Reine Geschmacksache

Komödie | Deutschland 2007 | 109 Minuten

Regie: Ingo Rasper

Ein frisch gebackener Abiturient greift seinem Vater, einem Vertreter für Damenbekleidung, im Job unter die Arme und durchläuft innerhalb weniger Wochen eine Schule des Lebens. Während der dominante Vater beruflich ins Abseits gerät und darüber seinen Lebensmut verliert, erlebt der junge Mann seine erste Liebe mitsamt schwulem Coming out. Beschwingte, gut beobachtete Familienkomödie mit nachdenklichen Untertönen, die unbeschwert unterhält und dabei von Menschenkenntnis zeugt. Die Anlehnung an gängige Fernsehformate und -ästhetiken trübt die Freude an dem sympathischen Film ein wenig. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
noirfilm/Knudsen & Streuber/SWR
Regie
Ingo Rasper
Buch
Tom Streuber · Ingo Rasper
Kamera
Marc Achenbach
Musik
Martina Eisenreich
Schnitt
Patricia Rommel · Sylvain Coutandin
Darsteller
Edgar Selge (Wolfi) · Florian Bartholomäi (Karsten) · Roman Knizka (Steven) · Franziska Walser (Erika) · Traute Hoess (Brigitta)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (1:1,78/16:9/dt. DD 2.0)
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Diskussion
Schwer zu sagen, was auf den gerade volljährig gewordenen Karsten Zenker frustrierender wirkte: nach dem gerade bestandenen Abitur den Sprachkurs in Spanien abzublasen oder seinem Vater bei dessen Job als Vertreter für Damenbekleidung aushelfen zu müssen. Der besserwisserische Haustyrann hat sich gerade einen neuen Wagen geleistet und prompt den Führerschein verloren. Da sich der Job nicht ohne Auto machen lässt, muss der Filius einspringen und den sichtlich in seinem Selbstbewusstsein gekränkten Vater von Boutique zu Boutique chauffieren, andernfalls stehen die Hypothek und der neue Autokredit auf dem Spiel. Als wäre dies nicht genug, erlebt der Vertreter bei der Präsentation der neuen Kollektion einen bitteren Dämpfer, als sich der Juniorchef von der bisherigen Zielgruppe – „die elegante Frau ab 40, gerne auch mit Problemzonen“ – verabschiedet und stattdessen ein jüngeres, in modischen Dingen mutigeres Publikum anvisiert. Während Vater Zenker, der alle seine Kundinnen seit Jahren kennt, die Welt nicht mehr versteht, springt sein jung-dynamischer Kollege Brookmüller ein und bietet an, die jugendliche Kollektion mit dem blumigen Namen „Grazilla“ auch in Zenkers Gebiet zu vertreten. Die Odyssee durch die Niederungen des Textileinzelhandels erweist sich für Karsten als Schule des Lebens, denn er erlebt nicht nur unmittelbar mit, wie seinen Vater allmählich der Lebensmut verlässt, als die Kundinnen eine nach der anderen abspringen, sondern auch seine erste Liebe samt Coming-Out – ausgerechnet mit Brookmüller, den er zufällig in einer Wäscherei kennenlernt. Zu guter Letzt entdeckt Karstens Mutter das Ausmaß der finanziellen Misere und zieht zu ihrer besten Freundin, um ein Zeichen zu setzen. Anschließende Verwicklungen und Eskalationen sind hier vorprogrammiert, werden aber mit einem Augenzwinkern und Mut zur turbulenten Zuspitzung absolviert, so dass man gerne bei manch einem allzu platten Humorausrutscher ein Auge zudrückt. „Reine Geschmacksache“ ist ein unspektakuläres und mit seiner Fernsehästhetik im Kino eigentlich deplaziertes Debüt. Nichtsdestotrotz ist die amüsante Studie familieninterner Krisen – und wie man ihnen beikommt – von genug Menschenkenntnis und viel Zuneigung zu den Figuren geprägt, um auf Anhieb für sich einzunehmen. Regisseur Ingo Rasper kommt wie die Mehrheit seines Teams von der Ludwigsburger Filmakademie und liefert einen weiteren Beweis für deren Ruf einer Talentschmiede. Sein auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival bestens angekommener Erstling möchte keinen großen Wurf wagen und auch nicht anecken, sondern schlicht unterhalten, und das gelingt ihm auch. Leichtfüßig Generationsunterschiede mit nachdenklichen Untertönen zu zeichnen, schafft diese beschwingte und gut beobachtete Familienkomödie ohne viel Aufwand. Angesiedelt in der deutschen Provinz und verankert im kleinbürgerlichen Milieu, lebt der Film von Typen und prägnanten Charakteren, die mitunter überzeichnet sind, im Rahmen einer Komödie aber schöne Akzente setzen. Davon zeugt das überaus sorgfältige Casting, das selbst in Nebenrollen glänzt, wenn es Jungtalente wie Jessica Schwarz oder Eva Löbau mit Fassbinder-Personal vom Schlage einer Irm Hermann zusammenbringt. Ein weiteres Plus ist die unverkrampfte Behandlung des Coming-outs. Der in Saarbrücken für seine beachtliche Leistung ausgezeichnete Florian Bartholomäi spielt die Verwirrung der Gefühle zwischen Neigung und äußeren Vorurteilen mit einer entwaffnenden Natürlichkeit und kontrastiert wunderbar mit Roman Knizka, der seiner Rolle des erfahrenen Verführers komödiantische Töne abringt und zugleich eine charmante Präsenz aufbaut, die der kurzen Liebesgeschichte ihre mehr als überzeugende erotische Spannung verleiht. Auch wenn keine der Figuren ein Geheimnis behält, hat jede von ihnen eine Lektion gelernt und am Ende neuen Lebensmut gewonnen. Bleibt zu hoffen, dass sich dieser auch auf der großen Kinoleinwand überträgt. Zu wünschen wäre es diesem unprätentiösen und sympathischen Debüt allemal.
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