Drama | USA 2008 | 109 Minuten

Regie: Darren Aronofsky

Ein abgewrackter Wrestler, der in den 1980er-Jahren Star-Ruhm genoss, tritt nur noch gelegentlich in drittklassigen brutalen Shows auf. Als seine letzte Hoffnung auf ein Comeback durch einen Herzinfarkt verpufft, sinnt er über sein Dasein nach, sucht Zuflucht bei einer Stripperin und will sich mit seiner Tochter aussöhnen. Das inszenatorisch eher bescheidene Drama verdankt seinen Reiz den äußerst genauen, streckenweise semidokumentarischen Einblicken ins Show- und Freak-Milieu, vor allem aber seinem Hauptdarsteller Mickey Rourke, wodurch eine luzide Spiegelung von Figur und Darsteller gelingt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WRESTLER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Protozoa Pic./Saturn Films
Regie
Darren Aronofsky
Buch
Robert D. Siegel
Kamera
Maryse Alberti
Musik
Clint Mansell
Schnitt
Andrew Weisblum
Darsteller
Mickey Rourke (Randy "The Ram" Robinson) · Marisa Tomei (Cassidy) · Evan Rachel Wood (Stephanie) · Mark Margolis (Lenny) · Todd Barry (Wayne)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die FSK-Freigabe "ab 16" der DVD bezieht sich auf das Bonusmaterial (Trailer etc.), der Film selbst hat eine Freigabe "ab 12". Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches, sehr interessantes "Making Of" (43 Min.) sowie ein aufschlussreiches Interview mit Hauptdarsteller Mickey Rourke (15 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Kinowelt (16:9, 2.35:1, dts-HD engl./dt., PCM2.0 dt.)
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Diskussion
„Bang Your Head“, heißt das Musikthema, mit dem Randy in den Ring Einzug hält. Er war ein moderner Gladiator, ein Showstar in diesem seltsamen, stilisierten Sport, der in den USA „Wrestling“ heißt. Ein „Spektakel des Exzesses“, hat Roland Barthes das Wrestling genannt und hinzugefügt, es sei, „als ob der Wrestler sich am hellen Tag und vor aller Augen kreuzigen ließe“. Ähnlichen Erfahrungen kann man auch in diesem Film begegnen. Cassidy, eine Stripperin, mit der Randy befreundet ist, erzählt ihm nicht zufällig von Mel Gibsons Film „The Passion of the Christ“ (fd 36417), der von zahlreichen Splatter-Effekten zehrt: „Es ist unglaublich. Sie schmeißen alles nach ihm – Felsen, Steine, Speere!“ „Muss ein harter Typ gewesen sein“, stellt Randy nüchtern fest. Auch er ist ein Schmerzensmann, einer, dessen Körper mit Narben übersät ist, und der nach jedem Kampf gewaschen und neu zusammengeflickt werden muss. Cassidy ist, manchmal arg nahe am Klischee, die heilige Hure Maria Magdalena in dieser weltlichen Passionsgeschichte. Dabei hat Randy „The Ram“ Robinson seine besten Tage längst hinter sich. Zu Beginn streift die Kamera über alte Artikel, Plakate und Bilder von Kämpfen; Jahreszahlen verraten, dass der Ruhm aus den 1980er-Jahren herrührt. Doch Randy hat den Absprung nicht geschafft, seine Seele ist alt und der Körper kaputt geworden. Er hustet, trägt ein Hörgerät, nimmt Augentropfen; seinen Körper hält er nicht nur mit hartem Training fit – längst müssen Drogen aller Art nachhelfen. Trotzdem steigt Randy weiter in den Ring, er braucht das Geld; selbst für die Miete im Trailerpark reicht es mitunter nicht. Für seine Auftritte färbt er sich die Haare, bräunt sich und wählt mit sicherer Geschmacklosigkeit die grellsten, hässlichsten Klamotten; gewissermaßen eine zusätzliche Entstellung seines Körpers. Bisweilen hat es den Anschein, als suche er einen Weg, um sich noch schneller zu zerstören und das Ende eines Schreckens herbeizuzwingen, aus dem er nicht aussteigen kann – die Show ist alles, was ihm bleibt, weil Kämpfen alles ist, was er kann. Es sind zwei großartige Einfälle, die den vierten Spielfilm von Darren Aronofsky tragen und eine außergewöhnliche Erfahrung vermitteln. Der eine ist der extrem genaue, teilweise semidokumentarische Einblick ins Wrestler-Milieu. Der Regisseur kostet den Schauplatz in allen