Der Italiener (2006)

- | Italien/Frankreich 2006 | 112 Minuten

Regie: Nanni Moretti

Ein Filmproduzent, dessen Firma kurz vor der Pleite steht, gerät an ein Drehbuch zu einem Film über den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Gleichzeitig plagen ihn familiäre Nöte, da seine Frau sich von ihm trennt. Nanni Moretti schuf einen heiter-melancholischen Film, der sich im Gewand einer Liebes- und Familienkomödie durch den "Film im Film" raffiniert mit dem "Phänomen Berlusconi" befasst und satirisch Kritik am politischen Einfluss geballter Medienmacht übt. Durch die Reibung zwischen den Wirklichkeitsebenen wird der Zuschauer zum Nachdenken und Hinterfragen angeregt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IL CAIMANO
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Bac Films/Sacher Film/Stéphan Films/France 3 Cinéma
Regie
Nanni Moretti
Buch
Nanni Moretti · Francesco Piccolo · Federica Pontremoli
Kamera
Arnaldo Catinari
Musik
Franco Piersanti
Schnitt
Esmeralda Calabria
Darsteller
Silvio Orlando (Bruno Bonomo) · Margherita Buy (Paola Bonomo/Aidra) · Jasmine Trinca (Teresa) · Michele Placido (Marco Pulici/Silvio Berlusconi) · Giuliano Montaldo (Franco Caspio)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Lange galt der römische Regisseur, Produzent und Schauspieler Nanni Moretti als eine Art italienischer Woody Allen. In seinen Komödien der 1970er- und 1980er-Jahre inszenierte und spielte er fast immer auch sich selbst. Die Filme steckten voller autobiografischer Anspielungen, und durch die neurotisch-chaotische Kunstfigur Michele Apicella, den Moretti außer im Überraschungserfolg „Ecce Bombo“ (1978) noch in zahlreichen weiteren Filmen darstellte, schimmerte stets auch Künstleridentität hindurch. In den 1990er-Jahren rückte der Regisseur seine Person zunächst noch stärker in den Mittelpunkt. Die autobiografischen Essays „Liebes Tagebuch“ (fd 30 867) und „Aprile” (fd 33 394) zeigten ihn bei Arztbesuchen, als werdenden Vater und zerstreut quasselnden Intellektuellen. Zu Beginn von „Aprile“ tritt aber eine zeitgenössische Figur in Erscheinung, die Moretti noch über Jahre hinweg beschäftigen wird: Silvio Berlusconi. Der Filmanfang zeigt, wie Moretti und seine Mutter am 28. März 1994 die Wahlberichterstattung des italienischen Fernsehens verfolgen. Man sieht Berlusconi als strahlenden Sieger und den niedergeschlagenen Moretti mit dem (angeblich) ersten Joint seines Lebens. Diese passive Haltung behielt er allerdings nicht bei. Während der insgesamt zwölfjährigen Amtszeit von Berlusconi avancierte er zu einem der führenden Berlusconi-Kritiker unter den italienischen Kulturschaffenden. Er nahm an regierungskritischen Veranstaltungen teil und gehörte zu den Initiatoren der Bürgerbewegung „girotondi“ (wörtlich: „Ringelreihen“), die auf ihren Demonstrationen Regierungsgebäude, Gerichte oder den staatlichen Fernsehsender RAI umkreiste. Im Februar 2002 sorgte Moretti für einen Aufruhr unter den Linken, als er bei einer Kundgebung des Mitte-Links-Bündnisses in Rom die Bühne bestieg, den anwesenden Oppositionsführern Francesco Rutelli und Piero Fassion vorwarf, „mit euch kann man nicht gewinnen“, und die ganze Veranstaltung kurzerhand als „nutzlos“ bezeichnete. Auf das ihm ureigenste Medium Film griff Moretti bei seinem Kampf gegen die Berlusconi-Regierung erstaunlicherweise kaum zurück. Woran das gelegen haben mag, ließ bereits „Aprile“ ahnen, worin Moretti zu sehen ist, wie er am Versuch scheitert, einen sozial-chronistischen Dokumentarfilm zu drehen. „Der Italiener“ legt auf seine Weise Zeugnis von den Schwierigkeiten ab, denen sich Moretti bei einem Film über Berlusconi ausgesetzt sah. Er spielt darin einen Schauspieler, dem die Hauptrolle in einem Politthriller über Berlusconi angetragen wird, der aber ablehnt, weil er davon überzeugt ist, dass das politisch nichts bringt. Am