Drama | Deutschland 2007 | 88 Minuten

Regie: Christian Petzold

Eine junge Frau versucht, ihr tristes Leben und die gescheiterte Ehe mit einem Bankrotteur in der ostdeutschen Provinz hinter sich zu lassen. In Hannover lernt sie einen Mann kennen, der als Finanzhai für eine private Equity-Firma arbeitet, wird seine Arbeits- und Liebespartnerin, kann aber trotz ihres Neuanfangs in der verlockenden, aber rücksichtslosen Welt des Risikokapitals ihre Vergangenheit nicht abschütteln. Mit viel Gespür für Rhythmus und innere Beziehungen, präzisen Darstellern und einer suggestiven Raumdramaturgie inszeniert Christian Petzold den dritten Teil seiner "Gespenster"-Trilogie als Mischung aus kühl-moralischem Blick auf Mechanismen des Geldmarktes und surrealem Märchen. Hinter der Handlungsoberfläche entfalten Bilder und Töne lyrische Qualitäten, die aus der Aus- und Aufbruchsstory ein melancholisches Liebes- und Trauergedicht machen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Schramm Film/ZDF/ARTE
Regie
Christian Petzold
Buch
Christian Petzold
Kamera
Hans Fromm
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Nina Hoss (Yella) · Devid Striesow (Philipp) · Hinnerk Schönemann (Ben) · Burghart Klaußner (Dr. Gunthen) · Barbara Auer (Barbara Gunthen)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Piffl (1:1,85/16:9/Deutsch DD 5.1/DD 2.0)
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Diskussion
Das Märchen von einer, die hofft, etwas Besseres als den Tod fände sie überall – nur nicht in Wittenberge, einem ostdeutschen Provinznest, das für Stagnation und Tristesse steht, für eine kaputte Ehe und die Sehnsucht nach einem „besseren“, lebendigeren, erfüllteren Dasein. Yella, eine schöne, stille, nahezu stumm gewordene junge Frau, lässt ihre bisherige Existenz hinter sich: ihren geliebten Vater, ihren beruflich gescheiterten, in seiner Verzweiflung bedrohlich gewordenen Mann Ben. Sie will in den Westen. In Hannover hat sie einen Job als Buchhalterin in Aussicht. Doch mit Bilanzen kennt sie sich viel zu gut aus, sie hat etwas Besseres verdient als den Betrug durch einen dubiosen Arbeitgeber, der im eigenen Büro Hausverbot hat. Im Hotel auf dem Expo-Gelände trifft sie Philipp, der für eine private Equity-Firma arbeitet. Eine andere Welt tut sich auf: Freiheit, auch Liebe in Zeiten des Risikokapitals; ein Aufstieg im Zeichen moderner Glücksritter des Kapitalmarktes und entschlossener Finanzinvestoren, die mit privatem Beteiligungskapital jonglieren, dabei die Grenzen von Anstand und Moral selbst festlegen – und rücksichtslos überschreiten. Erfolg suchen sie auf Kosten scheiternder Mittelstandsbetriebe, die nicht mehr auf die Füße kommen. Schnell scheint Yella in dieser Welt Karriere zu machen. Und ihr Glück zu finden. Doch wie weit kommt sie wirklich? Was lässt sie hinter sich, und was erreicht sie? Ist nicht alles nur ein Trugbild? Wie die Schriftstellerin Sarah Morton in François Ozons „Swimming Pool“ (fd 36089) mäandert Yella durch eine Vorstellung dessen, was möglich sein könnte, aber vielleicht nie wirklich ist, war oder sein wird. Wie real ist das Leben überhaupt, wie real der Tod? „Man sagt“, erklärt Christian Petzold, „dass den Sterbenden ihr Leben wie ein Film vor den Augen vorbeiziehe. Auch Yella sieht einen Film. Aber sie sieht nicht ihr gelebtes Leben. In ihren Film hat sich etwas Dunkles eingenistet. Und die Liebe.