Coming-of-Age-Film | Deutschland 2009 | 93 Minuten

Regie: Lars Jessen

Atmosphärisch gelungener Coming-of-Age-Film, der von einer Gruppe Jugendlicher in der norddeutschen Provinz in den 1980er-Jahren erzählt. Sie entdecken den Punk für sich, gründen eine Band und genießen den Müßiggang, bevor Entscheidungen über einzuschlagende Lebenswege anstehen. Mit feinem Gespür für die Figuren taucht der Film ins "easy going" der Jungen ein und situiert ihren "Summer of Punk" vor den Hintergrund existenzieller Probleme und Ängste, die jenseits des Zeitkolorits zum Jungsein dazugehören. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Schrammfilm/NDR
Regie
Lars Jessen
Buch
Norbert Eberlein
Kamera
Michael Tötter
Musik
Jakob Ilja
Schnitt
Sebastian Schultz
Darsteller
Cecil von Renner (Roddy) · Ole Fischer (Fliegevogel) · Pit Bukowski (Sid) · Daniel Michel (Flo) · Laszlo Horwitz (Piekmeier)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein informatives Booklet sowie einen Audiokommentar des Regisseurs zusammen mit Rocco Schamoni, dem Autor der Buchvorlage.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Im Sommer 1984 erreicht die Punk-Bewegung die Holsteinische Schweiz. Besser gesagt: die Kunde von Punk trifft auf eine Clique von Jungs, die gerade die Schule hinter sich haben. Man weiß nicht so recht, was man will, aber man weiß, wie man es bekommt. Oder so ähnlich. Wilde Gerüchte kursieren, was Punk außer Saufen eigentlich impliziert. Man trägt komische Klamotten, ändert seinen Namen und hängt mit der Clique im Wald am Lagerfeuer oder in der Fußgängerzone ab. Malte Ahrens heißt jetzt Roddy Dangerblood, seine Kumpels Fliegevogel, Flo, Sid, Piekmeier und Günni. Dass Malte jetzt Roddy heißt, bedeutet nicht, dass er seine Töpferlehre abbricht. Man gründet eine Band, sucht einen passenden Bandnamen, versucht es sogar kurzzeitig mit Proben, absolviert einen desaströsen, also gelungenen Auftritt, wird anschließend bei einem Bandwettbewerb zur allgemeinen Enttäuschung nur Vorletzter und nicht, wie es sich gehört, Letzter. Rocko Schamoni hat in seinem Romandebüt voller Sympathie und nur leicht irritiert von seiner Jugend in Lütjenburg erzählt. Lars Jessen, der schon mit „Am Tag, als Bobby Ewing starb“ (fd 37 078) sein Gespür als Chronist norddeutscher Subkulturen bewies, zeigt sich auch bei „Dorfpunks“ auf der Höhe seiner Figuren und zeichnet ein sommerlich-pastorales Bild von Punks zwischen Wald und Wiesen, Traktoren und Ostsee. Nichts wird hier über Gebühr dramatisiert, die Eltern der jugendlichen Müßiggänger, selbst eher friedensbewegt, sind eher amüsiert-irritiert und leicht besorgt als schockiert. Gefahr droht auch nicht von der Polizei, sondern eher von rabiaten Jungbauern und von eigenen dogmatischen Anwandlungen. Zwischen den zwei, drei dramaturgischen Höhepunkten atmet der Film etwas höchst Kontingentes, das man durchaus als „universell“ begreifen kann, weil es sich so und nicht anders auch heutzutage noch abseits der Metropolen abspielen dürfte. Im Punk-Sommer 1984 klärt sich in Schmalenstedt manches; Entwicklungen scheinen vorgezeichnet: Es gibt diejenigen, die es nach Kiel, Hamburg oder Berlin schaffen, andere, die in Schmalenstedt bleiben; manche nehmen die Sache mit der Ideologie zu ernst, andere das mit den Drogen. Und dann gibt es noch jene, die – wie Rocko Schamoni – sich als multimediale Künstler-Bohemiens durchschlagen. Jessen zeigt atmosphärisch sehr stimmig das „easy going“ vor dem Hintergrund existenzieller Ängste, die mit Punk nichts zu tun haben, er beschreibt die Momente, in denen es toll ist, Teil einer Clique zu sein, aber auch die Grenzen dieser Geborgenheit. Manchmal verliebt sich der Film in seine Metaphern, wenn ein Schlauchboot-Ausflug auf die Ostsee im Nebel fast katastrophal endet, weil die Jungs eben orientierungslos (!) sind. Manchmal versackt der Film leider auch in hundertmal gesehenen Jugendfilm-Klischees, wenn das Elternhaus vom Gymnasiasten-Popper im Laufe einer ausufernden Party etwas zu ausführlich zerlegt wird. Aber abgesehen von solchen Schönheitsfehlern erzählt der Film kongenial von der Kunst des sich als rebellisch verstehenden Müßiggangs und macht ordentlich Lust auf einen Sommer in der Probstei. Dass es Dorfpunks immer gegeben hat und geben wird, deutet die von Axel Prahl gespielte Figur des geheimnisvollen Wirtes Paul Mascher an, der sich in seiner Kneipe zum Godfather der guten Musik aufschwingt. Da steht das legendäre Album „Y“ von der Pop Group in der ersten Reihe, aber ganz selbstverständlich hört man bei Mascher auch Jazz und sehr wahrscheinlich, wenn man etwas länger bleibt, auch The Sonics, Tim Buckley und Ry Cooder. Wem Musik solcherart zum (Über-)Lebensmittel wird, der ist auch in Schmalenstedt ein Kosmopolit, wenngleich ein sehr einsamer, der alles auf die Jugend setzen muss.
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