Ende ist er dann doch in der Rolle des damals noch amtierenden Ministerpräsidenten und Medienmoguls zu sehen. Der Gesinnungswandel der Nebenfigur, die Moretti hier darstellt, mag auf seinen eigentlichen Entwicklungsprozess schließen lassen. Bereits 2002 schrieb er an einem Drehbuch zu einem engagierten Anti-Berlusconi-Film, das er dann aber ebenso verwarf wie die Idee einer „folkloristischen und karikierenden“ Satire. Stattdessen entschied er sich für einen Film im Film. Über weite Strecken ist „Der Italiener“ reichlich unpolitisch: ein gelungenes, heiter-melancholisches Stück, halb Liebeskomödie, halb Familiendrama. Erzählt wird die Geschichte des kauzigen Filmproduzenten und liebevollen Familienvaters Bruno Bonomo (Silvio Orlando) – einer köstlichen Mischung aus Woody Allen und Danny DeVito –, dessen Frau sich von ihm trennt und dessen Firma kurz vor der Pleite steht. Auf der verzweifelten Suche nach dem rettenden (Film-)Streifen am Horizont gerät er an ein Drehbuch einer Regiedebütantin (Jasmine Trinca), die einen Spielfilm über Berlusconi drehen möchte: sein Titel: „Il Caimano“. Moretti hat also keinen Film über Berlusconi gedreht, sondern einen Film über einen Film über Berlusconi. Mit dieser distanzierenden Methode hat er sich einige Vorwürfe eingehandelt. Nicht scharf, nicht bissig, nicht konkret genug sei die Kritik an dem Ministerpräsidenten formuliert; zu sehr an den Rand der Filmhandlung gedrängt. Doch auch wenn bezweifelt werden darf, ob „Der Italiener“, der in Italien unmittelbar vor den Parlamentswahlen 2006 im Kino anlief, den Ausgang der Wahlen beeinflusst hat, stellt sich doch auch die Frage, ob diese Kritik am Film nicht zu kurz greift. Fast zeitgleich mit Moretti wählte Jan Henrik Stahlberg für seinen Erstling „Bye, Bye Berlusconi“ (fd 37 537) eine ganz ähnliche Herangehensweise. Auch Stahlbergs Filmsatire erzählt von den Schwierigkeiten, einen Film über Berlusconi zu drehen. Bloß Zufall ist das wohl nicht. Ebenso wenig zufällig wird Berlusconi im Gedankenfilm, der in Bonomo beim Lesen des Drehbuchs abläuft, zunächst von einem Schauspieler (Elio De Capitani) verkörpert, der eine erstaunliche äußerliche Ähnlichkeit zum Original aufweist, am Ende aber im abgedrehten Film im Film vom vollbärtigen Moretti dargestellt, der nun ganz und gar nicht nach Berlusconi aussieht. Aus dem historischen Berlusconi ist ein Prinzip geworden, das auch nach dem – zumindest vorläufigen – Ende der Berlusconi-Ära in Italien nichts an Aktualität eingebüßt hat. Es ist das Prinzip des geistigen Brandstifters, der am Schluss des Films im Film eine Zuschauermenge so lange aufwiegelt, bis sie tatsächlich Brandsätze auf die Richter wirft, die ihn verurteilt haben. Es ist der Propagandist, der Massendompteur, der Medienmogul Berlusconi, um dem es am Ende geht, nicht so sehr der reale Politiker. „Der Pakt, auf den sich diese Republik gründet, wurde in den Fernseh-Talkshows umgeschrieben“, beklagt Moretti. „Dort findet man heute die geltende italienische Verfassung: im Horror der Talkshows.“ Einer solch geballten, gespenstischen und gefährlichen Medienmacht, wie sie Berlusconi repräsentiert und im übrigen noch innehat, lässt sich schwerlich auf Augenhöhe begegnen. Statt „einfach“ nur einen Film über Berlusconi zu drehen, hat Moretti auf ebenso unterhaltsame wie intelligente Weise beides getan: einen Film über Berlusconi gedreht und diesem zugleich eine Ebene der medienkritischen Reflexion vorgeschaltet. So erzeugt er eine produktive Reibungsfläche sich durchdringender Wirklichkeitsebenen, bis am Ende in einer dramatischen Schlusssequenz die filmische Realität die Rahmenhandlung überlagert und schließlich verdrängt. Damit regt „Der Italiener“ vielleicht mehr zum Nachdenken und „Hinterfragen“ an, als es der Film in Form eines reinen Politkinos hätte tun können.
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