Deutschland 09

Episodenfilm | Deutschland 2009 | 151 Minuten

Regie: Angela Schanelec

In 13 Kurzfilmen artikulieren deutsche Filmemacherinnen und -macher auf mal mehr, mal weniger gelungene, mitunter auch schmerzlich gescheiterte Weise ein spezifisches Lebensgefühl, das einerseits von Unbehagen sowie der diffusen Ahnung geprägt ist, dass sich "die Zustände" ändern müssen, andererseits auch von der Suche, wie man darauf antworten und was man dem entgegensetzen könnte. Die individuell sehr verschiedenen Reaktionen nähern sich zögernd und tastend einem Befund oder einer Bestandsaufnahme an. In der Summe ergibt sich zwar kein homogener und künstlerisch überzeugender Entwurf, gleichwohl ein spannendes Filmexperiment, das sich gerade in seiner Unentschiedenheit und der Scheu vor politischem wie ästhetischem Streit zur Selbstbeschreibung einer Generation verdichtet. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Herbstfilm Prod./NDR/ARTE
Regie
Angela Schanelec · Dani Levy · Fatih Akin · Nicolette Krebitz · Sylke Enders
Buch
Angela Schanelec · Dani Levy · Fatih Akin · Nicolette Krebitz · Sylke Enders
Kamera
Reinhold Vorschneider · Carl-Friedrich Koschnick · Kai Rostásy · Rainer Klausmann · Patrick Orth
Schnitt
Mathilde Bonnefoy · Anne Jünemann · Andrew Bird · Bettina Böhler · Dietmar Kraus
Darsteller
Nina Monka · Dani Levy · Joshua Levy · Hans Hollmann · Denis Moschitto
Länge
151 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Episodenfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein informatives Booklet.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Emotional – ein Wort, das ganz oben ansteht in der deutschen Kultur der letzten 20 Jahre, ganz oben in der Politik, im Film, in der Wirtschaft, in der Werbung. Wir müssen immer alle die Menschen ,emotional mitnehmen‘ … seit den Nazis hat das niemand mehr so betont wie die Deutschen seit der Wiedervereinigung… Vielleicht ist diese seltsame Emotionalität der Architekten, der Funktionäre, der Politiker, vielleicht ist all dieses Gefühl nur der Deckmantel, hinter dem die wahre Geschichte entsorgt wird?“ Diese aus dem Off gesprochene Frage bringt vieles auf den Punkt und richtet sich, in seinen schwächeren Momenten, auch gegen den Kurzfilm selbst. Sie stammt aus einem der besten der 13 Beiträge zu „Deutschland 09“, aus Dominik Grafs Reise durch die Architekturlandschaft. Graf findet in den sinnlichen Gewissheiten des ganz Konkreten schnell das Allgemeine, und so wird aus seiner Dokumentation des Verschwindens der Nachkriegsarchitektur eine Reflexion über den Umgang mit Gefühlen und Geschichte, um deren mögliche Politisierung und grassierende Entpolitisierung. Darum drehen sich nahezu alle dieser zu Spielfilmlänge zusammengefassten Kurzfilme. Es ist ein Projekt, das in seinen Fragen interessanter ist als in seinen Antworten. Wo „Deutschland 09“ am besten gelingt, verzichtet der Film ganz auf Entschiedenheit, bietet stattdessen Material und Kommentare, Thesen nur probeweise. Darin erinnert er an die Stücke Heiner Müllers oder die Romane von Rainald Goetz; und darin ist er auch treffendes Symptom einer Zeit, die sich offenbar schwer tut, eigene Positionen zu entwickeln, und in der die letzten ernst zu nehmenden Intellektuellen meist über 60 Jahre alt sind. Dass der Film den Mut zu solcher Zeitgenossenschaft hat, dass er Momentaufnahme sein will, beiläufig und nicht ewig, viel weniger staatstragend als der fehlleitende Untertitel „13 kurze Filme zur Lage der Nation“ suggeriert, dass er das Flirrende, Offene des Kinos nur selten ans Pathos des Grundsätzlichen