- | USA 2006 | 76 Minuten

Regie: Kelly Reichardt

Zwei einstige Freunde, die vor Jahren gemeinsam in einer Wohngemeinschaft lebten, verabreden sich zu einem Wanderausflug, um eine tief im Wald gelegene heiße Quelle zu finden. Kurz nach ihrem Wiedersehen wird deutlich, dass sie sich auseinander gelebt haben und nur noch wenig miteinander anzufangen wissen. Die wortkarge Spannung löst sich, als sie am überwältigenden Ziel ihrer Wanderung angekommen sind. Der minimalistisch inszenierte Film macht die Entfremdung der Protagonisten auf kontemplative Weise erfahrbar und beglückt durch Auslassungen und kluge Zurückhaltung mit stiller Schönheit. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
OLD JOY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Film Science/Van Hoy-Knudsen Prod./Washington Square Films
Regie
Kelly Reichardt
Buch
Jonathan Raymond · Kelly Reichardt
Kamera
Peter Sillen
Musik
Yo La Tengo
Schnitt
Kelly Reichardt
Darsteller
Daniel London (Mark) · Will Oldham (Kurt) · Tanya Smith (Tanya) · Robin Rosenberg (Kellnerin) · Keri Moran
Länge
76 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
„Old Joy“ ist ein Film, dessen besondere Qualitäten sich der Beschreibung weitgehend entziehen, weil sie das Ergebnis von Zurückhaltung, von Auslassungen und Aussparungen sind. Es passiert nicht viel und es wird nicht viel gesprochen; Kameraarbeit und Montage sind minimalistisch, ohne in einem strengen Formalismus zu münden, der Aufmerksamkeit verlangen würde. Wie schön diese wunderbar einfache Independent-Produktion ist, kann man sich kaum vorstellen. Die Regisseurin Kelly Reichardt debütierte Mitte der 1990er-Jahre mit „River of Grass“, einem herrlich verqueren, feministischen Gegenentwurf zu „Bonnie & Clyde“ (fd 29 824). Doch danach vergingen elf Jahre, bevor sie mit „Old Joy“ endlich ihren zweiten Spielfilm fertig stellte. Ihre Freundschaft zu Todd Haynes, der hier als ausführender Produzent firmiert, gab den Anstoß, dessen Heimat Portland als Handlungsort zu wählen. Dort wurde für lächerliche 30.000 Dollar mit einem winzigen, sechsköpfigen Team auf Super-16mm gedreht, wobei lokale Experimentalfilmer und Videokünstler Logis gewährten und als Nebendarsteller einsprangen. Außer den beiden Protagonisten ist über weite Strecken allerdings niemand auf der Leinwand zu sehen, denn die Handlung besteht größtenteils aus einem Wanderausflug durch ein einsames Waldgebiet im amerikanischen Nordwesten. Zu diesem Ausflug wird ein Mann namens Mark telefonisch von seinem alten Freund Kurt eingeladen, der offenbar gerade in der Stadt ist. Vor Jahren haben die beiden Mittdreißiger in einer Wohngemeinschaft gelebt, doch mittlerweile ist Mark verheiratet und erwartet sein erstes Kind, wohingegen Kurt ein späthippieskes Vagabundendasein führt. Er berichtet von kurz zurückliegenden Parties im kalifornischen Hippie-Mekka Big Sur und von Aufenthalten in einem New-Age-Refugium in New Mexico. Obwohl seine Frau alles andere als begeistert ist, lässt sich Mark dazu überreden, spontan Schlafsack und Zelt in den Kofferraum zu packen, um mit Kurt eine tief im Wald gelegene heiße Quelle aufzusuchen. Auf der Fahrt aus der Stadt hinaus schnappt die Kamera beiläufig einen ersten stummen Blick von Mark auf, der erahnen lässt, dass er mit der verträumten Weltsicht seines alten Freundes nicht mehr viel anzufangen weiß. Wenn beide abends beim Lagerfeuer zusammensitzen, macht ein Gegenschuss des in Großaufnahme stumm zuhörenden Mark erst recht klar, dass ihn Kurts versponnene philosophische Spekulationen befremden. Dass Menschen sich auseinander leben, ist freilich banal. Aber Reichardt bringt die schlichte Tragik, die in solch einer Entwicklung liegen kann, mit einer ebenso präzisen wie einfachen Schnittfolge leise auf den Punkt. Wenn die zwei sich dann am nächsten Morgen aufmachen, um den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen, liegt über der Wanderung eine entsprechend wortkarge Spannung. Doch gerade deshalb wirkt es schließlich umso befreiender, wenn Reichhardt mit einer rhythmisch perfekt geschnittenen, beinahe stummen Sequenz die zauberhafte Idylle vor Augen führt, die Mark und Kurt am Ziel ihrer Wanderung erwartet und ihnen ein letztes wortloses Einvernehmen ermöglicht. Mit ähnlich simplen Mitteln könnte gegenwärtig wohl nur der thailändische Filmemacher Apichatpong Weerasetakuhl einen so überwältigenden Eindruck der einsamen Natur im Kinosaal zeugen. Aus eigener Erfahrung weiß jeder, dass die beiden die im Laufe der Jahre gewachsene Distanz wohl nie wieder überbrücken werden, weshalb die abschließenden Impressionen von der Rückfahrt ganz dezent eine nachhaltig traurige Wirkung entfalten. Schon auf dem Hinweg hatte die Kamera den beiden Männern zwei-, dreimal den Rücken gekehrt, um Bilder der am Auto vorbeiziehenden Landschaft einzufangen. Diese kurzen Sequenzen wurde mit sanften Gitarrenakkorden unterlegt, die den fast ungeschnittenen Fahrtaufnahmen eine wunderbar kontemplative Wirkung verleihen. Auch für diese abschließenden drei, vier Minuten gilt: Eine Beschreibung könnte ihre Schönheit unmöglich vermitteln. Man muss sie einfach selbst gesehen haben.
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