Buongiorno, notte - Der Fall Aldo Moro

Politthriller | Italien 2003 | 106 Minuten

Regie: Marco Bellocchio

Filmische Rekonstruktion der 55-tägigen Gefangenschaft des christdemokratischen italienischen Politikers Aldo Moro, der 1978 in einem "Volksgefängnis" der "Roten Brigaden" gefangen gehalten und anschließend ermordet wurde. Der politisch zweifelhafte Film erzählt seine Geschichte aus der Perspektive der einzigen Frau innerhalb der Terrorgruppe, die nach und nach Kontakt zu dem Gefangenen aufnimmt und dabei scheinbar Anteilnahme entwickelt. Das auf einem Insider-Bericht beruhende filmische Kammerspiel verstört durch seine a-historische Haltung, den Verzicht auf eine dezidierte Stellungnahme und die Zeichnung der Frau, der bestenfalls ein gerüttelt Maß an Emotionalität zugebilligt wird. - Ab 16 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
BUONGIORNO NOTTE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Filmalbatros/Rai Cinemafiction/Sky
Regie
Marco Bellocchio
Buch
Marco Bellocchio
Kamera
Pasquale Mari
Musik
Riccardo Giagni
Schnitt
Francesca Calvelli
Darsteller
Luigi Lo Cascio (Mariano) · Maya Sansa (Chiara) · Roberto Herlitzka (Aldo Moro) · Piergiorgio Bellocchio (Ernesto) · Giovanni Calcagno (Primo)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Politthriller
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Diskussion
Der italienische Regisseur Marco Bellocchio scheint sich hier nur wenig für politische Zusammenhänge zu interessieren. In seinem Film über den Fall Aldo Moro ist davon jedenfalls kaum etwas zu spüren – obwohl der fast 60-Jährige die damaligen Ereignisse miterlebt hat. Das Kapitel der Roten Brigaden – ähnlich wie die Geschichte der RAF – ist in Italien bis heute alles andere als überwunden. Erst Anfang des Jahres 2007 tauchte die terroristische Gruppe, die von etwa 1970 bis Mitte der 1980er-Jahre aktiv war, erneut in den Schlagzeilen auf und kehrte damit ins öffentliche Bewusstsein zurück. 15 Verdächtige wurden festgenommen, die mehrere Anschläge geplant haben sollen. Die Behörden vermuteten eine militante Nachfolgeorganisation der „Brigate Rosso“; eine „zweite Generation“. Ebenso wie die Ermordung Hanns Martin Schleyers im „Deutschen Herbst“ 1977 steht auch der Fall Aldo Moro in Italien für eine Zäsur. Die revolutionären Utopien der 68-er verwandelten sich in eine blutige Realität und führten damit das Land an den Rand des Ausnahmezustandes. Mit Moro hatten die Terroristen jedoch eine Person ausgewählt, die sich kaum zum Feindbild eignete. Der christdemokratische Politiker propagierte eine Versöhnungspolitik und die Einbindung der Kommunisten in die Regierung. Am 16. März 1978 wurde Moros Fahrzeugkonvoi überfallen, die vier Leibwächter sowie der Fahrer wurden erschossen. Dass es während der 55-tägigen Gefangenschaft zu keinem einzigen Verhandlungsversuch von Seiten der Regierung unter Giulio Andreotti kam, erschütterte das Vertrauen in den Staat, dessen rigide Haltung von einigen als heimliche Billigung der Entführung aufgefasst wurde. Eine Untersuchungskommission fand sogar Anhaltspunkte, nach denen der Geheimdienst an der Entführung beteiligt gewesen sein soll. Marco Bellocchio lässt diese komplizierten Verstrickungen jedoch links liegen und konstruiert stattdessen ein filmisches Kammerspiel. Zugrunde liegt der Bericht „Il prigionero“ („Der Gefangene“) von Anna Laura Braghetti, in dem der Alltag der Entführer aus eigener Erfahrung geschildert wird. In „Buongiorno Notte“ findet sich eine parallele Figur zu der Ex-Terroristin in Chiara, einer jungen Bibliotheksangestellten und der einzigen Frau in der Gruppe. Der