Einzelheiten, Ritualen und Tricks aus, vor allem in seinen Abgründen und bizarren Seiten. Er zeigt Vorbereitung, Training, Drogen, Bandagen, Absprachen, die Kameraderie der Kämpfer, bevor es zur Sache geht: Profis bei der Arbeit. Wobei hier durchaus das Klischee vom sanften Samson bedient wird, der zwar außen stark, aber innen weich ist. Aronofsky zeigt die Kämpfe: enorm brutal, mit meterhohen Stürzen oder Bratpfannen, die mit voller Wucht auf Kopf oder Körper des Kombattanten landen. Dabei kommt der Film nicht ohne kleinere Splatter-Effekte aus, wenn Stacheldraht um die Körper geschlungen und wieder herausgerissen wird, die Tackermaschine auf bloßen Schultern leergeschossen wird, wenn Glasscherben auf den Leibern zerbersten und die Splitter später einzeln wieder herausgezogen werden, oder wenn sich „The Ram“ mit einer Rasierklinge heimlich selbst die Haut aufschlitzt, ein üblicher Trick, um den Showeffekt durch echtes Blut zu erhöhen. Aronofsky zeigt aber auch die Folgen: Zerstörte Menschen, geschundene Körper. Das Kotzen in der Kabine, den Herzinfarkt, der Randy irgendwann aus dem Verkehr zieht. Solche Einblicke ins Milieu sah man bisher allenfalls in Dokumentarfilmen. Aronofsky inszeniert kühl, voller Faszination, aber aus spürbarer Distanz. Sein Blick ist nicht neugierig, er wirkt eher wie der eines Großbürgers, der sich in eine White-Trash-Welt verirrt hat, die er nicht liebt, der er sich eher anbiedert: ein wenig sensationalistisch, am Extrem interessiert und dieses ausstellend, mitunter nahe an der Exploitation. Der zweite Einfall, der ganz auf dieser Linie liegt, und den Regisseur doch paradoxerweise vor entsprechenden Vorwürfen rettet, ist die Besetzung der Hauptrolle mit Mickey Rourke. Dies ist ganz und gar Rourkes Film, weil er fast in jeder Szene im Bild ist und souverän spielt, vor allem aber, weil die Besetzung ganz offen mit den biografischen Überscheidungen zwischen Hauptfigur und Hauptdarsteller spielt: ein Superstar, der abgestürzt ist, sich verkauft und dabei alles verlor, der seinen Körper verunstaltet hat und in dessen Augen noch immer Feuer und Glanz früherer Tage lodert. Rourke/Randy ist ein altes, müdes Tier, das weiter macht, weil es das Geld braucht und weil es zum Aufhören eigentlich längstens zu spät ist. Rourke spielt den eigenen Ausverkauf mit Stolz, ohne Weinerlichkeit und legt dabei eine ungemeine Ironie an den Tag. Immer wieder meint man, ihn über sich selbst lächeln zu sehen, so als ob hier einer jeden Augenblick seines Auftritts genießt – weil es sein letzter sein könnte. Der Film stellt die Narben von Rourkes/Randys Körper, die Folgen von Drogenkonsum und plastischer Chirurgie überdeutlich aus – und lebt zum Großteil davon. Jenseits dieser beiden Einfälle bleibt nicht viel. Formal ist alles eher bescheiden. Es wird zwar gelobt, dass Aronofsky sich vom intellektuellen Achterbahnkino abgekehrt habe und zu einem „Neorealisten“ gereift sei; doch sein neues „cinema povera“ ist zugleich auch die Kapitulationserklärung eines ehemaligen Junggenies, das auszog, das US-Kino zu erneuern, und nach Anfangserfolgen an unsäglichen Produktionsbedingungen scheiterte, weshalb er sich jetzt dem Arthouse-Mainstream anpasst. Nichts an „The Wrestler“, vom Auftritt seines Hauptdarstellers einmal abgesehen, bereichert das Kino oder bringt es voran. Und doch ist es müßig, zu fragen, was von diesem Film bliebe, wenn er nicht Mickey Rourke und Marisa Tomei hätte. Insofern bleibt alles die dichte Beschreibung eines Showbetriebs, manchmal nahe an der Freakshow, die durch den Hauptdarsteller auch zur Spiegelung der Kinomechanismen wird. Die Zeit von Mickey Rourkes Kino ist endgültig vorbei; hier flackert sie noch einmal auf, bevor sie am Ende, wenn die Leinwand mit Randys letztem Kampf schwarz wird, in einem Todesbild untergeht. Mit „The Ram“ stirbt, fast hätte man es vergessen, auch ein Teil von uns.
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