verrät, das ist eine der größten Qualitäten dieses Films, die ihm seinen Rang sichern wird. Am Anfang steht eine faszinierende und verführerische Ausgangsidee: Was würde geschehen, wenn sich heute Regisseure zu einem gemeinsamen Film zusammenfänden, wie zu „Deutschland im Herbst“ (fd 20 705), Alexander Kluges legendärem Kollektivfilm. Dessen Wiederauflage liegt keineswegs nahe, denn Gegner und Krisensymptomatik sind zumindest diffuser geworden; zudem fehlt eine gemeinsame ästhetische oder politische Position, wie sie die Filmemacher im Jahr 1977 noch einte – was dieser Film mitunter schmerzhaft belegt. Letzteres ist freilich auch eine Frage der Auswahl; neben dem Verzicht auf eine die Episoden verknüpfende Klammer ist es die größte Schwäche von „Deutschland 09“, dass sich die Produzenten Tom Tykwer und Dirk Wilutzky nicht zu einer homogeneren Auswahl entschlossen. Was nicht allein eine Stilfrage ist, sondern zur Frage der Qualität wird; zumal es umgekehrt auch nicht darum ging, alles und jeden gleichberechtigt zu repräsentieren: Weder Michael „Bully“ Herbig noch Doris Dörrie noch ein Markus H. Rosenmüller sind dabei. Der lokale wie stilistische Schwerpunkt liegt in Berlin. Was sich in dem Film artikuliert, ist ein Lebensgefühl, geprägt von Unbehagen und einer diffusen Ahnung, dass die Zustände so, wie sie sind, nicht bleiben können und auch nicht sollen – man konstatiert sogar Symptome einer schleichenden Diktatur. Der Film ist aber auch geprägt von der Suche, wie man darauf antworten und was man dem entgegensetzen könnte, und von dem eher unter der Oberfläche liegenden, aber dennoch ausgeprägten Bewusstsein, dass die eigenen, vorläufigen Antworten nicht genügen. Das ist die Lage. Wie nun die 13 Filmemacher auf sie reagieren, ist individuell verschieden. Die meisten reagieren zögernd, tastend, mit einem Befund vielleicht, einer Bestandsaufnahme. Nur manche bieten eine Art Antwort, wobei gerade diese Filme nicht die besten sind: Fatih Akin hat sich in seiner Methode bei Karmakars jüngsten Dokumentationen bedient und ein öffentliches Dokument, ein Interview mit dem Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz, mit minimalistisch agierenden Darstellern nachinszeniert. Nur hat er dabei, von den hölzern agierenden Darstellern einmal abgesehen, im Gegensatz zu Karmakar den ohnehin redigierten Text nochmals gekürzt und massiv bearbeitet, weshalb ausgerechnet ein Film, der Kurnaz eine Stimme geben möchte, sein Wort noch einmal beschneidet. Das ist mehr als ein Denkfehler. Ein Debakel ist Wolfgang Beckers krakelende Groteske, in der Deutschland zu einem schmuddeligen Krankenhaus verdichtet wird und Patienten von „Doktor Rot“ und „Doktor Schwarz“ nach „Sozialinfarkt“ mit „10 Milligramm Sozialadrenalin“ behandelt werden – kein einziger der schlechten Witze dieses undisziplinierten, mit maßlosem Aufwand inszenierten Unsinns zündet. Eher banal bleiben Sylke Enders’ sozialkitschiger Einblick ins „Hartz IV“-Milieu, der auf genaue Beobachtung zu Gunsten billiger Medienschelte verzichtet, und Tom Tykwers parallele Studie über die Leiden der Reichen, die stets in sauberen Luxushotels schlafen und in der Business Class fliegen müssen, und dort – hört, hört – auch nicht glücklicher sind. Beide Filme sind immerhin präzise Dokumente der Wahrnehmungsstörung ihrer Macher, die nur sehen, was sie schon vorher gewusst haben. Bei Hans Weingartners „Gefährder“ fragt man sich hingegen, warum der Regisseur nicht merkt, dass er seine unbestritten engagierte und relevante Anklage des bundesdeutschen Überwachungsstaates selbst schwächt und