“ Man könnte „Yella“ lediglich auf der sichtbaren Handlungsebene rezipieren. Dann registriert man eine wortkarge, spröde Geschichte voller Auslassungen und willkürlicher Sprünge, arm an äußerer Spannung, eine Auf- und Ausbruchsfabel, wie sie nicht zum ersten Mal erzählt wird. Vermutlich würde man aus dieser Perspektive die Rahmenhandlung, einen mutwillig herbeigeführten Autounfall, als Schlüssel zum Verständnis heranziehen. Doch ist nicht der Sturz von der Brücke, das Versinken des Autos in den Fluten der Elbe, ein geradezu hinterhältiger MacGuffin? Zumal Petzold recht deutlich immer wieder mit Hitchcock-Motiven spielt: die Fremde im Zug (nach Hannover, north by northwest), der bedrohliche Ehemann, „aus dem Reich der Toten“, der sich weniger von einem äußeren Ereignis abschrecken lässt als von (imaginativen) schrillen Tönen, die gut aus Oskar Salas Trautonium in „Die Vögel“ herrühren könnten. Um der Besonderheit, dem Geheimnis, ja, dem Zauber von „Yella“ auf die Spur zu kommen, muss man die vordergründige Handlung „loslassen“ und auf das achten, was einem die Bilder und die Töne jenseits der Oberfläche erzählen, und sich hinabstürzen in den Mahlstrom des filmischen Erzählens. Man muss ein Stück weit wie Yella handeln: ein Horchen nach etwas außerhalb der offensichtlichen Wahrnehmung, etwas, das an einem zerrt, ruft, verlockt und zugleich warnt. Da droht etwas, das sich immer stärker als „das Eigentliche“ der Fabel manifestiert: im Rauschen der Blätter an den Bäumen, im Plätschern und Glucksen von Wasser, dem Gezwitscher der Vögel, das sich bis zum schrillen Crescendo steigert, zum aufdringlichen Schrei einer Krähe. „Tief ins Dunkel späht’ ich lange, zweifelnd, wieder seltsam bange, Träume träumend, wie kein sterblich Hirn sie träumte je vorher; (...) ‘s ist der Wind – nichts weiter mehr! Sprach der Rabe, Nimmermehr.“ Wie Edgar Allan Poes schwarzromantisches Gedicht ist auch „Yella“ ein explizit lyrischer „Text“, eine überlegt komponiertes Spiel mit der Poesie der Bilder und Töne, das auf einem präzisen Gespür für Rhythmus und Strophenbau fußt. Virtuos beherrscht Petzold seine Mittel: die strenge Form, die Dichte, die sprachliche Ökonomie; er jongliert mit rhetorischen Figuren, Alliterationen und Metaphern: Yella, die Frau zwischen zwei Männern, die sich nie begegnen und zwei Seiten ein und derselben Münze sein könnten; ihr Vater, der eine Orange schält, wie dies auch Phillip nach der ersten Liebesnacht mit Yella tut; Yellas rote Bluse, ihre Arbeitskleidung, die so leblos an ihr klebt, während sie auf der heimischen Wäscheleine noch ein Eigenleben zu führen schien; der Song „Road to Cairo“, der stets einer anderen Figur „gehört“; überhaupt all diese Geräusche, die direkt aus Yellas Seele emporzusteigen scheinen. So gesehen, verdichtet sich „Yella“ zu einem tief melancholischen Liebes- und Trauergedicht, genau in der Beobachtung der Realität, die aber doch nur Ausgangsort ist für gedankliche Reisen in die Möglichkeitsform: sinnierend über Liebe und Moral, Tod und Teufel, zugleich Kommentar über die Entfremdung des Menschen von der Arbeit, dem Leben allgemein. Atemberaubend ist Petzolds Umgang mit dem filmischen Raum, in dem er seine exakt spielenden Darsteller positioniert, wo sie mit feinsten Gesten reagieren. Das ist alles schwebend leicht, geradezu introvertiert, und wird nur ganz selten laut. Wenn dann aber Barbara Auer als reiche Unternehmergattin und rätselhaft Wissende Yella anzischt: „Geh weg!“, dann geht ein Beben durch die Szene. Genauso hätte Poes Rabe kreischen können: „Und es hebt sich aus dem Schatten auf dem Estrich dumpf und schwer / meine Seele – nimmermehr.“
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