Die Besucherin

- | Deutschland 2008 | 104 Minuten

Regie: Lola Randl

Eine Hirnforscherin begegnet ihrem Ehemann und ihrer Tochter mit nüchtern-kühler Distanz. Als sie die Wartung einer Wohnung übernimmt, entwickelt sich diese für sie zu einer Parallelwelt zum eigenen, gleichgültigen Alltag - vor allem, als der Besitzer der Wohnung zurückkehrt und sie sich auf eine Affäre mit ihm einlässt. Dem geduldig beobachtenden Blick der Kamera gelingt das eindringliche Porträt einer zwar materiell abgesicherten und erfolgreichen, aber am Stillstand des eigenen Lebens leidenden Frau. Ohne dramatische Zuspitzungen vermittelt der Film suggestiv das Unbehagen seiner Protagonistin. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
COIN Film/WDR
Regie
Lola Randl
Buch
Lola Randl
Kamera
Philipp Pfeiffer
Musik
Maciej Siedzlecki
Schnitt
Natali Barrey
Darsteller
Sylvana Krappatsch (Agnes) · André Jung (Bruno) · Samuel Finzi (Walter) · Jule Böwe (Karola) · Isabel Metz (Leni)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
epix (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Unter den Depressiven sind die Neurowissenschaftler die bemitleidenswerteste Spezies: Sie können jede Phase ihrer Erkrankung bis ins kleinste biochemische Detail erklären und können doch nicht aus ihrer Haut. In dem erstaunlich reifen Debüt der 1980 geborenen KHM-Absolventin Lola Randl stolpert eine auf Leistung und Kontrolle bedachte Hirnforscherin in eine Krise, als ihr auf der täglichen Rückfahrt vom Institut ein Selbstmörder vor die Räder springt. Auf den ersten Blick nimmt sie den Zwischenfall gewohnt souverän hin, erwähnt ihn nicht einmal, als sich zu Hause Mann, Tochter und der zu ihrem Geburtstag versammelte Freundeskreis über einen Nachbar unterhalten, der kurz zuvor aus dem Fenster gesprungen ist. Die Theaterschauspielerin Sylvana Krappatsch, die man auf der Leinwand öfter sehen möchte, spielt diese allen Anforderungen gewachsene Familienernährerin über 40 als eine Egozentrikerin, die alles und nichts umwerfen kann. In der Radikalität, mit der sie ihre eigene seelische Hygiene auch auf Kosten ihrer Nächsten betreibt, erinnert Agnes an die ähnlich angelegte Figur der Miriam, die Martina Gedeck in Stefan Krohmers Familiendrama „Sommer 04“ (fd 37 835) mit bravouröser Ambivalenz zu verkörpern wusste. Dass ihr Gatte, Hausmann und erziehender Vater, unter ihrem Desinteresse für seine Arbeit als Krimiautor leidet, nimmt sie ebenso emotionslos hin wie den Umstand, dass ihr ihre Tochter aus dem Weg geht. Sie gibt vor, an der Familienchemie zu arbeiten, verliert sich dabei aber nur in nüchterner Analyse und einer Toleranz, die erschauern lässt. Wenn sie in der Nacht schlaflos mit ihren kalt glitzernden Augen dem schwarzen Loch in ihrem Innern entgegenblickt, wähnt man sie gefährdet – dabei ist sie nur unterfordert. Es bedarf nur eines unbedeutenden Zufalls, um den allzu ruhigen Fluss ihrer saturierten, bildungsbürgerlich aufgeklärten Existenz aufzubrechen. Ihre nicht weniger selbstbezogene Schwester in Gestalt der wunderbar überdreht spielenden Jule Böwe hinterlässt ihr einen Schlüssel zu einer fremden Wohnung. Die Blumen müssen gegossen, der Papagei gefüttert werden. Es ist buchstäblich der Schlüssel in ein Parallelleben, denn dort lässt sich Agnes auf einen Mann ein, ohne zu fragen, wer er ist, oder ihm ihre eigene Identität zu verraten. Er ist viel älter und lebensmüde, übernimmt aber die Initiative und stellt keine Bedingungen. Dennoch ist „Die Besucherin“ kein „Intimacy 2“. Der Sex ist ein kurzes Ventil, das zwar Nähe herstellt, aber nicht davon abhält, sich zu siezen. Jeder benutzt jeden. Der Mann, um über den Tod der Geliebten hinwegzukommen, die Besucherin, um sich selbst für kurze Zeit zu vergessen. Denn der Wille zum Loslassen will sich bei ihr partout nicht einstellen, schließlich war das Leben vorher nicht wirklich falsch, höchstens in seiner Perfektion erdrückend abgeschlossen. In der letzten Sequenz, als Ehemann und Liebhaber einen Schlussstrich ziehen, sitzt sie wieder allein am Steuer. Die Tränen kullern noch, doch die alte funktionstüchtige Körperhaltung ist bereits wieder erkennbar. Auch der an intensiven, beobachtenden Kinobildern reiche, mit französischem Flair inszenierte Film verbietet sich eine Eruption. Er bleibt seiner Figur nah, in all ihrer Unnahbarkeit. Es ist unbequem, das zu beobachten, aber das Unbehagen verbindet sich mit dem Eindruck der Dringlichkeit, mit dem unerschrockenen Blick auf eine von lauter unglücklichen Zeitgenossen bevölkerte Krisenrepublik, die lieber den Stillstand pflegt, als inne zu halten, das Steuer loszulassen und vielleicht die Spur zu wechseln.
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