- | Türkei/Deutschland 2009 | 104 Minuten

Regie: Semih Kaplanoglu

Ein kleiner Junge wächst in der unberührten Waldlandschaft der Nordosttürkei auf. Schüchtern und schweigsam, ist sein Vater die einzige Bezugsperson, zu der er ein inniges Verhältnis hat. Als der Vater, ein Imker, eines Tages von seiner Arbeit im Wald nicht mehr zurückkommt, ist das Kind zutiefst verstört. In Bildern, die sinnlich die urwüchsige Lebenswelt des Protagonisten heraufbeschwören und sie gleichermaßen poetisch mit Bedeutung aufladen, entfaltet sich ruhig und ohne viel Dialog ein eindringliches existenzielles Drama um das Ende einer Kindheit. (Preis der ökumenischen Jury Berlin 2010; Abschluss der Yusuf-Trilogie des Regisseurs, zu der noch die Filme "Yumurta" und "Süt" gehören; Kinotipp der katholischen Filmkritik.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
BAL
Produktionsland
Türkei/Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Kaplan Film Prod./Heimatfilm/ZDF/Arte
Regie
Semih Kaplanoglu
Buch
Orçun Köksal · Semih Kaplanoglu
Kamera
Baris Özbiçer
Schnitt
Ayhan Ergürsel · Semih Kaplanoglu · Suzan Hande Güneri
Darsteller
Boras Altas (Yusuf) · Erdal Besikçioglu (Yakup) · Tülin Özen (Zehra) · Ayse Altay · Alev Uçarer
Länge
104 Minuten
Kinostart
09.09.2010
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Standardausgabe (DVD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die Special-Edition (3 DVDs) umfasst auch die beiden anderen Filmen der vom Regisseur konzipierten "Yusuf-Trilogie": "Süt - Milch" (2008, 98 Min.) & "Yumurta - Ei" (2007, 97 Min.). Zudem enthält die Edition ein "Making Of" sowie ein ausführliches Booklet.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.85:1, DD2.0 türk., DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Am Anfang gehört der dichte Wald noch ganz der Natur: den Rufen der Tiere, dem Rascheln im Unterholz und dem Säuseln des Windes. Dann bewegt sich aus der Ferne ein Mann mit einem Esel langsam durch den Wald, bis er im Mittelpunkt des Bildes ankommt. Er blickt lange suchend in die Baumwipfel, nimmt sich ein Seil mit einem daran befestigten Holzkeil und versucht, es über einen Ast weit oben zu werfen. Als er genug Widerstand spürt, hängt er sich an das Seil und steigt langsam den mächtigen Baumstamm hinauf. Er steht auf halber Höhe beinahe waagerecht in der Luft, als es bedrohlich im Geäst zu knacken beginnt und er einige Meter nach unten sackt. Der Mann hält den Atem an, klammert sich an das Seil und horcht gespannt, was die Natur noch für ihn bereithält. Semih Kaplanoglu beginnt seinen Film „Bal – Honig“, den abschließenden Teil seiner „Yusuf“-Trilogie, buchstäblich zwischen Himmel und Erde, Hoffen und Bangen. Es ist ein Prolog, von dem man noch nicht weiß, ob er der Zeit voraus greift oder ob er in der Vergangenheit der folgenden Geschichte liegt. Die nächste Einstellung zeigt den Mann gemeinsam mit seinem kleinen Sohn in seiner Hütte. Er heißt Yakup und gehört zu den Imkern, die im waldreichen Nordosten der Türkei ihre Bienenstöcke hoch oben in den Bäumen aufstellen. Yakup bereitet sich für den Tag vor und bittet seinen Sohn Yusuf, ihm etwas aus dem Kalender vorzulesen, was dieser etwas stockend, aber beinahe fehlerfrei tut. Ansonsten reden beide nicht viel. In der Dorfschule versucht Yusuf, seinen kleinen Triumph zu wiederholen. Doch nun misslingt ihm alles, was ihm zuvor noch glückte. Jedes Wort ist eine Qual. Stotternd kann Yusuf kaum den ersten Satz beenden, bevor ihm der Lehrer das Wort wieder entzieht. Hoch oben auf einem Schrank steht ein Glas mit Belobigungssternen. Für den schüchternen Grundschüler erscheint es im doppelten Sinne unerreichbar. Bei der „Berlinale“ 2010 war „Bal – Honig“ einer der wenigen Wettbewerbsfilme, die mehr auf das stumme Schauen als auf das geschwätzige Erzählen setzten. Seine Figuren sind einfache, schweigsame Menschen, die so leben, wie es ihnen der Rhythmus der Natur vorgibt. Der kleine Yusuf steht im Zentrum der Handlung, und die Kamera schaut mit seinen neugierigen Augen auf die abgeschiedene Welt der Bauern und Imker. Von „ADS“, dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, hat hier noch niemand etwas gehört: Kaplanoglus Kamera hält lange den Blick und nimmt durchweg Alltägliches, ja Elementares auf. Das hat nichts mit einer kindlich-naiven Sichtweise zu tun. Stattdessen versucht Kaplanoglu, die Geschichte so vorurteilsfrei wie möglich zu erzählen. Für den westlichen Betrachter erscheint alles zugleich selbstverständlich und auch fremd. „Bal – Honig“ ist der zugänglichste der drei „Yusuf“-Filme. Schon wegen des berührenden kindlichen Hauptdarstellers: Yusufs kleinen und großen Problemen, seinen Hoffnungen und seinem Missverstehen schaut man von Anfang an mit Anteilnahme zu. Den dichten, bergigen Wald der türkischen Schwarzmeer-Region inszeniert Kaplanoglu überzeugend als gleichgültiges und zugleich unendlich reiches Gegenüber. Auch das Drama des Films kündigt sich mit einem Naturereignis an: Ein unerklärliches Bienensterben zwingt die Imker dazu, in weiter entfernte Regionen zu gehen. Yakup tritt eine mehrtägige Wanderung an und lässt einen besorgten Sohn zurück. Kaplanoglu erzählt eine einfache Geschichte mit einfachen Mitteln, die er souverän beherrscht und mit denen er seinen Film zu einem bewegenden Ende führt. Damit gehört er, wie die Imker seines Films, zu den Vertretern eines vom Aussterben bedrohten Handwerks. Hier kommen beide Handwerkskünste auf glückliche Weise zusammen.
Kommentar verfassen

Kommentieren