das, als die Gevende-Musiker um Tekin und Abuzer gerade dabei waren, einen Nachtclub zu eröffnen. Um den Segen der Militärs zu erkaufen, kommt der Befehl des Kommandanten zur Bildung eines „zeitgenössischen Orchesters“ gerade recht. Marschmusik spielen sollen die unrasierten Hochzeitsmusiker, doch dazu fehlt ihnen die rechte Gesinnung – der Eskesi-Marsch mit Flöte und Violine tönt eher nach verräuchertem Hinterzimmer als nach donnerndem Pathos. Per Zufall hört Bandleader Abuzer da bei seiner Tochter Gülendan, die sich in einen Revolutionär verliebt hat, die Anfangstöne der „Internationale“. Als „Frühlingslied“ verleugnet Gülendan die verbotene Hymne, und auch den örtlichen Militärs ist die Melodie nicht bekannt. So kommt es, dass ein eilig zusammengeschustertes Militärorchester in den 1980er-Jahren in der osttürkischen Provinz die „Internationale“ einübt, um damit eine Politikerdelegation zu begrüßen. Die Klamotte, die der Plot vermuten lässt, wird bereits in der ersten Sekunde widerlegt. Bildsprachlich zitiert „Beynelmilel – Die Internationale“ zunächst Politdramen von Costa-Gavras bis Lilienthal, um gleich darauf mit dem Mittel der Groteske weiterzuarbeiten. Voller nationaler Anspielungen – so werden die angehenden Militärmusiker in „liegengebliebene“ Uniformen der französischen Armee gesteckt, die nach dem Ersten Weltkrieg als Besatzer von Atatürk im türkischen Befreiungskrieg bekämpft wurde, und Topoi kurdischer Identität sind im Hintergrund –, folgt der Film dem Thema der Entdeckung der Menschlichkeit zwischen Militärdiktatur und ideologisch übersteigertem Partisanentum. Die Anspielungen werden einfallsreich und reguliert eingesetzt, sodass der dezent tragische Unterton des Films deutlich wahrnehmbar bleibt. „Beynelmilel – Die Internationale“ ist weitgehend frei von überraschenden Wendungen, überzeugt aber gerade durch die Geradlinigkeit, mit der die Groteske auf ihr bitteres Ende zusteuert. Bekannt ist auch das Typenkarussell vom schneidigen Untergrundkämpfer mit weichem Herzen bis zur lebenserfahrenen Nachtclub-Diva, doch es sind die kleinen, mit leichter Hand inszenierten Pointen am Rande, die Finten der Charaktere genauso wie ihre Naivität, die den Film liebenswert machen. Verwurzelt in der lokalen Musiktradition, spult der bemerkenswerte Soundtrack seine eigene Geschichte ab – nicht nur die Internationale war in der Türkei lange verboten, sondern auch kurdische Hochzeitslieder. Von der bäuerlich-musikalischen Erzählung bis zum Marsch geriert das auf der Tonspur arrangierte Liedgut zum zeitgeschichtlichen Panoptikum, in dem sich der Kampf zwischen den Verboten und deren Unterwanderung abbildet. Bei alldem verhehlt „Beynelmilel – Die Internationale“ nicht die Lebensgefahr, der sich die Protagonisten in jeder Minute aussetzen, und bringt somit die Absurdität der Zeit auf den Punkt. Gleichzeitig möchte er auch Unterhaltung bieten und folgt konsequent dem melodramatischen Plot. Dabei wird einiges an Authentizität auf der Strecke geblieben sein, genauso wie an cineastischer Innovationskraft, doch mit seiner weitgehend überzeugenden Dramaturgie, die Anspielungen gekonnt wiederaufzunehmen weiß, gehört „Beynelmilel – Die Internationale“ zu den besseren der türkischen Großproduktionen, die seit Anfang des Jahres zweiwöchentlich in großer Kopienzahl in die deutschen Kinos kommen.
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