banalisiert, wenn er den realen Fall des zu Unrecht verhafteten Andrej Holm im Stil einer glatten Fernseh-Soap inszeniert. Offenkundig hat Weingartner Angst vor Brüchigem und Doppelsinn – als ob er seiner eigenen Position nicht traut und überdeutlich wird, aus Furcht, missverstanden zu werden. Auf seine Art herausfordernd ist Hans Steinbichlers Beitrag „Fraktur“. Der zeigt einen Mann, der kaum zufällig am Obersalzberg wohnt, in einem ausgebauten Bauernhof zwischen Hirschgeweihen und Designermöbeln, und auf die Veränderung des Designs seinerTageszeitung damit reagiert, dass er die Auflage aufkauft, verbrennt und die Chefredaktion per Genickschuss hinrichtet. Man möchte zu Steinbichlers Gunsten hoffen und vermuten, dass an all dem nichts unironisch gemeint ist, aber man muss zugeben, dass der Film seine Ironie-Signale derart versteckt, dass alles auch als ein Plädoyer fürs Verbrennen und Erschießen von Missliebigem verstanden werden kann. Umgekehrt hat „Deutschland 09“ aber auch einiges zu bieten: Neben Grafs Architekturreflexion, einem melancholischen Klagelied in warmem Technicolor, sind insbesondere die Filme von Nicolette Krebitz, Romuald Karmakar und Christoph Hochhäusler zu nennen. Krebitz’ Beitrag verbindet viel mit dem fantastischen Essayismus Alexander Kluges, der seinerzeit eine Lehrerin „nach der deutschen Geschichte grabend“ zeigte. Krebitz vereint Ulrike Meinhof und Susan Sontag in einem imaginären Dialog mit einer jungen Frau aus der Gegenwart – eine ebenso komplexe wie verspielte, anti-naturalistische Montage aus Originaltexten, die von einer flirrend-heiteren Leichtigkeit geprägt sind und zugleich Konturen einer spezifisch weiblichen Filmsprache erkennen lassen. So einen Film könnte kein Mann drehen. Und Karmakars „Ramses“ keine Frau: Er stellt den Besitzer eines Westberliner Bordells vor, zeigt ein Deutschland, das viele nicht kennen – ein Film als Museum der 1980er-Jahre, das voller Poesie unangenehme Wahrheiten zeigt. Schließlich Hochhäusler: Mit den Stilmitteln des legendären Kino-Essayisten Chris Marker erzählt er unangestrengt und gelassen ein Science-Fiction-Märchen über Gedächtnisverlust, irgendwo zwischen „2001“ und „Peterchens Mondfahrt“. Hier verliert Deutschland plötzlich alles Schwermütige, wird zu einer schönen Utopie des besseren Lebens – der prächtige Abschluss einer anregenden intellektuellen Achterbahnfahrt. Am interessantesten ist dieses Filmexperiment aber in seiner Gesamtheit. Da ist er überaus repräsentativ: In der stilistischen Unentschiedenheit, in der Furcht seiner Macher vor dem Grundsätzlichen, der Scheu vor politischem wie ästhetischem Streit, vor Statements und Thesen, davor, sich vielleicht auch auf eine Art Lagebefund zu einigen, wie vorläufig auch immer. So wird der Film zur Selbstbeschreibung einer Generation zwischen Mitte 30 und Ende 40 – Graf und Becker sind die Ausnahmen –, die sich angesichts ihrer Politikmüdigkeit gern ins Private zurückzieht und die Fähigkeit zur Gestaltung der Öffentlichkeit verloren hat; die sich gestalten lässt – aber genau diese Lage präzis reflektiert, sich nach Intensität und Inspiration sehnt. „Deutschland 09“ ist ein Film über diese Sehnsucht. Man wünscht ihm Ruhe zur Reflexion und ein Publikum, das sich nicht zum schnellen Urteil hinreißen, sondern die Beiträge wirken lässt. Die Utopie, die der Film repräsentiert, liegt in seiner Entstehungsform als Kollektivprojekt, die eben auch die Hoffnung artikuliert, dass das Kino ganz anders sein könnte, als es heute ist. Dieser Film ist immerhin ein erster Schritt.
Kommentar verfassen

Kommentieren