Du bist nicht allein (2007)

Tragikomödie | Deutschland 2007 | 97 Minuten

Regie: Bernd Böhlich

Der Alltag in einem Ostberliner Plattenbau, der von Arbeitslosen, Alkoholikern und russischen Migranten bevölkert wird. Eine sommerliche Tragikomödie voller Sympathie für die Loser, die der Film nach Auswegen aus ihrer Einsamkeit suchen und zaghafte Neuanfänge wagen lässt. Der von starken Darstellern, Blicken, Gesten und leisen Zwischentönen getragene Film erliegt nicht den sentimentalen Verlockungen seines Sujets, sondern behält seinen lebensbejahenden Ton auch in den Niederungen des Daseins bei. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Ö Filmprod./RBB/WDR/SWR
Regie
Bernd Böhlich
Buch
Bernd Böhlich
Kamera
Thomas Plenert
Musik
Jakob Ilja
Schnitt
Karola Mittelstädt
Darsteller
Axel Prahl (Hans Moll) · Katharina Thalbach (Frau Moll) · Katerina Medvedeva (Jewgenia) · Herbert Knaup (Kurt Wellinek) · Karoline Eichhorn (Sylvia Wellinek)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Manchmal genügt schon ein Gesicht, um die ganze Geschichte eines Films zu erzählen. Als habe die Natur längst in die Gesichtszüge eingeschrieben, was das Leben so an kleinen und großen Katastrophen bringen wird. Axel Prahl verkörpert wie kein anderer die schwer gebeutelten Alltagshelden des neuen deutschen Kinos und gehört längst zum Inventar jener Regisseure, die im Schlepptau von Andreas Dresen die Lebenswelten „kleiner Leute“ erforschen. „Du bist nicht allein“ wählt die wenig erbauliche, aber umso authentischere Kulisse eines Ostberliner Plattenbaus als Zentrum seiner sommerlichen Tragikomödie und taucht in eindringlichen Szenen und kurzweiligen Beobachtungen tief in die Befindlichkeiten von Arbeitslosen, Alkoholikern, unterbeschäftigten Schauspielerinnen oder russischen Migranten ein. Die Bewohner dieses Kosmos verbringen ihre Zeit nicht zufällig am liebsten auf dem Balkon, und fast glaubt man sich in einer Fortsetzung von Andreas Dresens ähnlich warmherzig angelegter Sozialkomödie „Sommer vorm Balkon“ (fd 37 419) – nur dass „Du bist nicht allein“ eine ganze Anzahl um ihre Würde kämpfender Berliner versammelt. Axel Prahl spielt den arbeitslosen Herrn Moll, der in Liebe zur russischen Nachbarin entbrennt, während sich Katharina Thalbach als seine Frau und Ex-Wurstverkäuferin bei einem Wachdienst verdingt, ohne zu merken, dass sie eine leere Halle bewacht. Im Haus gegenüber hat der soziale Abstieg noch dramatischer zugeschlagen: Herbert Knaup frönt auf seinem Balkon der Depression, trauert – sein Haus auf der anderen Straßenseite im Blick – dem verlorenen Job als Physiker und seiner Frau nach, die ihn hinausgeschmissen hat und jetzt ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht mit der Synchronisation von Zeichentrickfilmen verdient. Lange bleiben beide nicht allein, denn zusammen lässt sich nun mal leichter das sichere Ufer erreichen. Kleine, unspektakuläre Geschichten von Menschen, die abzugleiten drohen, deren Lebenskontext bröckelt und sie allein oder gemeinsam zum Handeln zwingt. Ein großes Plus des mit dokumentarischer Sorgfalt gedrehten Films von Bernd Böhlich, der bisher als ein mit zwei Adolf-Grimme-Preisen ausgezeichneter Fernsehregisseur von sich reden gemacht hat, ist, dass er bei der Beschreibung der Misere nicht stehen bleibt, sondern gemeinsam mit seinen Figuren nach Auswegen aus der Einsamkeit sucht und sie auch den Neuanfang wagen lässt. In einer Szene wird Herr Moll von der russischen Familie seiner Nachbarin zum Singen aufgefordert. Er entscheidet sich für Roy Blacks Schnulze „Du bist nicht allein“ und trägt sie erst leise und schüchtern, gegen Ende aber laut und nachdrücklich vor – eine anrührende Liebeserklärung an seine Angebetete und peinliche Entblößung zugleich, zumal seine Liebe nicht erwidert wird. Frau Moll ist da schon weiter: Nach der Entdeckung der Untreue ihres Gatten lernt sie Schwimmen, was metaphorisch verstanden werden darf, denn der energischen Ur-Berlinerin traut man am ehesten zu, das Lebenstief zu überwinden. Langsam und unaufdringlich, mit diskreter Neugier und großer Zärtlichkeit feiert der Film die Lebenskämpfer unter seinem Personal, die ohne Garantie auf Besserung die Veränderung suchen, ihre inneren Verkrustungen aufbrechen und für ihren Mut gelegentlich auch mit kleinen Erfolgen belohnt werden. Dafür benötigt der Film kaum Dialoge und kommt mit Gesten, Blicken und Zwischentönen aus, die Bände sprechen. Auch wenn die Botschaft banal anmutet, umgeht die Regie erstaunlich sicher die sentimentalen Verlockungen des Sujets und behält bis zum Schluss, trotz einiger allzu einfach gestrickter Pointen, einen angenehm melancholischen und zugleich lebensbejahenden Ton. Nicht zuletzt dank der hervorragenden Darsteller ein Film, der echtes Mitgefühl vermitteln kann: Man geht mit und lässt sich gerne von der Tatsache ablenken, dass man all das schon mal auf halben Treppen und sommerlichen Balkonen gesehen hat.
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