Film beginnt mit der Besichtigung einer Wohnung, die als Versteck für den Entführten dienen soll. Chiara und Ernesto, die sich als Paar vorstellen, lassen sich von einem Immobilienmakler durch die Räume führen. Ihre durchdringenden Blicke und ihr angespanntes Schweigen lassen erahnen, dass hier kein häusliches Nest gebaut werden soll; und schon bald wird die angemietete Wohnung zum „Volksgefängnis“ umgestaltet. Aus Regalen wird eine doppelte Wand gezimmert, hinter der Aldo Moro gefangen gehalten wird. Bellocchio gelingt es, die Wohnung wie eine autonome Figur zu inszenieren. Die Entführer erscheinen darin ebenso eingesperrt wie ihr Opfer. Ständig werden Türen verriegelt, Vorhänge zugezogen, wird die doppelte Wand hin- und hergeschoben. Jedes Klingeln an der Wohnungstür steht für Verunsicherung und Bedrohung, auch wenn es letztlich nur die Nachbarin ist, die nach einem heruntergefallenen Wäschestück fragt. Zugang zur Außenwelt gibt es allein durch die Medien, das Fernsehen, die Zeitungen – sie dokumentieren den Verlauf der Entführung – und durch Chiara, die ihrem Job nachgeht, die Einkäufe und den Haushalt erledigt und der Gruppe von der öffentlichen Stimmung berichtet. Aldo Moro ist anfangs nicht viel mehr als eine schemenhafte Gestalt und wird erst im Lauf des Films als Figur präsent. Das erste Bild zeigt ihn schlafend auf seiner Pritsche – es ist der Blick Chiaras durch den Türspion, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist dem vermummten Anführer vorbehalten. Chiara baut ihren Kontakt zu dem Entführten allein durch das Guckloch auf, dadurch wirkt sie von Anfang an merkwürdig außen stehend und beobachtend – wie eine Voyeurin, was im Gegensatz zu ihrer aktionistischen Terroristinnen-Identität steht. Auch die anderen Personen in „Buongiorno Notte“ sind nicht unbedingt glaubwürdiger. Die Rotbrigadisten beten ihre Revolutionsparolen wie auswendig gelernt herunter, ohne sie glaubhaft verkörpern zu können. Der Verzicht auf gangsterartiges Revoluzzer-Gepose mag ja richtig sein, die Entführer sind aber derart unfanatisch und simpel charakterisiert, dass man ihnen das Todesurteil und die Exekution Moros kaum abnehmen will. Die politische Tragödie wird zunehmend in ein persönliches Drama verwandelt. Chiara verfolgt, wie Moro mit den Entführern diskutiert, um sein Leben kämpft, Briefe an seine Angehörigen und Parteifreunde schreibt und sich schließlich selbst aufgibt. Der Film beschreibt Chiaras sich anbahnenden inneren Konflikt immer wieder durch Großaufnahmen ihres bewegten Gesichts – sie weint oder liegt grübelnd im Bett. Um ihre Zweifel an der Richtigkeit der Sache zu untermauern, werden zudem schwarzweiße Archivbilder mit sowjetischen Mai-Demonstrationen oder ermordeten Partisanen dazwischen geschnitten, die überflüssigerweise auch noch mit Pink-Floyd-Musik unterlegt sind. Das Frauenbild der Kommunarden – Frauen sind für den Haushalt zuständig, Männer dagegen für die „intellektuelle“ Arbeit – wird von Bellocchio ein Stück weit reproduziert, wenn er die Frau als Instanz für Emotionalität und Nächstenliebe einsetzt. Die Figur Chiaras kippt schließlich ins Unhistorische, wenn sie einen anderen Ausgang der Entführung imaginiert. Während sie schläft, sitzt Moro zunächst wie ein liebenswürdiger Onkel im Sessel. Später kann er mit ihrer Hilfe sein Versteck verlassen und im Morgengrauen entspannt durch die leere Stadt spazieren. Dass Bellocchio mit dieser privaten und kitschigen Vision in die Falle der Menschlichkeit tappt, lässt die Brisanz seines Themas endgültig in sich zusammenfallen.
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